Gleichbehandlung: Verschieden hohe tarifliche Zuschläge bei regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit können zulässig sein
Viele Tarifverträge differenzieren zwischen gelegentlicher und regelmäßiger schichtplanmäßiger Nachtarbeit und sehen für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Ausgleich vor. Dies finden diejenigen, die regelmäßig Nachtarbeit leisten unfair - dennoch kann diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein, wie das BAG in einem ersten Grundsatzurteil entschied.
Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 22.02.2023 – 10 AZR 332/10
Worum geht es?
Über 400 Klagen sind beim allein beim BAG anhängig, die die Frage betreffen, ob eine unterschiedliche Vergütung (höhere Zuschläge) bei einer unregelmäßigen Nachtarbeit zulässig ist oder nicht.
Das BAG legte die Frage dem EuGH vor und fragte nach der Vereinbarkeit mit europäischem Recht. Der EuGH entschied (EuGH, Urteil vom 07.07.2022 in den Verfahren C‑257/21 und C‑258/21), dass die Festsetzung des Lohn‑ und Gehaltsniveaus der Vertragsautonomie der Sozialpartner auf nationaler Ebene und der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet vorbehalten bleibe. Die konkreten Bestimmungen der Richtlinie zur Nachtarbeit (Art. 8 und 13) betreffen nach Aussage des EuGHs nur Dauer und Rhythmus der Nachtarbeit und damit den Gesundheitsschutz und die Sicherheit der Nachtarbeitenden, wobei den Mitgliedstaaten aber keine Verpflichtungen auferlegt würden. Damit hatte allein das BAG in der Sache zu entscheiden.
Der Sachverhalt
Geklagt hatte eine Arbeitnehmerin des Unternehmen Coca-Cola. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag der Erfrischungsgetränke-Industrie Anwendung. Der Tarifvertrag regelt, dass der Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit 20 % und für unregelmäßige Nachtarbeit 50 % der Stundenvergütung beträgt. Die Mitarbeiterin erhält danach einen Zuschlag von 20 % für die Nachtarbeit, die sie in einem Schichtmodell leistet.
Sie klagte, da die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge ihrer Auffassung nach gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Einen sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung gebe es nicht. Insbesondere seien Mitarbeitende, die regelmäßig nachts arbeiteten, viel höheren Gesundheitsgefährdungen und Störungen ihres sozialen Umfelds ausgesetzt als Beschäftigte, die nur gelegentlich Nachtarbeit leisteten.
Die Entscheidung
Das BAG sah dies anders und stellte fest, dass eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht als für reglmäßige Nachtarbeit dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben ist. Dieser müsse aus dem Tarifvertrag erkennbar sein.
Vorliegend sollte, laut der tarifvertraglichen Regelung im MTV, ein höherer Zuschlag für gelegentliche Nachtarbeit neben den spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit auch die Belastungen durch die geringere Planbarkeit eines Arbeitseinsatzes in unregelmäßiger Nachtarbeit ausgleichen. Dies sei ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung, entschied das BAG.
Was heißt das?
Tarifvertragsparteien dürften im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie grundsätzlich mit einem Nachtarbeitszuschlag neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke verfolgen. Dieser weitere Zweck ergab sich für das BAG aus dem Inhalt der Bestimmungen des MTV, wobei eine Angemessenheitsprüfung im Hinblick auf die Höhe der Differenz der Zuschläge nicht erfolgt sei. Hier verwies das BAG darauf, dass es im Ermessen der Tarifvertragsparteien liege, wie sie den Aspekt der schlechteren Planbarkeit für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, finanziell bewerten und ausgleichen
Handlungsempfehlung Sollten Mitarbeiter mit Forderungen nach einem höheren Zuschlag wegen Nachtarbeit auf Arbeitnehmer zukommen, lohnt sich ein Blick in den Tarifvertrag. Soweit die tarifliche Regelung den höheren Zuschlag entsprechend den vorstehenden Erwägungen rechtfertigt, können sich Arbeitgeber entspannt zurücklehnen. |
Die Rechtsprechung wird für Sie aufgearbeitet von Frau Dr. Felisiak von ADVANT Beiten Rechtsanwaltsgesellschaft GmbH.