KI in der Payroll
„KI kann Leben retten“, „KI verändert Anwaltsberuf“, „KI revolutioniert die Supply Chain“ – es vergeht momentan kaum ein Tag ohne derartige Schlagzeilen. Dabei ist es mit der künstlichen Intelligenz wie mit jedem Hype Train: Am Anfang sind die Erwartungen gigantisch, aber nach und nach kristallisiert sich heraus, dass Aufwand, Nutzen und Rahmenbedingungen wie bei allen anderen Neuerungen die wesentlichen Paradigmen sind. Auch die Hersteller von Payroll-Systemen sind Teil dieser Findungsphase.
Wo steckt denn nun KI drin – und wo nicht? Diese eigentlich banale Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Selbst der von der Europäischen Union als erster Regelungsrahmen für den Einsatz von künstlicher Intelligenz vorgelegte „AI Act“ stellt erst einmal fest, dass es wesentlich sei, zu definieren, was KI ist und was nicht. Vieles von dem, was derzeit unter „KI“ subsumiert wird, betrifft zum Beispiel reines Machine Learning. Deshalb ist die wichtigste Frage, die sich beim KI-Einsatz in der Payroll stellt, zunächst einmal diejenige, ob es sich überhaupt um KI handelt und in welcher Form sie verwendet wird.
Unabhängig von der Payroll gibt es derzeit in der gesamten IT-Branche einen Wettlauf dahingehend, der Erste mit einer marktreifen Version XY zu sein, die KI integriert. Sicherheitsexpertinnen und -experten gehen davon aus, dass Hersteller von Lösungen gelegentlich selbst nicht genau verstehen, wie die KI-Komponenten, die sie integriert haben, wirklich funktionieren – und daraus erhebliche Risiken für die Anwender entstehen können. Das gilt für einen unkritischen Einsatz in Bereichen, in denen „mit KI“ einfach als Marketinginstrument gut funktioniert.
HR als „Hochrisiko-Einsatzgebiet“
Das ist bei der Payroll aus mehreren Gründen eher nicht der Fall. Denn der Bereich ist einer der datensensibelsten überhaupt, und auch die rechtlichen Qualitätsstandards sind immens. Im AI Act der EU findet dies expliziten Niederschlag, wenn es heißt: „KI-Systeme, die in den Bereichen Beschäftigung, Personalmanagement und Zugang zur Selbstständigkeit eingesetzt werden, insbesondere für die Einstellung und Auswahl von Personen, für Entscheidungen über Beförderung und Kündigung sowie für die Zuweisung, Überwachung oder Bewertung von Personen in Arbeitsvertragsverhältnissen, sollten ebenfalls als hochriskant eingestuft werden, da diese Systeme die künftigen Karriereaussichten und die Lebensgrundlagen dieser Personen spürbar beeinflussen können.“
An diese Kategorie des „Hochrisikos“ ist dann eine Reihe von besonderen Erfordernissen und Rechtsfolgen geknüpft, die derzeit freilich noch vage sind und reinen Empfehlungscharakter haben. Was bedeutet dies nun für die Anbieter von Lösungen in diesem Bereich? Wie gehen sie mit KI in ihren Lösungen um? Thomas Walther, Direktor KMU Deutschland von SD Worx, sagt: „Wir forschen und entwickeln natürlich stark in Richtung KI und Payroll Automation, da wir hier ein großes disruptives Potenzial für die HR-Branche sehen. Wir beschäftigen uns seit mehr als zehn Jahren mit dem Thema KI und haben weit vor ChatGPT bereits umfangreiche Sprachmodelle für unsere HR-, Steuer- und Rechtsdatenbanken entwickelt.“
Derzeit programmiert SD Worx eine neue Software für die Entgeltabrechnung, die sich momentan in der Beta-Testphase befindet. Noch 2024 soll die Lösung von der ITSG zertifiziert werden. „Die Engine kann nicht nur die Lohn- und Gehaltsabrechnung in Echtzeit ermitteln und darstellen, sondern auch zuverlässige Personalkostenprognosen für die Zukunft erstellen. Dabei kann der Anwender bestimmen, für welchen Zeitraum die Prognose relevant ist, und auf dieser Basis Entscheidungen treffen“, erklärt Christian Menk, Director R&D bei SD Worx.
Auch ohne KI schon viel Unterstützung
„Bereits heute können wir, auch ohne den Einsatz von KI, Abweichungen und Fehler in den Daten, die wir aus Fremdsystemen importieren, erkennen und mit den in Echtzeit ermittelten Werten abgleichen. Das läuft in unserer Engine komplett automatisiert ab. So können wir eine sichere Migration in unser neues Entgeltabrechnungssystem gewährleisten, und unsere Anwender werden schnell und unkompliziert auf Unstimmigkeiten hingewiesen“, sagt Thomas Walther. In den nächsten Jahren wolle sein Unternehmen verstärkt auf KI setzen, obwohl bereits heute zahlreiche Assistenten und Texte mit den notwendigen Informationen als Entscheidungshilfen zur Verfügung stünden.
„Als führender europäischer HR-Dienstleister verarbeiten wir eine große Menge an Daten – sowohl aus Deutschland als auch aus ganz Europa –, die anonymisiert eine sehr gute Grundlage für KI-Anwendungen bilden können. In Zukunft wollen wir die uns zur Verfügung stehenden Daten auch als Grundlage für konkrete inhaltliche Vorschläge nutzen“, erklärt Menk. So plane das Unternehmen, mit Hilfe von KI auch datenbasierte Antworten und Best Practices zu verschiedenen HR-Fragestellungen unter strikter Einhaltung der Datenschutz-Grundverordnung zu liefern. Auf Basis dieser Auswertungen ließen sich dann Fragen wie „Was muss ich beim 13. Jahresgehalt beachten?“ oder „Was kostet mich ein Mitarbeiter im Bereich x im Raum Frankfurt?“ datenbasiert konkret beantworten.
Auch Remote experimentiert
Als Innovationstreiber funktioniert das Thema „KI“ derzeit auch bei Remote. „Seit dem ersten Tag ist Automatisierung ein Kernprinzip bei Remote. Wir betrachten sie als eine Schlüsselkomponente zur Skalierung unseres Unternehmens – und KI ist eine natürliche Erweiterung dieses Ansatzes“, erklärt Marcelo Lebre, Präsident und Mitgründer des Anbieters Remote. Als generative KI mit all ihren Vorteilen im Jahr 2022 für die breite Masse zugänglich wurde, habe es das Unternehmen allen Mitarbeitenden ermöglicht, die Technologie für die Optimierung ihrer Arbeitsabläufe zu nutzen.
Innerhalb der Lösungen setze man KI insbesondere im Lohn- und Gehaltsabrechnungssystem mit dem Ziel ein, Prozesse zu optimieren und zu automatisieren. „Auf diese Weise begegnen wir wiederkehrenden Nutzerproblemen, wie beispielsweise der fehleranfälligen manuellen Dateneingabe und der Einhaltung lokaler Steuergesetze. Die KI erkennt Anomalien in den Lohn- und Gehaltsabrechnungen und korrigiert Fehler automatisch. Das sorgt für verkürzte Bearbeitungszeiten und minimiert das Risiko kostspieliger Compliance-Fehler“, so Lebre.
In Zukunft will Remote KI noch stärker in die Plattform integrieren, vor allem für die automatische Abwicklung von Gehaltsabrechnungen. Erklärtes Ziel ist es, „den Nutzerinnen und Nutzern während des gesamten Prozesses die Einhaltung aller Vorschriften zu ermöglichen. So möchten wir das Kundenerlebnis verbessern und das globale Management von Lohn- und Gehaltsabrechnungen einfacher, effizienter und zuverlässiger gestalten“ sagt Lebre.
Gesamtaufwand berücksichtigen
Das freut natürlich auch die Payroller – doch was gilt es für sie überhaupt noch zu beachten, wenn sie über den Einsatz von KI, die quasi über die Hintertür ohnehin schon da ist, gar nicht selbst entscheiden? Wichtig sind auf Unternehmensebene aus Compliance-Gründen dennoch vor allem Richtlinien, die den Einsatz von KI in HR und Payroll, aber auch darüber hinaus im gesamten Unternehmen regeln. Auf der Anwenderebene der Payrollerinnen und Payroller geht es darum, der KI nicht blind zu vertrauen und nicht jedes Problem damit lösen zu wollen.
Ebenfalls ein guter Ratschlag ist, darauf zu achten, dass am Ende das Tages KI nicht dazu führt, mehr Arbeit für alle zu erzeugen. Denn natürlich lassen sich sehr schnell sehr viele Inhalte generieren – deren Sichtung, Prüfung und Korrektur nimmt aber immense Zeitbudgets in Anspruch, die man nicht vergessen sollte. Und noch eines ist klar: Eine Blackbox, die künftig schlicht alle Probleme löst, ist die KI auch in der Payroll nicht.
von unserer LOHN+GEHALT Autorin Alexandra Buba, M. A., Wirtschaftsredakteurin