Pflicht zur Arbeitszeiterfassung – Kommt die Stechuhr zurück?
Die Richter*innen des Bundesarbeitsgerichts aus Erfurt haben am 13.09.2022 mit der Urteilsverkündung für einen riesigen Wirbel gesorgt. Denn die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung oder – besser gesagt – die Vorstellungen dazu passen einfach nicht in die zukunftsgerichtete Arbeit von heute. Für Unternehmen könnte es negative Folgen haben, denn die Mitarbeiter*innen bekommen möglicherweise das Gefühl, durch diese Erfassung kontrolliert zu werden. Das kann Unruhe verursachen und dieser Vertrauensverlust könnte zu einem schlechten Betriebsklima führen.
In der heutigen schnelllebigen Zeit passt ein solches Urteil nicht. Viele Unternehmen verfolgen einen anderen Weg beziehungsweise haben andere Modelle in der jetzigen Arbeitswelt, von Vertrauensarbeitszeit bis hin zum Homeoffice. Solche Modelle sind nicht mehr wegzudenken.
Vertrauensarbeitszeit ist ein Modell, bei dem der Arbeitgeber das Zeitmanagement dem Arbeitnehmer/der Arbeitnehmerin anvertraut. Keine permanente Kontrolle – ein Verzicht auf die Stechuhr. Beim Arbeitsvertrag werden lediglich die Wochenstunden vorgegeben, es spielt daher einfach keine Rolle, wann Arbeitnehmer*innen ihre Arbeit durchführen, wichtig ist nur, dass die Arbeit erledigt wird. Solche Modelle haben positive Auswirkungen auf das Unternehmen, denn die Arbeitnehmer*innen sind zufriedener und haben mehr Spielraum bei der Gestaltung ihrer Freizeit.
Homeoffice ist ebenso ein Modell, das sich gerade durch die Corona-Pandemie verstärkt hat, und man könnte fast sagen, es gehört schon zum Alltag. Arbeitnehmer*innen und auch Arbeitgeber*innen nutzen vermehrt dieses Modell. Aber Vorsicht, es hat seine Vor- und Nachteile. Das Modell eignet sich nicht für jede Branche oder jeden Beruf, in Dienstleistungsberufen ist die Quote dennoch relativ hoch. Tatsächlich besagen mehrere Studien, dass die Arbeitnehmer*innen sogar auf ihr Gehalt verzichten würden, nur um im Homeoffice zu arbeiten. Die Skepsis gegenüber Homeoffice hat abgenommen und durch Corona wurde die Arbeitswelt einfach umgekrempelt.
Aber nun das! Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied, dass die Arbeitgeber*innen nach geltendem Recht grundsätzlich verpflichtet sind, die Arbeitszeiten zu erfassen bzw. ein entsprechendes System einzuführen. Das damalige Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) legt jedoch fest, dass ein objektives, zugängliches System vorhanden sein soll.
Was sagt unsere Arbeitsrechtsexpertin Frau Dr. Felisiak zu dem Thema?
Deutschland ist nach dem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in einer ähnlichen Aufregung wie schon 2019, als der Europäische Gerichtshof (EuGH) zur Arbeitszeiterfassung entschied. Das BAG sorgt mit seinem Urteil für eine große Überraschung, wobei die eigentliche Besonderheit die Argumentation des BAG ist. Das BAG nutzt einen Fall zur Frage des Initiativrechts des Betriebsrats, um klarzustellen, dass auch ohne eine gesetzliche Regelung eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für Arbeitgeber (aufgrund europarechtskonformer Auslegung des deutschen Arbeitsschutzgesetzes) besteht.
Dennoch sollte erst einmal Ruhe bewahrt werden. Denn zum einen erfassen viele große Unternehmen (insb. die tarifgebundenen Unternehmen) die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter schon. Bei zahlreichen Unternehmen loggen sich die Mitarbeiter morgens per App oder Computerprogramm ein und erfassen damit ihre Arbeitszeit automatisch. Zum anderen liegt uns bis jetzt nur eine Pressemitteilung vor. Sollte sich aus den Entscheidungsgründen beispielsweise ergeben, dass die Dokumentation auch weiterhin von den Arbeitnehmern vorgenommen werden kann, wovon ich ausgehe, gäbe es in Bezug auf Mobilarbeit beispielsweise gar kein Problem.
Das BAG-Urteil bedeutet damit aus meiner Sicht nicht das Ende der Vertrauensarbeitszeit. Wichtig ist, dass das Urteil nur die Frage der Dokumentation der Arbeitszeit betrifft und nicht die Frage, ob gearbeitet werden muss oder nicht. Zudem bietet eine genaue Arbeitszeiterfassung auch eine gute Kontrollmöglichkeit für Arbeitnehmer, die tendenziell zu viel arbeiten.
Auswirkungen wird das Urteil jedoch bei den Unternehmen haben, die sich seit dem EuGH-Urteil noch nicht mit dem Thema Arbeitszeiterfassung befasst haben. Dies könnte bei kreativen Unternehmen oder Start-ups der Fall sein. Solche Unternehmen sollten jetzt tätig werden und sich überlegen, wie die Arbeitszeit künftig erfasst werden soll. Denkbar ist dafür jede Form der Zeiterfassung, soweit diese mittels eines objektiven und zuverlässigen Systems erfolgt.
Wie Frau Dr. Felisiak darstellt, wird das Urteil die Existenz von neuartigen Modellen wie Homeoffice oder sonstigen New-Work-Modelle nicht bedrohen. Arbeitgeber müssen sich nun einfach bemühen, ideale Systeme zu finden, denn ein absoluter Verzicht auf Dokumentationen ist nicht mehr möglich.
Statement Janette Rosenberg, stellv. Chefredakteurin LOHN+GEHALT:
Wie alle Expert*innen in ihren Statements deutlichgemacht haben, werden Unternehmen um ein Weiterdenken nicht herumkommen. Die Arbeitszeiterfassung spielt eine wichtige Rolle, gerade in der Lohn- und Gehaltabrechnung bzw. im Personalmanagement. Ob es die richtige Personaleinsatzplanung ist oder auch die genaue Dokumentation der Arbeitszeit: Die Softwareprogramme unterstützen Unternehmen bei der täglichen Arbeit.
Durch entsprechende Schnittstellen zu Lohnabrechnungsprogrammen kann auch eine Entlastung bei der Erstellung der Lohn-und Gehaltsabrechnung entstehen.
Denn eines ist klar, die manuelle Erfassung von Zeit raubt einem nicht nur Zeit, sondern teilweise auch den letzten Nerv.
Lesen Sie im Special Zeiterfassung (LOHN+GEHALT 7/2022) weitere Statements aus der Branche.