Kündigung eines Schwerbehinderten während der Wartezeit
Arbeitsgericht (ArbG) Köln mit Urteil vom v. 20.12.2023 – 18 Ca 3954/23 Die Kündigung von Schwerbehinderten kann mit besonderen Tücken und Herausforderungen verbunden sein. Welche das sind, zeigt sich u.a. in dem Urteil des Arbeitsgerichts Köln. Danach hätte der Arbeitgeber den Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis auch schon in der Probezeit entgegentreten müssen.
Verortung des Urteils
Schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genießen besonderen Kündigungsschutz. Damit eine Kündigung wirksam ist, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Beispielsweise ist bei der Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmenden eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zwingend erforderlich. Arbeitgeber müssen dies bei jeder Kündigung beachten. Nach § 178 Abs. 2 SGB IX gilt, dass die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine solche Beteiligung ausspricht, unwirksam ist. Aber auch darüber hinaus gibt es strenge gesetzliche Regelungen.
So findet sich beispielsweise ein Diskriminierungsverbot in § 164 Absatz 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX). Danach sind Kündigungen, die aufgrund einer Schwerbehinderung ausgesprochen werden, rechtlich unwirksam. Eine solche Benachteiligung wird bereits angenommen, wenn der Arbeitgeber seine Pflichten aus § 167 Absatz 1 SGB IX missachtet, welche die Durchführung eines Präventionsverfahrens vorsehen. Diese Vorschrift schränkt die Arbeitgeber sehr ein. Denn nach § 167 Abs. 1 SGB IX sind Arbeitgeber zur Prävention verpflichtet. Was heißt das? Für den Fall, dass personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten auftreten, müssen sie Maßnahmen ergreifen, um einer möglichen Gefährdung des Arbeitsverhältnisses rechtzeitig entgegenzuwirken. Dazu gehört auch, frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung, den Betriebsrat sowie das Integrationsamt zu kontaktieren, um Möglichkeiten zu erörtern, die Schwierigkeiten zu beseitigen. Unklar war, ab wann Arbeitgeber von diesen Pflichten betroffen sind – wenn es nach dem Arbeitsgericht Köln geht – auch schon während der Probezeit.
Der Sachverhalt
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger war seit dem 01.01.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof“ beschäftigt. Am 22.06.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2023. Zuvor hatte der Arbeitgeber den Personalrat, die Schwerbehindertenvertretung sowie die Gleichstellungsbeauftragte zur beabsichtigten „Kündigung in der Probezeit“ angehört. Alle drei Stellen teilten mit, keine Einwände gegen die beabsichtigte Kündigung zu haben.
Gegen diese Kündigung verteidigte sich der Kläger. Er trug vor, für seine Arbeit und sein Engagement immer ein hervorragendes Feedback erhalten zu haben und behinderungsbedingt während der Einarbeitungsphase nicht so konstant und konzentriert arbeiten zu können wie jemand ohne Behinderung.
Die Entscheidung
Das ArbG gab der Klage mit der Begründung statt, dass die Kündigung gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX verstoße und ist damit unwirksam sei (§ 134 BGB iVm. § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde entsprechend nicht aufgelöst.
Der Arbeitgeber sei – entgegen bisheriger Rechtsprechung des BAG – schon während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG verpflichtet, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Dies ergibt die unionsrechtskonforme Auslegung der Norm.
#KurzErklärt
- Die Auffassung des Arbeitsgerichts Köln weitet die arbeitgeberseitigen Pflichten stark aus und verlangt bereits in der Probezeit einiges von ihnen ab.
- Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Rechtsansicht tatsächlich durchsetzen wird. Arbeitgeber sind jedenfalls gut beraten, diese Entscheidung zu kennen und künftig auch zu beachten.
- Ob der Arbeitgeber verpflichtet sein kann, auch ein betriebliches Eingliederungsmanagement einzuleiten (§ 167 Abs. 2 SGB IX) lässt die Entscheidung offen.
Praxistipp Bei der Kündigung von Schwerbehinderten sollten Arbeitgeber die „extra Meile“ laufen und auf „Nummer sicher“ gehen – andernfalls droht die Unwirksamkeit der Kündigung. |
von Frau Dr. Felisiak von Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte