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Nächste Runde Annahmeverzugslohn : Landesarbeitsgericht (LAG) Köln, Urteil vom 27.4.2023 – 8 Sa 793/22

Ein weiteres Urteil zu dem Thema Annahmeverzugslohn. Einige Landesarbeitsgerichte hatten sich zu der Frage bereits geäußert. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg, Urteil vom 06.04.2023 - 8 Sa 51/22 (dargestellt im Newsletter November 2023) vertrat dabei die Auffassung, dass Arbeitgeber die geltenden Darlegungs- und Beweislastregelungen nutzen können, um das Risiko zur Zahlung von Annahmeverzugslohn zu reduzieren. In diesem Kontext erging nun auch das Urteil des LAG Köln.

Lesezeit 6 Min.

Verortung des Urteils

Wenn ein Arbeitgeber eine unwirksame Kündigung ausspricht und sich im Nachhinein herausstellt, dass die Kündigung tatsächlich einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhält, muss er dem zu Unrecht entlassenen Arbeitnehmer den Lohn für die Zeit weiterhin zahlen, in der die Arbeitsleistung infolge der Kündigung unterbleibt. Der Arbeitgeber befindet sich in dieser Zeit im Annahmeverzug gemäß § 615 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).

Illustration eines Geschäftsmannes mit Aktentasche, der selbstbewusst an einem großen Hammer und einem juristischen Dokument vorbeigeht, als Symbol für Rechtsverfahren oder Wirtschaftsrecht.
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Der Arbeitnehmer muss jedoch zur Arbeitsleistung in der Lage sein, wie sich aus § 297 BGB ergibt. Bei längerer Krankheit und Bezug von Krankengeld kann kein Verzugslohn verlangt werden. Der Anspruch auf Annahmeverzug kann auch entfallen, wenn der Arbeitnehmer nicht leistungsbereit ist. Zum Beispiel, wenn er selbst eine unwirksame Kündigung erklärt hat oder eine zumutbare anderweitige Beschäftigung nicht annimmt.

Was heißt das für Arbeitnehmer? Können Arbeitnehmer damit ihre Hände in den Schoss legen und warten? Nein, denn auch diese Untätigkeit kann dem Arbeitnehmer schaden und den Anspruch reduzieren. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer durch die Ablehnung einer zumutbaren Arbeit vorsätzlich Umsätze nicht erzielt hat. Genau in diesem Zusammenhang erging das vorgenannte Urteil, welches an die Bewerbungsbemühungen und die Frage anknüpft, inwieweit Arbeitnehmer hierüber Auskunft geben müssen.

 

Der Sachverhalt

Die Parteien streiten im Rahmen eines Berufungsverfahrens über Auskunftsansprüche der Arbeitgeberin.

Der Kläger war bei der beklagten Arbeitgeberin als Lagerarbeiter beschäftigt. Im Dezember 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht. Den Kündigungsschutzprozess gewann der Kläger in beiden Instanzen.

Mit einer im Februar 2022 eingereichten Klage machte der Kläger Lohnansprüche aus Annahmeverzug für den Zeitraum von Dezember 2020 bis Januar 2022 geltend. Insoweit war der Kläger der Ansicht, es lägen jenseits des bezogenen Arbeitslosengeldes keine weiteren Anrechnungstatbestände vor. Insbesondere habe er im streitgegenständlichen Zeitraum keinen anderweitigen Erwerb böswillig unterlassen. Diesbezüglich hat er behauptet, er habe sich durchgehend um eine neue Beschäftigung bemüht, aber erst zum 15.02.2022 eine neue Stelle gefunden. Auch die Agentur für Arbeit habe ihm, nachdem er sich arbeitssuchend gemeldet habe, keine Vermittlungsvorschläge für ihm zumutbare Stellen unterbreitet. Insbesondere habe es sich nahezu ausschließlich um Tätigkeiten als Leiharbeitnehmer und zu deutlich geringerer Vergütung gehandelt, teilweise seien die Arbeitsplätze auch räumlich zu weit entfernt gewesen. Soweit er sich dennoch, auch über die Vorschläge der Agentur für Arbeit hinaus, beworben habe, seien seine Bewerbungen erfolglos geblieben.

Widerklagend begehrte die Beklagte für den Annahmeverzugszeitraum auch Auskunft über Bewerbungen des Klägers außerhalb der von der Agentur für Arbeit oder dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsangebote und Stellenvorschläge.

 

Die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht (LAG) lehnte das Bestehen eines Auskunftsanspruchs ab. Dieser sei bereits durch Erfüllung erloschen. Schließlich habe der Kläger für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum Auskunft erteilt, indem er unter Vorlage eines Auszugs des Arbeitslosengeldbescheids der Agentur für Arbeit erklärt hat, im Zeitraum vom 04.03.2021 bis 25.11.2021 Arbeitslosengeld in Höhe von 47,30 Euro täglich bezogen und im Übrigen im Zeitraum bis zum 31.01.2022 keinerlei anderweitigen Einkünfte erzielt zu haben.

