BAG: Sachgrundlose Befristung im Anschluss an eine Arbeitnehmerüberlassung
Der Einsatz eines Arbeitnehmers als Leiharbeitnehmer gilt nicht als Vorbeschäftigung im Sinne des § 14 Abs. 2 TzBfG und steht damit einer anschließenden sachgrundlosen Befristung nicht entgegen
Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 05.04.2023 – Az. 7 AZR 224/22, 7 AZR 223/22, 7 AZR 222/22
Worum geht es?
Es geht um die Frage, ob eine Vorbeschäftigung im Sinne des § 14 Abs. 2 S. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) vorliegt, wenn ein Arbeitnehmer zunächst als Leiharbeitnehmer in einem Unternehmen tätig war und anschließend in dem gleichen Unternehmen (direkt) angestellt wird.
Im Befristungsrecht wird danach unterschieden, ob es einen (im Gesetz genannten) Sachgrund für die Befristung gibt oder nicht. Die Befristung mit Sachgrund nach § 14 Abs. 1 TzBfG ist jederzeit möglich. Bei einer Befristung ohne Sachgrund ist hingegen nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 TzBfG eine kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Bis zu dieser Gesamtdauer ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 TzBfG die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrags zulässig. Außerdem regelt das Gesetz, dass eine Befristung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht zulässig ist, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Hierbei handelt es sich um das sogenannte „Vorbeschäftigungsverbot“.
Das BAG ging früher davon aus, dass bereits eine Unterbrechung von drei Jahren genügt, um nach dem Ende eines Arbeitsverhältnisses erneut eine sachgrundlose Befristung wirksam zu vereinbaren. 2018 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) allerdings, dass diese Rechtsprechung mit dem Gesetz unvereinbar sei. Seitdem sind Arbeitgeber – auch wenn Ausnahmen vom Vorbeschäftigungsverbot denkbar sind – auf der „sicheren“ Seite, wenn bei einer Vorbeschäftigung eine Sachgrundbefristung vereinbart wird.
Ausgehend vom Gesetzeswortlaut in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist jede Vorbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber schädlich, unabhängig davon in welcher Form diese bestand oder wie lange diese bereits zurückliegt. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung ist es jedoch, sog. „Kettenbefristungen“, d.h. das unzulässige und missbräuchliche Aneinanderreihen einer Vielzahl von befristeten Verträgen, zu verhindern. Ein diesbezügliches Risiko besteht typischerweise nicht, wenn eine Vorbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber entweder sehr lange zurückliegt, ganz anders geartet war oder nur von sehr kurzer Dauer. Entsprechend sind Ausnahmen je nach Einzelfall denkbar.
Der Sachverhalt
Die Parteien stritten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis wirksam befristet werden konnte und damit aufgrund einer Befristung zum 31.05.2020 endete.
Der Kläger war seit dem 13.09.2016 bei einem Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung (nachfolgend „A“ genannt) auf der Grundlage mehrerer, zuletzt bis 31.08.2019 befristeter Arbeitsverträge beschäftigt. Während der gesamten Dauer war er der Beklagten – einem Unternehmen der Automobilindustrie – zur Arbeitsleistung überlassen und in deren Betrieb am Standort H als Produktionshelfer eingesetzt. An diese Arbeitnehmerüberlassung schloss sich nahtlos ein befristeter Vertrag an, den der Kläger und die Beklagte (direkt) schlossen. Diese Befristung des direkt geschlossenen Vertrags lief vom 01.09.2019 bis zum 31.05.2020 und der Kläger wurde weiter am Standort H eingesetzt.
Mit Schreiben vom 12.05.2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Befristung ende und keine Anschlussbeschäftigung an einem ihrer Standorte angeboten werden könne.
Für die Entscheidung spielt weiter eine Rolle, dass die Beklagte, die A und die Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) einen „Tarifvertrag über die Vergütung und Einsatzbedingungen von Zeitarbeitnehmern“ (TV VEZ) geschlossen hatten, der während dieser Zeit galt. Dieser regelte u.a., dass der Einsatz von Zeitarbeitnehmern der A auf maximal 36 aufeinanderfolgende Monate befristet werden konnte.
Der Kläger klagte gegen die auslaufende Befristung und berief sich darauf, dass eine „Vorbeschäftigung“ bestand. Außerdem habe die im TV VEZ festgelegte Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von 36 Monaten für sein Arbeitsverhältnis mit der A nicht gegolten. Argument: er sei kein Mitglied in der tarifschließenden Gewerkschaft im maßgeblichen Zeitpunkt gewesen; zudem sei die Regelung im TV VEZ verfassungs- und unionsrechtswidrig.
Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht sah dies jedoch anders und gab der Klage statt.
Die Entscheidung
Das BAG schloss sich der erstinstanzlichen Auffassung an. Die eingereichte Befristungskontrollklage ist – so das BAG – ebenso unbegründet wie die erstrebte Feststellung eines Arbeitsverhältnisses der Parteien vom 1. November 2018 bis zum 31.08.2019.
Das BAG entschied, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten – dem Unternehmen der Automobilindustrie – ein befristetes Arbeitsverhältnis „nur“ von neun Monaten (01.09.2019 bis 31.05.2020) bestand und damit die nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 TzBfG zulässige Höchstbefristungsdauer von zwei Jahren nicht überschritten wurde.
Die vorangehende Überlassung stand der wirksamen Befristung nicht entgegen. Hierin lag keine Vorbeschäftigung. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass der Gesetzgeber für das Verbot der sachgrundlosen Befristung nach einer Vorbeschäftigung auf den rechtlichen Bestand eines formellen Arbeitsverhältnisses mit dem Vertragsarbeitgeber abstellt und nicht – wie hier – auf eine Beschäftigung in demselben Betrieb (st. Rspr., vgl. BAG 15.12.2021 – 7 AZR 530/20 – Rn. 17 mwN). Der Kläger war in der Zeit vor seiner befristeten Einstellung bei der Beklagten nicht bei dieser, sondern bei der A – dem Arbeitnehmerüberlasser – und damit bei einer anderen juristischen Person im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt. Entsprechend lag bereits aus diesem Grund eine Vorbeschäftigung nicht vor.
Im Übrigen fand die tarifvertragliche Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer auch auf die Überlassung des Klägers Anwendung. Die in § 1 Abs. 1b Satz 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz („AÜG“) festgelegte gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten wurde durch den Tarifvertrag auf 36 Monate verlängert – entsprechend wurde vor dem 01. September 2019 kein Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten – dem Unternehmen der Automobilindustrie – fingiert. Die Tatsache, dass der Kläger selbst nicht Gewerkschaftsmitglied war, spielte keine Rolle. Notwendig ist – nach der Rechtsprechung des BAG – insoweit allein die Tarifgebundenheit des Entleihers. Für den Verleiher und den überlassenen Arbeitnehmer gilt die tarifliche Regelung unabhängig von deren Tarifgebundenheit (ausf. BAG 14. September 2022 – 4 AZR 83/21 – Rn. 26 ff.). Es handele sich bei einer solchen tarifvertraglichen Regelung weder um eine Inhalts- noch eine Betriebsnorm i.S.v. § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 2 TVG. Vielmehr machen die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche von der ihnen vom Gesetzgeber eingeräumten Regelungsermächtigung Gebrauch, die sich von den in § 1 Abs. 1 TVG genannten Arten von Tarifnormen und deren unmittelbarer und zwingender Geltung unterscheide.
Was heißt das?
- Die Überlassung des Klägers überschritt zwar die in § 1 Abs. 1b Satz 2 AÜG festgelegte gesetzliche Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten. Diese war aber gemäß § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG durch Tarifvertrag wirksam auf 36 Monate verlängert worden, so dass ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten (ehem. Entleiherin) nicht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1b, § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG fingiert wurde.
Handlungsempfehlung
Sachgrundlose Befristungen bei Vorbeschäftigungen können kompliziert und immer mit einem gewissen Risiko verbunden sein. Wollen Arbeitgeber hier sicher sein, dass die Befristung gerichtsfest ist und einer etwaigen Überprüfung Stand hält, dann sollten Arbeitgeber bei einer Vorbeschäftigung von einer sachgrundlosen Befristung Abstand nehmen. Anders ist dies allerdings, wenn sie selbst nicht Arbeitgeber einer vermeintlichen Vorbeschäftigung waren, sondern der Arbeitnehmer vorher als Leiharbeitnehmer im Unternehmen tätig war. Maßgeblich ist der jeweilige Vertragsarbeitgeber.
Handlungsempfehlung Sachgrundlose Befristungen bei Vorbeschäftigungen können kompliziert und immer mit einem gewissen Risiko verbunden sein. Wollen Arbeitgeber hier sicher sein, dass die Befristung gerichtsfest ist und einer etwaigen Überprüfung Stand hält, dann sollten Arbeitgeber bei einer Vorbeschäftigung von einer sachgrundlosen Befristung Abstand nehmen. Anders ist dies allerdings, wenn sie selbst nicht Arbeitgeber einer vermeintlichen Vorbeschäftigung waren, sondern der Arbeitnehmer vorher als Leiharbeitnehmer im Unternehmen tätig war. Maßgeblich ist der jeweilige Vertragsarbeitgeber. |
von Frau Dr. Felisiak von Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte.