Einfach all inclusive?
Mit jedem Jobtitel, jeder Position und jeder Rolle bringen wir bestimmte Aufgaben und Anforderungen in Verbindung und definieren dadurch bereits im Vorfeld doch schon sehr, wie der Arbeitsmensch möglichst sein und was er „am besten mitbringen soll“. Der Fachkräftemangel verstärkt noch mehr die Verantwortung, (geistige) Grenzen und Hürden zu beseitigen, Barrieren abzubauen und uns weiter zu öffnen. Welche Chancen geben wir dabei heute der Diversität wirklich?
Mit jedem Jobtitel, jeder Position und jeder Rolle bringen wir bestimmte Aufgaben und Anforderungen in Verbindung und definieren dadurch bereits im Vorfeld doch schon sehr, wie der Arbeitsmensch möglichst sein und was er „am besten mitbringen soll“. Der Fachkräftemangel verstärkt noch mehr die Verantwortung, (geistige) Grenzen und Hürden zu beseitigen, Barrieren abzubauen und uns weiter zu öffnen. Welche Chancen geben wir dabei heute der Diversität wirklich?
Kurz mal „Job-Tindern?“
Nur wenige (Social-Media-)Klicks bis zum Jobangebot machen es im Grunde nicht unbedingt besser oder „einfacher“. Ein verkürzter Weg schafft vielleicht eine schnellere, aber längst keine bessere Grundlage für die Personalauswahl. Wer Bewerberbiografien zunächst weitestgehend „ausblendet“, sollte sich genau darüber im Klaren sein, wo man wirklich einfacher, offener und unvoreingenommener – als bisher praktiziert – entscheiden will. So viele man auf den ersten Blick ansprechen mag, geht es im Grunde meist doch darum, damit nicht möglichst vielen Bewerbern gerecht zu werden, sondern letztlich „schnell mal“ den optimal passenden Kandidaten zu finden. Recruiting wird nicht „automatisch“ diverser, inklusiver, zeitgemäßer oder zukunftsträchtiger, nur weil man moderne Methoden, Prozesse oder Kampagnen aufsetzt.
Auch bei OTTO haben die klassischen Bewerbungen ausgedient, was dem Unternehmen viel positive Resonanz eingebracht hat. Hier wird mittlerweile nicht nur auf das Motivationsschreiben verzichtet, sondern die einst obligatorischen Motivationsfragen wurden gleich ganz gestrichen. Bei der Bewerbung soll man einfach das Freitextfeld für ergänzende Angaben nutzen. Davon verspricht man sich vor allem die als entscheidend erachtete Authentizität und eine persönliche Note. Mit den aktuellen Inseraten möchte man Interessierte schneller und einfacher ermutigen und setzt dann auf das Kennenlerngespräch. Aber nicht jeder Lebenslauf, der hier noch gefordert wird und woanders als von vorgestern gilt, vermittelt unbedingt Werte, Visionen oder Kompetenzen auf die gewünschte authentische Weise. Jeder könne doch heutzutage ganz einfach ein kurzes Bewerbungsvideo drehen, unken die einen, während andere ganz im Sinne des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) erstmal auf ein Bewerbungsbild verzichten. Wie gibt man Quereinsteigern in einem solchen Rahmen tatsächlich eine echte (und vergleichbare) Chance und ermöglicht Bewerbungen und Karrieren, die sonst so nicht möglich gewesen und passiert wären? Hier allerdings auf ein einziges Erfolgsrezept zu hoffen und zu setzen, wird wahrscheinlich bedeuten, sich immer noch zu viele Chancen entgehen zu lassen.
Individualität inbegriffen?
Gerade in der Führung (mit ihrer Vorbildfunktion) liegt die besondere Verantwortung, in jedem Teammitglied nicht nur eine Arbeitskraft, sondern eine individuelle Persönlichkeit zu sehen. Das bedeutet aber gleichzeitig auch, dass kein Raum sein sollte für herablassendes oder respektloses Verhalten, eine unfaire Behandlung oder mangelnde Anerkennung und Wertschätzung. Geduld und Verständnis sind Grundvoraussetzungen, und diese müssen (auch von oben) gelebt werden. Genauso darf durchaus auch (noch mehr) gelernt werden, mit Individualität umzugehen, ihr den angemessenen Raum in der Arbeitswelt einzuräumen und sie darüber hinaus positiv einzusetzen. Wer zunehmend auf Soft Skills setzt, der braucht auch das richtige Handling und die richtige Umgebung dafür. Wenn alle (weiter) nur auf das bauen, was sie bisher kennen und praktizieren, kann weder Neues entstehen noch hinzukommen. Die entscheidende Änderung ist nicht nur eine anfängliche Akzeptanz, sondern eine prozessuale Bewusstseinserweiterung in den Teams und im Unternehmen – durch und durch. Diversität ist etwas, das nicht nur eingeführt wird, sondern auch „trainiert“ werden sollte, damit es funktioniert.
Während die Surface Level Diversity sich auf die offensichtlicheren Dimensionen wie Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und Alter bezieht, zielt die Deep Level Diversity auf die Vielfalt der „nicht sichtbaren Merkmale“ ab. Hier geht es darum, wie Menschen denken, kommunizieren und arbeiten – aufgrund ihrer individuellen Fähigkeiten, Erfahrungen und gelebten Werte, also das, was den Menschen als Persönlichkeit ausmacht. Für eine inklusive und produktive Arbeitswelt sind die vielfältigen Schichten und die Summe der daraus resultierenden Potenziale und Perspektiven entscheidend. Es bleibt aber die Kunst und gleichzeitig Kür, solche heterogenen Teams tatsächlich zu führen, gerade wenn es um komplexere Ansprüche und Aufgaben geht.
Alle auf Unisex?
Raum für Diversität zu schaffen im Unternehmen, bedeutet auch, Bedürfnisse und damit möglicherweise einhergehende Hemmnisse oder Widerstände bis zum Ende durchzudenken. Es reicht sehr wahrscheinlich nicht immer und überall aus, einfach Toilettenschilder mit „divers“ zu ergänzen und es nach Bauchgefühl einem der Geschlechterbereiche männlich oder weiblich zur Nutzung räumlich einfach „zuzuordnen“. Eine solche Frage lässt sich hierzulande unter Umständen nicht so einfach mit der Einrichtung einer Unisex-Toilette lösen, denn bei einer Mitarbeiterzahl von mehr als neun Beschäftigten müssen sowohl die Toilettenräume als auch die sanitären Anlagen geschlechtergetrennt eingebaut beziehungsweise zur Verfügung gestellt werden.
Nach der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) sind ausdrücklich separate Toiletten bereitzustellen, also getrennte Toiletten für Männer und Frauen. Während also die Benachteiligung wegen des Geschlechts nach dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (AGG) verboten ist, Diverse gleichberechtigt bei Stellenausschreibungen zu berücksichtigen sind und entsprechend ihrem Wunsch angesprochen oder angeschrieben werden müssen, gibt es darüber hinaus keine Vorschrift, ein zusätzliches WC für „divers“ zu bauen oder einzurichten. Wer darauf eingehen und damit auch eine echte Akzeptanz erreichen möchte, wird sich unter Umständen weitreichendere Gedanken machen müssen als die, was für eine Art von Schild mit welchem Piktogramm er dafür bestellen sollte.
Wird Diversity weiblich?
Das konzernweite Karrieremanagement, das die Deutsche Bahn für Frauen Mitte 2021 ins Leben gerufen hat, sollte das ambitionierte Ziel ermöglichen und erreichen, im Jahr 2024 ganze 30 Prozent der Frauen in Führung zu bringen. Dazu wurde das konzernweite Karrieremanagement unter der Dachmarke „Frau Dich!“ installiert, und es wurde für Frauen mit disziplinarischer Führung unter dem Namen „WoManagerIN – Dein Karriere-Check-in“ intensive individuelle Beratung angeboten und intern gezielt vernetzt. Allein der Anteil an Frauen in Führung sei (auch dadurch) im Jahr 2023 noch einmal um knapp 2 auf 27 Prozent gestiegen, wobei die DB langfristig eine gleichberechtigte Teilhabe anstrebt. Generell geht es der Bahn dabei nicht „nur“ um Frauenförderung, sondern man möchte generell grundsätzlich ein vielfältigeres Miteinander erreichen.
Da passt es im „Gegenzug“ äußerst gut in die Entwicklung, dass frischgebackene Väter bei SAP seit September 2023 künftig ab der Geburt des Kindes sechs Wochen Sonderurlaub erhalten – bei vollem Lohnanspruch. Sie sollen so von Anfang an mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen und ihre Familie unterstützen, womit auch im Gegenzug die Väterrolle in der Arbeitswelt endlich auch ihren Platz bekommt. In die gleiche Richtung geht es, dass das Unternehmen Henkel am Anfang des Jahres als erstes DAX40-Unternehmen seinen Mitarbeitenden weltweit acht Wochen Elternzeit bei vollem Gehalt anbietet: „Damit senden wir ein starkes Signal an alle unsere Mitarbeitenden und unterstreichen unser starkes Engagement für die Förderung einer inklusiveren Kultur und mehr Geschlechtergerechtigkeit“, so Carsten Knobel, Vorsitzender des Vorstands von Henkel. Da in Deutschland für Mütter bereits ein achtwöchiger Mutterschutz nach der Geburt besteht, profitieren hier insbesondere Väter und andere Partner:innen von der Neuerung.
Ab 2024 gibt es im ersten Jahr nach der Geburt eines Kindes acht Wochen volles Gehalt, indem Henkel das gesetzliche Elterngeld auf das ursprüngliche Gehalt aufstockt. Diese neue globale Leitlinie richtet sich dabei rein nach der Rolle der Betreuungsperson und gilt gleichermaßen für alle Geschlechter sowie für jegliche Form der Elternschaft, einschließlich Adoptiv- oder Pflegeeltern, gleichgeschlechtlicher Paare oder auch Alleinerziehender. Das Unternehmehen Henkel möchte damit ein klares Zeichen für mehr Gleichberechtigung in der Kinderbetreuung setzen.
Alter auch „nur“ eine Zahl?
Wer sagt oder schreibt: „Alter spielt keine Rolle!“ (auch in der Arbeitswelt), der macht es sich da manchmal etwas zu einfach. Das zielt grundsätzlich natürlich auf die positive Einstellung ab, man sei nur so alt wie man sich fühle, und dient auch dazu, gewisse Vorurteile abzubauen, man gehöre allzu früh zum „alten Eisen“. Ein bestimmtes Alter in der Arbeitslebensbiografie wird meist gleichgesetzt mit einer gewissen Berufsexpertise – dafür gibt es unter anderem schließlich auch die Karrierestufe des Seniors. Zum Thema Altersdiversität und Generationenvielfalt (in einem Team) sind die Psychologen allerdings geteilter Meinung. Wo die einen enorme Potenziale sehen, fürchten andere zu viel „Sprengstoff“ aufgrund der Unterschiedlichkeiten.
Erfahrung sei aber bei weitem nicht nur ein „Privileg des Alters“, so moniert die SPIEGEL-Bestseller-Autorin von „Gen Z“ Yaël Meier (Co-Founder ZEAM & Jobshot und Forbes 30u30). Dazu sagt sie auf LinkedIn: „Jeder vierte Gen Z wird altersdiskriminiert!“ Mit dem Marktforschungstool Appinio seien dafür 1.000 berufstätige Personen zwischen 16 bis 25 Jahren befragt worden und die Ergebnisse seien „alarmierend“. Mehr als ein Drittel fühle sich bereits im Job nicht ernst genommen und 72 Prozent der befragten jungen Menschen seien zum Schluss gekommen, dass es nichts mit ihren Fähigkeiten zu tun habe, sondern lediglich aufgrund ihres Alters passiere. Diese Talente empfinden weniger Engagement und Hingabe für ihre zukünftige berufliche Laufbahn im Vergleich zu Gleichaltrigen, die sich respektiert und ernst genommen fühlen. Der wirkliche Worst Case, der hieraus entstehen könnte, bedeutet nicht nur, dass dabei hochgradig Spannungen entstehen, sondern bereits ganze Blockbildungen stattfinden, wie wir das gerade in der Gen-Z-Debatte erleben.
Fazit: Je verschiedener die Menschen sind, desto länger brauchen sie üblicherweise, um sich aufeinander einzuspielen, was gleichzeitig ein höheres Risiko für Meinungsverschiedenheiten birgt – gerade erleben wir das ganz deutlich in der Debatte um die „Altersdiversität“ in „beide Richtungen“. Was beide Welten ganz unvoreingenommen verbinden könnte und sollte, ist, das nicht „nur jede Altersgruppe“, sondern jede „Gruppe“ in der Arbeitswelt eine angemessene Wertschätzung braucht – genauso wie das einzelne Individuum (mit seinen Eigenheiten und Facetten). Wer es schafft, möglichst viele dieser „Unterschiedlichkeiten“ zu integrieren und sie auf ein wertschöpfendes und vernünftiges Level zu bringen – anstatt sie gegeneinander auszuspielen oder sie unter falschen Voraussetzungen und Voreingenommenheit „auszusortieren“ –, der hat es nicht nur „geschafft“, sondern auch die Gesamtproblematik ganz gut verstanden.
Die Überlegung, ob „bunte Teams“ tatsächlich leistungsfähiger sind, wird von den einen mit Begeisterung gefeiert, während sie dagegen genauso einiger Skepsis und Erfahrungen aus der Praxis standhalten muss. Welche Vorteile Diversität im Einzelnen und auch im großen Ganzen hat, unterliegt oft komplexen und teils auch ideologisch umkämpften Fragestellungen. Für einige Experten findet die gesamte Diskussion um Diversität weiterhin viel zu sehr an der Oberfläche statt und hängt noch zu stark an den offensichtlichsten Merkmalen wie Geschlecht, kultureller Herkunft oder Alter fest. Das wahre Ausmaß und die Bedeutung des Themas Diversität manifestieren sich sowohl in grundlegenden gesellschaftlichen und sozialen Aspekten als auch in subtilen, feineren Nuancen. Diese Erkenntnis unterstreicht, dass der Anspruch an eine umfassende Auseinandersetzung mit Diversität, auch in Zukunft, keineswegs abnimmt.
von unserer LOHN+GEHALT Autorin Dr. Silvija Franjic, Redakteurin + Jobcoach