Die Beklagte hatte gegen den Kläger auch keinen Anspruch auf Auskunft über die von diesem außerhalb der Vermittlungsvorschläge und Stellenangebote der Agentur für Arbeit bzw. des Jobcenters unternommenen Bewerbungen und deren Einzelheiten. Insoweit verwies das LAG auf die rechtlichen Grundlagen, die den Annahmeverzugslohn als den gesetzlich festgelegten Normalfall betrachten und die Anrechnung eines hypothetischen Verdiensts nur als Ausnahme sehen. Zudem betonte das Gericht, dass der Arbeitgeber den Annahmeverzug durch Ausspruch einer unwirksamen Kündigung selbst verursacht hatte. Nach Ansicht des LAG darf ein Arbeitnehmer bei der Suche nach einer neuen Stelle nicht völlig untätig bleiben, insbesondere wenn realistische Chancen auf eine angemessene alternative Beschäftigung bestehen. Allerdings dürfen im Allgemeinen keine außergewöhnlichen Bemühungen vom Arbeitnehmer erwartet werden.

Das LAG führte weiter aus, dass von einem Arbeitnehmer, der sich erfolglos auf Stellen beworben hat, die ihm von der Agentur für Arbeit vorgeschlagen wurden, nicht erwartet werden kann, dass er sich über einen langen Zeitraum des Annahmeverzugs ständig und aus eigener Initiative um eine neue Beschäftigung bemüht, sofern keine besonderen Gründe vorliegen. Das Gericht folgerte daher, dass ein Arbeitnehmer ohne konkrete Hinweise auf eine verfügbare Stelle nicht verpflichtet ist, besondere Anstrengungen zur Findung einer neuen Anstellung bei einem anderen Arbeitgeber zu unternehmen. Entsprechend existieren in solchen Fällen auch keine Auskunftspflichten des Arbeitnehmers über seine Bewerbungsaktivitäten.

Das LAG stellte außerdem klar, dass sich eine Verpflichtung zur detaillierten Auskunft über die Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers während des gesamten Annahmeverzugszeitraums nicht aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Auskunftsanspruch in Bezug auf den Annahmeverzugslohn ableiten lässt. Wenn die Agentur für Arbeit und/oder das Jobcenter Vermittlungsvorschläge macht, ergeben sich daraus zwar Hinweise auf mögliche Beschäftigungen, die eine Aktivität des Arbeitnehmers erfordern. Jedoch enthält die BAG-Entscheidung keine Anweisungen dafür, dass Aktivitäts- und Auskunftspflichten des Arbeitnehmers auch ohne konkrete Anzeichen für eine verfügbare Arbeitsstelle bestehen.

 

#KurzErklärt

  • Grundsätzlich müssen Arbeitnehmer, die Annahmeverzugslohn geltend machen, aktiv handeln, wenn ihnen eine realistische Arbeitsmöglichkeit geboten wird. Dies sollten Arbeitgeber weiterhin für sich nutzen.
  • Die Entwicklung der Rechtsprechung begann mit dem Urteil des BAG vom 27.05.2020 (5 AZR 387/19), welches einen arbeitgeberseitigen Auskunftsanspruch über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters bejahte, wenn der Einwand böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbs wahrscheinlich begründet ist. Hieran schlossen sich diverse Urteile der Instanz Rechtsprechung an.
  • So beispielsweise das LAG Hamburg (Urteil vom 06.04.2023 – 8 Sa 51/22), welches feststellte, dass böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes nur in Betracht kommt, wenn es mindestens eine festgestellte konkrete Erwerbsmöglichkeit für den Arbeitnehmer gab. Diese muss ihm in dem Zeitraum, für den er Annahmeverzugslohn verlangt, zudem bekannt gewesen sein. Der Verweis auf einen günstigen Arbeitsmarkt allein genügt nicht. Ohne festgestellte konkrete Beschäftigungsmöglichkeit müsse der Arbeitnehmer nicht von sich aus aktiv werden. Dies sei dem Arbeitgeber auch zumutbar. Denn er könne eine zumutbare Prozessbeschäftigung anbieten oder den Arbeitnehmer auf konkrete Stellenangebote in anderen Unternehmen hinweisen.
  • Auch das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 27.07.2023 – 10 Sa 871/21) äußerte sich in diesem Kontext und stellte fest, dass wenn sich ein Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend meldet und den Vermittlungsangeboten konkret nachgeht, ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs nicht mehr angenommen werden kann. Das Gesetz verlangt für die Anrechnung nicht nur das bloße Unterlassen anderweitiger Dienste bzw. anderweitigen Erwerbs; diese Unterlassung muss vielmehr böswillig erfolgen. Wenn es aber in einer Rechtsordnung eine staatliche Stelle zur Vermittlung von offenen Stellen an Arbeitssuchende gibt, ist es ausreichend, wenn man diese Stelle zu derartigen Vermittlungen aufsucht und sich auf entsprechende Vorschläge auch bewirbt.
Praxistipp

Praxistipp:

Arbeitgeber haben nach wie vor die Möglichkeit, mittels der Auskunftspflicht über Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit oder des Jobcenters, Druck aufzubauen. Außerdem sollten sie den Arbeitnehmer über spezifische Stellen informieren und so zur Bewerbung auffordern. Falls der Arbeitnehmer absichtlich die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses verhindert, kann dies zur Kürzung von Ansprüchen aus Annahmeverzug führen.

von Frau Dr. Felisiak von Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte