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Mitbestimmung: Teilnahme an Betriebsratssitzung darf nicht durch Androhung von Sanktionen verhindert werden

Allgemein
Lesezeit 5 Min.

LAG Düsseldorf, Beschluss v. 30.08.2023 – 12 TaBV 18/23

Arbeitgebern können Betriebsratssitzungen ein „Dorn im Auge sein“, jedenfalls wenn sich diese häufen und aus ihrer Sicht überflüssig sind. Doch selbst in so einem Fall dürfen Arbeitgeber die Betriebsratsarbeit nicht dadurch behindern, dass sie im Vorfeld die Teilnahme der Betriebsratsmitglieder an einer angezeigten Betriebsratssitzung durch Androhung von Abmahnungen oder Verdienstkürzungen zu hindern versuchen.

Eine Nahaufnahme eines Fensters mit dem Wort „Betriebsrat“ in weißen Buchstaben auf dem Glas, eingelassen in eine Backsteinmauer mit gewölbter Oberseite.

Verortung des Urteils

Nach § 78 BetrVG sind die Mitglieder des Betriebsrats bei der Ausübung ihrer Tätigkeit vor Benachteiligungen und Begünstigungen durch den Arbeitgeber geschützt. Dies umfasst unter anderem den Schutz vor einer Behinderung ihrer Arbeit. Die Vorschrift zielt darauf ab, die Unabhängigkeit des Betriebsrats zu gewährleisten und sicherzustellen, dass die Mitglieder ihre Aufgaben frei von äußerem Druck ausüben können. Daher untersagt § 78 BetrVG die Störung oder Behinderung von Mitgliedern des Betriebsrates in der Ausübung ihrer Tätigkeit. Die Vorschrift richtet sich gegen jedermann, also gegen den Arbeitgeber, die Arbeitnehmer, Betriebsangehörige, die nicht Arbeitnehmer sind sowie leitende Angestellte und gegen außerbetriebliche Stellen einschließlich der Gewerkschaften. Das BAG versteht den Begriff der Behinderung sehr weit und umfasst jede unzulässige Erschwerung, Störung oder Verhinderung der Betriebsratstätigkeit. Als Beispiele werden in der Praxis genannt

  • konstante Ablehnung der Zusammenarbeit nach § 21 BetrVG;
  • Verweigerung des Zugangs zum Betriebsgelände
  • Verweigerung notwendiger Sach- und Personalmittel nach § 40 BetrVG;
  • Entfernung zulässiger Betriebsratsanschläge vom schwarzen Brett;
  • Empfehlung zur Nichtteilnahme an Betriebsversammlungen;
  • beharrliche Missachtung der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates;
  • Öffnung der Betriebsratspost durch den Arbeitgeber;
  • Speicherung der Zielnummern aller Telefonate eines Betriebsratsmitgliedes;
  • Abmahnung eines Sachverhalts, der einen Bezug zu der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung als Betriebsratsmitglied hat;
  • Verhinderung von erforderlicher Betriebsratsarbeit durch den Arbeitgeber.

 

Bei Behinderung seiner Tätigkeit hat der Betriebsrat einen Anspruch auf Unterlassung gegenüber dem Störer aus § 78 S.1 BetrVG. Ein Verschulden oder eine Behinderungsabsicht des Störers sind für den Anspruch nicht erforderlich.

 

Der Sachverhalt

Der Betriebsrat in einem Kartoffeln verarbeitenden Betrieb am Niederrhein mit rund 160 Beschäftigten hatte Mitte 2022 beschlossen, zu seiner regulären Sitzung in der Folgewoche einen Vertreter der Gewerkschaft NGG sowie seine Rechtsanwältin als Beraterin einzuladen. Da beide zu diesem Zeitpunkt verhindert waren, wurde eine zusätzliche, außerplanmäßige Sitzung für zwei Tage nach dem turnusgemäßen Termin angesetzt.

Der Betriebsratsvorsitzende informierte anschließend die Geschäftsführung über die Planungen, buchte einen Raum und bat um Freistellung der Mitglieder von der Arbeit für die entsprechenden Meetings. Tags drauf bekam er vom Personalleiter eine E-Mail. Darin hieß es laut LAG u.a.:

Sehr geehrter Herr […],

da bereits in dieser Woche am Mittwoch und in der nächsten Woche am Mittwoch eine ordentliche Betriebsratssitzung stattfindet erfolgt keine Freistellung für den 21.10.2022. Sollten Sie bereits eventuell von den Führungskräften eine Freistellung erhalten haben, ist diese hiermit widerrufen.

Sollten die Mitarbeiter dennoch nicht zu Arbeit erscheinen, werden wir die Mitarbeiter wegen unentschuldigten Fehlens abmahnen und es erfolgt selbstverständlich auch keine Vergütung.“

Darauf antwortete die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende am Folgetag, dass es formal keiner Zustimmung und Freistellungserklärung bedürfe. Der Personalleiter wiederum entgegnete darauf, man nehme die Mail zur Kenntnis, halte aber an der Ablehnung der Sitzung und etwaigen Konsequenzen bei deren Durchführung fest.

Am Tag der umstrittenen Sitzung erhielt der Pförtner des Betriebs dann von einem Geschäftsführer die Anweisung, dass der eingeladene Gewerkschaftssekretär sowie die Rechtsanwältin das Betriebsgelände wegen der Coronapandemie nicht betreten dürften. Beschäftigte von Dienstleistern erhielten den Angaben zufolge hingegen Zutritt; zudem gab es keinerlei Testpflicht für Betriebsangehörige. Währenddessen fanden Betriebsmitglieder den zuvor reservierten Besprechungsraum besetzt vor und wurden von dem Geschäftsführer aufgefordert, an ihre Arbeit zurückzukehren bzw. das Werk zu verlassen, da jetzt nicht ihre Schicht sei.

Als es in den nächsten Wochen dann zu weiteren Konfliktsituationen und Lohnkürzungen nach nicht erforderlichen Betriebsratstätigkeiten kam, ging das Gremium vor Gericht und stellte einen Unterlassungsantrag: Dem Arbeitgeber möge aufgeben werden, jegliche Form der Behinderung der Betriebsratsarbeit zu unterlassen und bei Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld zu zahlen. Der Arbeitgeber bestritt demgegenüber jegliches Fehlverhalten, verwies darauf, dass man auch Kunden den Zugang zum Betrieb verweigert habe und stellte die Erforderlichkeit der Betriebsratssitzung in Frage.

 

Die Entscheidung

Die Beteiligten streiten über Unterlassungsansprüche aus § 78 S. 1 BetrVG. Sowohl das Arbeitsgericht Wesel als auch das LAG ließen die Argumente des Arbeitgebers jedoch nicht gelten und gaben dem Antrag des Betriebsrats statt:

  • Es sei dem Arbeitgeber „nicht erlaubt, durch [seine] Repräsentanten die Betriebsratsarbeit dadurch zu behindern, dass er bereits im Vorfeld die Teilnahme der Betriebsratsmitglieder an einer angezeigten Betriebsratssitzung durch Androhung von Abmahnungen oder Verdienstkürzungen verhindert“. Das gelte selbst dann, wenn „im Einzelfall die Erforderlichkeit für eine Betriebsratssitzung nicht gegeben ist“, so die Kammer weiter. Vielmehr sei ein Arbeitgeber dann „auf den Rechtsweg verwiesen“ und könne etwa eine einstweilige Verfügung zur Untersagung der Betriebsratssitzung beantragen. Grundsätzlich habe ein Betriebsrat nämlich „alleine zu bestimmen, wann und wie oft er tagt“. Die Teilnahme an der Sitzung sei dabei gesetzliche Pflicht der Mitglieder, deren Ausübung von niemandem behindert werden dürfe. Dem Gremium stehe deshalb unzweifelhaft „der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 78 Satz 1 BetrVG zu“.
  • Mit dem Begehren, die vorherige Androhung von Abmahnungen und Verdienstkürzungen bei Teilnahme der Betriebsratsmitglieder an einer angezeigten Betriebsratssitzung zu unterlassen, macht der Betriebsrat keine ihm nicht zustehenden individuellen Rechte der einzelnen Betriebsratsmitglieder als Arbeitnehmer geltend

 

#KurzErklärt

Selbst wenn im Einzelfall die Erforderlichkeit für eine Betriebsratssitzung nicht gegeben ist oder gar ein Verstoß gegen § 30 S. 2 BetrVG vorliegt, also der Betriebsrat bei der Ansetzung von Betriebsratssitzungen auf die betrieblichen Notwendigkeiten keine Rücksicht genommen hat, ändert dies an der Teilnahmeverpflichtung für das einzelne Betriebsratsmitglied nichts. Entsprechend dürfen Arbeitgeber nicht eingreifen.

 

Praxistipp

Praxistipp

Auch wenn sich die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat als schwierig darstellen sollte, sind Arbeitgeber gut beraten, statt übereiltem Aktionismus „mit kühlem Kopf“ eine Strategie für eine erfolgreiche Zusammenarbeit aufzusetzen. Dies dürfte zielführender sein.

von Frau Dr. Felisiak von Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte

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