Nichtanwendbarkeit der Grundsätze der sozialen Auswahl bei einem Betriebsteilübergang
Wenn ein Betrieb zum Teil restrukturiert, umgewandelt oder verkauft wird, muss er geteilt werden. Die Teilung ist häufig eindeutig, z.B. wenn der Betrieb aus einem Verwaltungsapparat und einer Kantine besteht und nur ein Teil dessen verkauft werden soll. Ganz so einfach ist es jedoch selten.
Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 11.05.2023 – 6 AZR 267/22
Probleme können bereits auftreten, wenn Arbeitnehmer sowohl für den einen Betriebsteil als auch für den anderen Betriebsteil tätig sind und sich die Frage stellt, welchem Betriebsteil sie nun zuzuordnen sind. Hierzu äußerte sich nun das BAG und stellte fest, dass die Zuordnung zu dem übergehenden Betriebsteil weder vor dem Übergang noch rückblickend nach den Grundsätzen der sozialen Auswahl erfolgt. Sowohl die RL 2001/23/EG als auch § 613a BGB gewährleisten nur die Kontinuität der bereits zugeordneten Arbeitsverhältnisse.
Worum geht es?
Es geht um die Frage, ob sich eine gekündigte Arbeitnehmerin im Rahmen einer Kündigungsschutzklage auf die besonderen Schutzrechte des § 613a BGB berufen kann, der u.a. vorsieht, dass eine Kündigung wegen eines (Teil-)Betriebsübergangs unwirksam ist.
Geht ein Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser neue Inhaber nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten aus dem im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Entscheidend ist hierbei die Frage, welche Arbeitsverhältnisse dem übergehenden Betriebsteil zugeordnet werden können.
Der Sachverhalt
Die klagende Arbeitnehmerin (Flugbegleiterin) war seit 1998 bei der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG beschäftigt (nachfolgend „Airberlin“). Diese Fluggesellschaft führte mit geleasten Flugzeugen neben dem eigenwirtschaftlichen Flugbetrieb auch noch Flüge im sog. Wet Lease für Unternehmen der Lufthansa-Gruppe, insbesondere für die Eurowings GmbH (im Folgenden Eurowings), durch.
Bekanntermaßen musste Airberlin einen Insolvenzantrag stellen. Daraufhin ordnete das zuständige Insolvenzgericht zunächst die vorläufige Eigenverwaltung an. Der Flugbetrieb von Airberlin wurde im Laufe des Insolvenzverfahrens zum 31.12.2017 eingestellt.
Konkret ging es um die mit Schreiben vom 27.01.2018 ausgesprochene Kündigung, die die Klägerin erhielt. Die Arbeitnehmerin argumentierte, dass die Kündigung wegen eines Teilbetriebsübergangs auf eine andere Luftfahrtgesellschaft erklärt worden und deshalb unwirksam sei. Die andere Fluggesellschaft habe anstelle der Air Berlin das Wet Lease fortgeführt. Nach Auffassung der Arbeitnehmerin hätte der Arbeitgeber zumindest im Rahmen einer sozialen Auswahl entscheiden müssen, welche Arbeitnehmer dem Wet Lease zuzuordnen gewesen wären.
Die Entscheidung
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab, ebenso das BAG die Revision. Nach Ansicht des BAG scheitere die Kündigung nicht an einer fehlerhaften Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG.
§ 613a BGB ist anders als § 1 Abs. 3 KSchG kein Sozialschutz, der sicherstellen soll, dass die Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer erfolgt, den sie am wenigsten belastet. Sowohl die Richtlinie 2001/23/EG als auch § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB wollen nur die Kontinuität der einer wirtschaftlichen Einheit bereits zugeordneten Arbeitsverhältnisse gewährleisten.
Die bei einem Betriebsteilübergang auf den Erwerber übergehenden Arbeitnehmer können daher – so das BAG – nicht nach den Grundsätzen der Sozialauswahl ermittelt werden, die unter allen Arbeitnehmern des bisherigen Betriebs durchzuführen wäre. Erst recht kann die Zuordnung nicht durch eine erst nach dem Betriebsübergang durchzuführende „nachträgliche“ Sozialauswahl erfolgen. Vielmehr gehen (nur) die dem Betriebsteil tatsächlich zugeordneten Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber über.
Was heißt das?
- Grundsätzlich gehen die mit dem Rechtsträger des übergehenden Betriebsteils geschlossenen Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer, die dem übergehenden Betrieb(steil) zuzuordnen sind, auf den Betriebserwerber über. Das gilt entsprechend für die Betriebsmittel.
- Bei der Zuordnung kommt es auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs an.
- Die Zuordnung richtet sich nach dem Willen der Arbeitsvertragsparteien, nicht nach dem Willen oder der Vereinbarung zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber. Soweit nichts ausdrücklich oder konkludent vereinbart ist zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ist der Arbeitgeber berechtigt, die Zuordnung aufgrund seines Direktionsrechts durchzuführen. Im Übrigen erfolgt die Zuordnung nach Kriterien, wie der tatsächlichen Eingliederung. Die Ausübung einzelner Tätigkeiten in dem betroffenen Betriebsteil reicht nicht aus, es kommt auf den Schwerpunkt der Tätigkeit des Arbeitnehmers an.
Handlungsempfehlung Die Zuordnung von Arbeitsverhältnissen kann im Rahmen von Restrukturierungen knifflig sein. Hierauf sollten Arbeitgeber ein besonderes Augenmerk legen. |
Von Frau Dr. Felisiak von Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte.