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Corona: Grundsatzurteil für Reiserückkehrer

Reisen Arbeitnehmer in Risikogebiete, kann dies für Arbeitgeber teuer werden. Jedenfalls dann, wenn sie strengere Quarantäneregeln vorschreiben als es die behördlichen Regelungen tun. Arbeitgeber tragen in einem solchen Fall das Risiko des Annahmeverzugslohns, entschied das BAG am 10.08.2022.

Arbeitsrecht
Lesezeit 2 Min.
Reisen in der Zeit von Covid-19: Vorbereitung auf eine Reise mit gesundheitlichen Bedenken und Einschränkungen.
Foto: © adobe.stock.com/Maksym Yemelyanov

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 10.08.2022 – 5 AZR 154/22

Worum geht es?

Mitten in der Hauptreisezeit hat das BAG zu der Frage entschieden, was passiert, wenn Arbeitgeber weitergehende Hygienemaßnahmen anordnen, als es das Gesetz vorsieht. Erteilt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der aus einem Covid-Risikogebiet zurückkehrt, ein 14-tägiges Betretungsverbot für das Betriebsgelände, obwohl der Arbeitnehmer entsprechend den verordnungsrechtlichen Vorgaben bei der Einreise aufgrund der Vorlage eines aktuellen negativen PCR-Tests und eines ärztlichen Attests über Symptomfreiheit keiner Quarantänepflicht unterliegt, schuldet der Arbeitgeber grundsätzlich die Vergütung wegen Annahmeverzugs.

Der Sachverhalt

Der Kläger ist bei einem Lebensmittelunternehmen als Leiter der Nachtreinigung beschäftigt. Die Beklagte erstellte zum Infektionsschutz ein Hygienekonzept, das für Arbeitnehmer, die aus einem vom RKI ausgewiesenen Risikogebiet zurückkehren, eine 14-tägige Quarantäne mit Betretungsverbot des Betriebs ohne Entgeltanspruch anordnet.

Dies ging über die gesetzlichen Vorgaben des Landes Berlin hinaus, die vorsahen, dass nach Einreise aus einem Risikogebiet grundsätzlich eine Quarantänepflicht nicht für Personen gilt, die über ein ärztliches Attest nebst negativem PCR-Test verfügen, der höchstens 48 Stunden vor Einreise vorgenommen wurde, und die Arbeitnehmer keine Symptome einer COVID-19-Erkrankung aufweisen.

Der Kläger reiste während seines Urlaubs in die Türkei, die zu dieser Zeit als Corona-Risikogebiet ausgewiesen war. Vor der Ausreise aus der Türkei unterzog er sich einem PCR-Test, der ebenso wie der erneute Test nach Ankunft in Deutschland negativ war. Der Arzt des Klägers attestierte ihm zudem Symptomfreiheit, sodass keine Quarantänepflicht nach den behördlichen Vorgaben bestand.

Die Beklagte verweigerte dem Kläger dennoch für die Dauer von 14 Tagen den Zutritt zum Betrieb und zahlte keine Vergütung für diesen Zeitraum. Mit seiner Klage machte der Kläger die Vergütung geltend.

Die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben – zu Recht, so das BAG. Der beklagte Arbeitgeber befand sich mit der Annahme der vom Kläger angebotenen Arbeitsleistung in Annahmeverzug, da das Betretungsverbot des Betriebs nicht zur Leistungsunfähigkeit des Klägers nach § 297 BGB führte. Vielmehr war der Arbeitgeber selbst für die Nichterbringung der Arbeitsleistung verantwortlich.

Auch hat die Beklagte nicht dargelegt, warum ihr die Annahme der Arbeitsleistung des Klägers aufgrund der konkreten betrieblichen Umstände unzumutbar war. Die Weisung, dem Betrieb für die Dauer von 14 Tagen ohne Fortzahlung des Arbeitsentgelts fernzubleiben, war außerdem unbillig (§ 106 GewO) und daher unwirksam. Vielmehr hätte die Beklagte dem Kläger die Möglichkeit eröffnen müssen, durch einen weiteren PCR-Test eine Infektion weitgehend auszuschließen. Hierdurch hätte sie den nach § 618 Abs. 1 BGB erforderlichen und angemessenen Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer erreichen und einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf sicherstellen können.

Was heißt das?

Soweit das Hygienekonzept eines Unternehmens zum Schutz sämtlicher Mitarbeiter eine strengere Quarantänepflicht vorsieht als die gesetzlichen Regelungen oder die verordnungsrechtlichen Vorgaben, verliert der Mitarbeiter bei einem Betretungsverbot des Betriebs nicht seinen Anspruch auf Vergütung.

Arbeitgeber können zwar nach wie vor Hygienekonzepte erstellen, die über die behördlichen Vorgaben hinausgehen. Hierbei ist jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser war vorliegend nicht gewahrt.

Handlungsempfehlung

Arbeitgeber sollten regelmäßig ihre Hygienekonzepte mit Blick auf die geltenden behördlichen Maßnahmen überprüfen. Ein Betretungsverbot und ein damit verbundener Verlust des Vergütungsanspruchs könnte beispielsweise unter Einbeziehung des Betriebsrats in Form einer Betriebsvereinbarung wirksam implementiert werden. Ohne eine rechtliche Grundlage ist dies nur in engen Ausnahmefällen möglich.

 

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