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Arbeitszeiterfassungspflicht gilt ab sofort!

Arbeitgeber sind ohne Übergangsfrist verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen. Die Anfang Dezember veröffentlichten Entscheidungsgründe des BAG-Beschlusses vom 13.09.2022 sorgen für eine überraschende Wendung.

Arbeitsrecht
Lesezeit 3 Min.
Statue der Justitia in einem modernen Büroumfeld, die die Präsenz und Bedeutung der Gerechtigkeit in der Geschäftswelt symbolisiert.
Foto: © stock.adobe.com/Robert Kneschke

Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21

Anders als es zunächst anhand der veröffentlichten Pressemitteilung schien, unterliegen Form und Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung der Mitbestimmung des Betriebsrats, jedenfalls solange es kein entgegenstehendes Gesetz gibt.

Worum geht es?

Es geht um die wohl meistdiskutierte Entscheidung des BAG von diesem Jahr und konkret um die Frage, ob Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung ohne eine gesetzliche Regelung verpflichtet sind.

Kurz zur Erinnerung: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte bereits im Mai 2019 entschieden, dass Unternehmen in der EU zukünftig Systeme schaffen müssen, mit dem die Mitarbeiter ihre Arbeitszeit messen können. Die Umsetzung überließ der EuGH dem nationalen Gesetzgeber. Bislang blieb der Gesetzgeber in Deutschland jedoch untätig. Dennoch nahm das BAG an, dass bereits jetzt eine entsprechende Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht und hat mit dem Urteil den Gesetzgeber überholt. 

Der Sachverhalt

In dem entschiedenen Sachverhalt ging es um die Frage, ob der Betriebsrat eines Gemeinschaftsbetriebs zweier Arbeitgeberinnen ein Initiativrecht im Hinblick auf die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung hat. Der Betriebsrat hatte sich auf § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG gestützt.

Die Entscheidung

Das BAG hat das Initiativrecht des Betriebsrats in dem konkreten Fall abgelehnt. Argumentiert wird, dass der Gesetzesvorbehalt des § 87 Abs. 1 Einleitungshalbsatz Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) dem Initiativrecht auf die Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung entgegensteht, da es bereits jetzt eine gesetzliche Arbeitszeiterfassungspflicht gibt.

Die bereits bestehende gesetzliche Handlungspflicht leitet das BAG aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) her. Bereits danach sind Arbeitgeber verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem Beginn, Ende und damit die Dauer der Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden in ihrem Betrieb erfasst werden. Dies leitet der Senat aus einer unionsrechtskonformen Auslegung dieser Arbeitsschutznorm her. Nach Ansicht des BAG kann sich das Initiativrecht damit nicht auf die Einführung der Arbeitszeiterfassung an sich – das „Ob“ – beziehen. Insoweit gibt es keinen Regelungsspielraum.

Besteht ein Betriebsrat, so ist dieser jedoch gemäß § 87 BetrVG bei der Ausgestaltung („wie“) der Zeiterfassung zu beteiligen. Das BAG stärkt insoweit die Mitbestimmungs- und Initiativrechte des Betriebsrats mit Blick auf Regelungen zum Gesundheitsschutz nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Vorbehaltlich anderweitiger künftiger Regelungen durch den Gesetzgeber steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungs- und Initiativrecht für die Ausgestaltung des Systems zur Arbeitszeiterfassung zu.

Was heißt das?

Das BAG sieht die Arbeitgeber bereits jetzt in der Pflicht, sämtliche Arbeitszeiten zu erfassen. Eine Übergangsfrist gibt es nicht! Nur geleistete Überstunden zu erfassen, genügt ausdrücklich nicht mehr.

Hinsichtlich des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats hat das BAG dieses zwar hinsichtlich des „Obs“ der Erfassung abgelehnt – hinsichtlich des „Wie“ jedoch gestärkt. D.h. Arbeitgeber sind in Betrieben, die einen Betriebsrat haben, nicht frei in der Entscheidung, ob die Erfassung mit „Stift und Papier“ oder elektronisch erfolgen soll (= Ausgestaltung). Vielmehr besteht hinsichtlich der näheren Ausgestaltung ein Gestaltungsspielraum, jedenfalls solange der Gesetzgeber nicht tätig wird und es keine gesetzliche Regelung gibt. Diesen Spielraum können die Arbeitgeber nur mit dem Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nutzen und die Einzelheiten der Arbeitszeiterfassung festlegen.

Praxistipp

Auch wenn bereits jetzt eine Arbeitszeiterfassungspflicht für Arbeitgeber besteht, sollten Arbeitgeber einen „kühlen Kopf“ bewahren. Der Gesetzgeber hat angekündigt, dass im ersten Quartal 2023 ein entsprechender Gesetzesentwurf zu erwarten ist. Es wäre sehr misslich, wenn nun kurzfristig Maßnahmen ergriffen werden, die nur kurze Zeit später überholt wären. Daher ist Arbeitgebern zu raten, die verbleibende Zeit zu Vorbereitungsmaßnahmen und Analysen zu nutzen.

Zunächst sollte analysiert werden, ob und inwieweit im betrieblichen Einzelfall (aktuell) schon vor der zu erwartenden Gesetzesänderung Handlungsbedarf besteht. Auch sollten Arbeitgeber überprüfen, für welche Arbeitnehmer welche Arbeitszeiten derzeit erfasst werden. Je nach Ausgangslage im jeweiligen Betrieb kann es sinnvoll sein, zurückhaltend zu agieren und mit der Verhandlung und Vereinbarung neuer betrieblicher Regelungen – sofern ein Betriebsrat vorhanden ist – zuzuwarten, bis der Gesetzgeber die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung näher ausgestaltet hat. Die zu erwartende Neuregelung kann zu Veränderungen beim Umfang der Ausgestaltungsmöglichkeiten und damit der Mitbestimmung führen, so dass die „Halbwertzeit“ kurzfristig verhandelter betrieblicher Regelungen kurz sein kann. Unmittelbare Bußgelder drohen bei einem Verstoß gegen die Zeiterfassungspflicht nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG derzeit nicht, weil dies (momentan) keine Ordnungswidrigkeit darstellt.

Die Rechtsprechung wird für Sie aufgearbeitet von Frau Dr. Felisiak von ADVANT Beiten Rechtsanwaltsgesellschaft GmbH.

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