BAG-Urteil: Lohngleichheit für Minijobber
Gleiche Qualifizierung, gleiche Tätigkeit und trotzdem keine gleiche Vergütung - nur weil es sich einmal um einen Vollzeitbeschäftigten und das andere mal um einen „Minijobber“ handelt? Das geht nicht, entschied das BAG.
Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 18.01.2023 – 5 AZR 108/22
Worum geht es?
Oft wird in der Praxis Folgendes vergessen: geringfügig Beschäftigte („Minijobber“) sind Teilzeitbeschäftigte i.S.d. Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) und genießen denselben Diskriminierungsschutz wie z.B. ein Teilzeitbeschäftigter mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden. Spielraum gibt es insoweit nicht, da der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 TzBfG ausdrücklich klarstellt, dass geringfügig Beschäftigte Teilzeitbeschäftigte sind.
Eine (mittelbare) Diskriminierung von Minijobbern steht dann im Raum, wenn Unternehmen eine Ungleichbehandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten anhand des Volumens der Arbeitszeit begründen. Nur wenn es einem Unternehmen gelingt, die Ungleichbehandlung etwa anhand des Aufgabenumfangs oder des Leistungszwecks sachlich zu rechtfertigen, ist eine Ungleichbehandlung ausnahmsweise zulässig.
Mit der neuen Entscheidung des BAG zu diesem Themenkreis wird – ausweislich der bislang veröffentlichten Pressemitteilung – klar, dass der Schutz der „Minijobber“ ausgeweitet wird. Die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung (mittelbarer) Diskriminierungen von „Minijobbern“ werden dahingehend ausweitet, dass das BAG einen niedrigeren Stundenlohn für geringfügig Beschäftigte bei identischer Tätigkeit als diskriminierend einstuft.
Der Sachverhalt
Die beklagte Arbeitgeberin beschäftigt sogenannte „hauptamtliche“ Rettungsassistenten in Voll- und Teilzeit, denen sie verbindliche Einsatzzeiten zuteilt. Daneben sind in dem Unternehmen ebenfalls geringfügig beschäftigte Rettungsassistenten tätig, die hinsichtlich Ort und Umfang ihrer Arbeitszeit keinen arbeitgeberseitigen Weisungen unterliegen. Die geringfügig beschäftigten Rettungsassistenten – im Jargon des Unternehmens sogenannte Nebenamtliche – dürfen Wunschtermine äußern bzw. Anfragen für Dienste ablehnen, weswegen ihnen das Unternehmen nur einen Lohn von 12,00 Euro brutto die Stunde zahlt – statt wie den „hauptamtlichen“ Rettungsassistenten von 17,00 Euro brutto pro Stunde.
Alle Rettungsassistenten verrichten die gleichen Tätigkeiten und verfügen über die gleiche fachliche Qualifikation. Die Vergütungsdifferenz begründete das Unternehmen mit der größeren Planungssicherheit und dem geringeren Planungsaufwand, der mit der Beschäftigung der „hauptamtlichen“ Rettungsassistenten einhergehe, da die geringfügig beschäftigten Rettungsassistenten Wunschtermine äußern bzw. Anfragen für Dienste ablehnen dürften.
Die Entscheidung
Das BAG entschied, dass die niedrigere Stundenvergütung die geringfügig Beschäftigten („Minijobber“) ohne sachlichen Grund benachteilige. Das BAG bekräftigt damit die Regel, dass geringfügig Beschäftigte („Minijobber“) bei gleicher Qualifikation und identischer Tätigkeit keinen geringeren Stundenlohn erhalten dürfen als Vollzeitbeschäftigte.
Das BAG argumentiert, dass ein lediglich pauschal ins Feld geführter Mehraufwand bei der Einsatzplanung keinen niedrigeren Stundenlohn bei identischer Tätigkeit rechtfertige. Selbst wenn der Einsatz der hauptamtlichen Rettungsassistenten zu mehr Planungssicherheit führen würde, sei das Unternehmen dennoch unter anderem an die durch das Arbeitszeitgesetz vorgegebenen Grenzen gebunden und daher in der Einsatzplanung des Personals nicht frei. Zudem rechtfertige der Umstand, dass Arbeitnehmer auf Anweisung des Arbeitgebers zu bestimmten Arbeitszeiten erscheinen müssen, keine höhere Stundenvergütung im Vergleich zu Arbeitnehmern, die frei sind, Dienste anzunehmen oder abzulehnen.
Was heißt das?
Geringfügig Beschäftigte, die in Bezug auf Umfang und Lage der Arbeitszeit keinen Weisungen des Arbeitgebers unterliegen, jedoch Wünsche anmelden können, denen dieser allerdings nicht nachkommen muss, dürfen bei gleicher Qualifikation für die identische Tätigkeit keine geringere Stundenvergütung erhalten als Vollzeitbeschäftigte, die durch den Arbeitgeber verbindlich zur Arbeit eingeteilt werden. Auch hier gilt der Grundsatz: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.
Außerdem räumt das Urteil des BAG mit der Illusion der „Minijobber“ als Arbeitnehmer zweiter Klasse auf und führt eindrucksvoll vor Augen, dass eine verbotene Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter bereits im Rahmen von – ohne böse Absichten – eingeführter vielfältiger Arbeitsmodelle versteckt lauern kann.
Handlungsempfehlung Die Gewährung eines vergleichsweise niedrigeren Stundenlohns für geringfügig Beschäftigte / „Minijobber“ kann für Unternehmen kostspieligen werden, selbst wenn der Grund für die schlechtere Bezahlung jedenfalls auf den ersten Blick gar nicht in der geringeren Arbeitszeit liegt. Im Umgang mit Vergütungsmodellen in diesem Bereich ist erhöhte Sorgfalt geboten. Nur dann, wenn es gelingt, die Ungleichbehandlung sachlich zu rechtfertigen – zum Beispiel mit dem Zweck der Arbeitsleistung oder mit unterschiedlicher Arbeitsbelastung – ist eine Ungleichbehandlung ausnahmsweise zulässig. Unternehmen, die derzeit noch über differenzierte Vergütungsmodelle verfügen, sollten diese somit dahingehend überprüfen, ob die Aufrechterhaltung des Status quo auch unter Berücksichtigung dieses Urteils noch möglich ist. Das BAG nimmt eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen Teilzeitarbeit großzügig an. |
Die Rechtsprechung wird für Sie aufgearbeitet von Frau Dr. Felisiak von ADVANT Beiten Rechtsanwaltsgesellschaft GmbH.