Arbeitszeit: Die tägliche und die wöchentliche Ruhezeit sind zwei unterschiedliche Dinge
Dauerbrenner Arbeitszeit: Die tägliche und die wöchentliche Ruhezeit sind zwei eigenständige Rechte. Die danach jeweils vorgeschriebenen Zeiten müssen unabhängig voneinander eingehalten werden, urteilte der EuGH. Selbst wenn sich die wöchentliche Ruhezeit an die reguläre Arbeitszeit anschließt und über die Mindestvorgaben der europäischen Arbeitszeitrichtlinie hinausgeht.
Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 02.02.2023, Az. C-477/21
Worum geht es?
Es geht um die Frage, ob die Arbeitszeit so verteilt werden kann, dass zwar die wöchentliche Ruhezeit, die nach der europäischen Arbeitszeitrichtlinie 24 Stunde sein muss, eingehalten und sogar überschritten wird, dafür jedoch Abstriche bei der täglichen Ruhezeit in Kauf genommen werden können. Der EuGH urteile das geht nicht: Die wöchentliche und die tägliche Ruhezeit sind jeweils autonome Rechte der Beschäftigten, auf die sie selbstständige Ansprüche haben.
Der Sachverhalt
Ein Lokführer aus Ungarn bekam von seinem Arbeitgeber eine wöchentliche Mindestruhezeit von 42 Stunden – also deutlich mehr als die nach der Arbeitszeitrichtlinie vorgegebenen 24 Stunden. Probleme gab es allerdings bei der täglichen Ruhezeit. Daher erhob er Klage und trug vor, dass ihm keine tägliche Ruhezeit von mindestens 11 zusammenhängenden Stunden (auf die der Arbeitnehmer gemäß der europäischen Arbeitszeitrichtlinie pro 24-Stunden-Zeitraum Anspruch hat) gewährt werden, wenn diese Ruhezeit einer wöchentlichen Ruhezeit oder einer Urlaubszeit vorausgeht oder dieser nachfolgt.
Die ungarische Eisenbahngesellschaft argumentierte, dass ihr Arbeitnehmer durch ihre Entscheidung in keiner Weise benachteiligt werde, da der im vorliegenden Fall anwendbare Tarifvertrag eine wöchentliche Mindestruhezeit gewähre, die mit mindestens 42 Stunden deutlich über der von der Richtlinie vorgegebenen (24 Stunden) liege.
Die Entscheidung
Der EuGH stellt klar, dass die tägliche Ruhezeit nicht Teil der wöchentlichen Ruhezeit ist, sondern zu dieser hinzukommt, auch wenn sie dieser unmittelbar vorausgeht. Denn mit den beiden Ruhezeiten würden unterschiedliche Ziele verfolgt: Über die tägliche Ruhezeit könne sich der Arbeitnehmer nach einer Arbeitsperiode aus seiner Arbeitsumgebung zurückziehen. Über die wöchentliche Ruhezeit könne er sich ausruhen.
Der Anspruch auf die tägliche Ruhezeit würde ausgehöhlt, wenn sie bei der Inanspruchnahme der wöchentlichen Arbeitszeit wegfalle. Das gehe auch aus der europäischen Arbeitszeitrichtlinie hervor. Dort heißt es in Art. 5, dass jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gemäß Artikel 3 zu gewähren ist. Die Richtlinie beschränkt sich nicht darauf, allgemein eine Mindestdauer für das Recht auf eine wöchentliche Mindestruhezeit festzulegen, sondern stellt ausdrücklich klar, dass zu diesem Zeitraum der Zeitraum hinzukommt, der mit dem Recht auf tägliche Ruhezeit verknüpft ist.
Auch stellte der EuGH fest, dass die im Vergleich zur Richtlinie günstigeren Bestimmungen des ungarischen Rechts über die wöchentlichen Ruhezeit von 42 Stunden hieran nichts ändern. Daher muss die tägliche Ruhezeit unabhängig von der Dauer der in der anwendbaren nationalen Regelung vorgesehenen wöchentlichen Ruhezeit gewährt werden.
Was heißt das?
Die tägliche Ruhezeit kommt zur wöchentlichen Ruhezeit hinzu, auch wenn sie dieser unmittelbar vorausgeht. Es darf also keine Gesamtbetrachtung angestellt werden, sondern die beiden Ruhezeiten müssen unabhängig voneinander bewertet werden.
Handlungsempfehlung Sollten im Zuge des nach wie vor top aktuellen Themas der Arbeitszeit neue Arbeitszeitmodelle ins Gespräch kommen, sollten Arbeitgeber wissen, dass die tägliche und die wöchentliche Ruhezeit jeweils einzuhalten sind. |
Die Rechtsprechung wird für Sie aufgearbeitet von Frau Dr. Felisiak von ADVANT Beiten Rechtsanwaltsgesellschaft GmbH.