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Der Gleichbehandlungsgrundsatz im AÜG ist eine Einbahnstraße

Nach § 13 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) kann ein Leiharbeitnehmer im Falle der Überlassung von seinem Entleiher Auskunft über die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts verlangen.

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Bei dem Thema Leiharbeitnehmer ging es bisher immer um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzung Leiharbeitnehmer einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit der Stammbelegschaft haben. Dieses Mal hatte das LAG Mecklenburg-Vorpommern über den umgekehrten Fall zu entscheiden. Eine fest angestellte Arbeitnehmerin forderte das – höhere! – Gehalt ihrer Kollegen, die als Leiharbeitnehmer im Betrieb des Arbeitgebers eingesetzt waren.

Verortung des Urteils

§ 8 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) regelt, dass Leiharbeiter nicht weniger verdienen dürfen als vergleichbare Stammarbeitnehmer. Hierbei handelt es sich um eine gesetzliche Schutzvorschrift.

In dem entschiedenen Fall stellte sich die Frage, ob sich hierauf auch eine Stammarbeitnehmerin berufen kann.

 

Sachverhalt

Die Klägerin war für die beklagte Arbeitgeberin als Call-Center-Agentin im Servicecenter tätig. Die Beklagte beschäftigt bundesweit rund 2.500 Mitarbeiter an 21 Standorten, von denen sie mit etwa 900 selbst einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat.

Im Übrigen setzt sie Leiharbeitnehmer ein, von denen mehr als 1.500 aus konzernangehörigen und ca. 70 aus konzernfremden Unternehmen stammen. Am Standort der Klägerin arbeiteten ca. 45 Beschäftigte, von denen – neben der Klägerin, nur noch ein weiterer Call-Center-Agent in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten stand. Alle anderen Mitarbeiter des Standorts – einschließlich der Vorgesetzten der Klägerin – waren in anderen Konzerngesellschaften angestellt und als Leiharbeitnehmer bei der Beklagten eingesetzt. Sie erhielten eine höhere Vergütung, auch wenn sie – so wie die Klägerin – als Call-Center-Agent tätig waren.

Die Klägerin war der Ansicht, dass sie zwar formal als Arbeitnehmerin eingestellt wurde, tatsächlich aber an ihrem Standort eine Leiharbeitnehmerin sei, da der Betrieb gerade nicht von der Beklagten geführt werde, sondern von der Konzerngesellschaft, die neben den gesamten Führungskräften auch den weitaus größten Teil der Call-Center-Agenten stelle. Als vermeintliche Leiharbeitnehmerin machte die Klägerin deshalb Auskunftsansprüche über die für vergleichbare Arbeitnehmer geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts geltend, um – darauf gestützt – die höhere Vergütung ihren Kollegen einklagen zu können.

 

Die Entscheidung

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern ist dieser Argumentation nicht gefolgt und hat die Klage rechtskräftig abgewiesen. Nach § 13 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) kann ein Leiharbeitnehmer im Falle der Überlassung von seinem Entleiher Auskunft über die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts verlangen.

Der Auskunftsanspruch soll es dem Leiharbeitnehmer ermöglichen, die Einhaltung des Gleichstellungsgrundsatzes aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG zu prüfen und evtl. Differenzansprüche zu beziffern. Danach ist der Verleiher verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren (Gleichstellungsgrundsatz). Diese Regelung schützt Leiharbeitnehmer vor einer Schlechterstellung gegenüber einem vergleichbaren Stammarbeitnehmer. Sie schützt jedoch nicht die Stammarbeitnehmer. Ein Anspruch auf Gewährung des Entgelts der besser vergüteten Leiharbeitnehmer ergibt sich daraus nicht, so das LAG.

Die Klägerin konnte sich im vorliegenden Fall auch nicht darauf berufen, dass sie im eigenen Betrieb „faktisch“ eine Leiharbeitnehmerin sei, da alle ihre Vorgesetzten und Kollegen bei einer anderen Konzerngesellschaft angestellt sind.

Vertragsarbeitgeber ist – so die Feststellungen der Richter – allein die Beklagte. Die Klägerin erbringt ihre Arbeitsleistung als Call-Center-Agentin auch im Betrieb der Beklagten, selbst wenn alle anderen Kollegen um sie herum von einer anderen Konzerngesellschaft ausgeliehen wurden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass selbst die Vorgesetzten der Klägerin nicht bei der Beklagten angestellt waren. Denn auch sie verfolgten mit ihrer Tätigkeit allein die Betriebszwecke der Beklagten.

#KurzErklärt

  • Der Entscheidung lag eine etwas kurioser Sachverhalt zu Grunde. Gleichwohl ist das Urteil wichtig und bringt Rechtssicherheit für die Praxis. Denn unabhängig von der Frage, in welchem Umfang und auf welchen Positionen Leiharbeitnehmer eingesetzt werden, stellt das Gericht klar: Ein Arbeitnehmer wird nicht deshalb zu einem Leiharbeitnehmer, weil seine direkten Vorgesetzten und die Mehrzahl der Mitarbeiter im Betrieb nicht in einem Arbeitsverhältnis zur Arbeitgeberin stehen, sondern als Leiharbeitnehmer aus einem anderen (konzernangehörigen) Unternehmen beschäftigt sind.
Praxistipp

Praxistipp
Unternehmen sind frei darin, ihren Betrieb so zu organisieren, wie sie es unter Berücksichtigung der jeweiligen Bedürfnisse als erforderlich ansehen; dies gilt insbesondere auch beim Einsatz von Leiharbeitnehmer. Selbst wenn die Leiharbeitnehmer im Betrieb „dominieren“, werden sie damit nicht zur Stammbelegschaft. Umgekehrt kann die tatsächliche Stammbelegschaft sich nicht – auch nicht als „Minderheit“ im Betrieb – auf das AÜG berufen, um die höhere Vergütung der Leiharbeitnehmer einzuklagen. Dies gilt auch dann, wenn die Leiharbeitnehmer nicht bei externen Zeitarbeitsunternehmen, sondern innerhalb des Konzernes angestellt sind.

Ein „konzernweites Gleichbehandlungsgebot“ existiert allenfalls in engen Ausnahmefällen, etwa wenn von dem herrschenden Unternehmen bestimmte Leistungen üblicherweise konzernweit erbracht werden und auf den Fortbestand dieser Übung ein schützenswertes Vertrauen der Arbeitnehmer der Konzernunternehmen entstanden ist (Bundesarbeitsgericht vom 04.10.1994 – 3 AZR 910/93). Allein die Anzahl und die Hierarchiestufe, auf denen der Arbeitgeber Fremdpersonal einsetzt, führt nicht dazu, dass die Stammbelegschaft verlangen kann, mit dem Fremdpersonal gleichgestellt zu werden.

von Frau Dr. Felisiak von Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte

LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 09.01.2024 – 5 Sa 37/23