Schwerbehindertenvertretung: Bloße Kopie der Betriebsratsanhörung genügt nicht
Eine für die Praxis wichtige Entscheidung traf jüngst das LAG Mecklenburg-Vorpommern, das entschied, dass die Schwerbehindertenvertretung selbständig anzuhören ist. Will ein Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung zu der von ihm geplanten Kündigung einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin anhören, so darf er sich dabei nicht darauf beschränken, der Schwerbehindertenvertretung lediglich das bereits an den Betriebsrat adressierte Anhörungsschreiben zur Kenntnis zuzuschicken.

Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 07.03.2023 – 5 Sa 127/22
Worum geht es?
Vor Ausspruch einer Kündigung ist der Betriebsrat (bzw. Personalrat oder Sprecherausschuss) zu hören. Daneben ist bei schwerbehinderten oder gleichgestellten Menschen die Schwerbehindertenvertretung anzuhören.
In § 178 SGB IX sind die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung geregelt. Etwas versteckt ist die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung in Abs. 2 geregelt:
„Der Arbeitgeber hat die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Die Durchführung oder Vollziehung einer ohne Beteiligung nach Satz 1 getroffenen Entscheidung ist auszusetzen, die Beteiligung ist innerhalb von sieben Tagen nachzuholen; sodann ist endgültig zu entscheiden. Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, ist unwirksam.“
In der betrieblichen Praxis ist die Anhörung des Betriebs- oder Personalrats eingespielt. Häufig erhalten – im Falle einer Schwerbehinderung oder einer Gleichstellung – auch die Schwerbehindertenvertretungen die Betriebsratsanhörungen, da alle Informationen darin enthalten sind. Ist das zulässig oder genügt dies den gesetzlichen Anforderungen nicht?
Der Sachverhalt
Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hatte in einem Kündigungsschutzprozess auch über die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zu entscheiden. Die Klägerin nahm am 01.09.2021 bei der beklagten Stadt eine Vollzeitbeschäftigung im allgemeinen Verwaltungsdienst auf. Das Versorgungsamt hatte ihr befristet für den Zeitraum vom 26.02.2019 bis 31.10.2022 einen Grad der Behinderung von 50 zuerkannt. Nachdem die Klägerin seit dem 01.12.2021 durchgängig arbeitsunfähig war, beantragte der Arbeitgeber mit Schreiben vom 08.02.2022 beim Personalrat die Zustimmung zu der beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin. Eine Kopie dieser Personalratsanhörung übersandte der Arbeitgeber mit dem Betreff „Ihre Mitbestimmung gemäß […] Personalvertretungsgesetz Antrag auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung …“ an die Schwerbehindertenvertretung.
Obwohl der Personalrat der Kündigung in seiner Sitzung vom 16.02.2022, an der auch der Schwerbehindertenvertreter teilnahm, nicht zustimmte, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 21.02.2022 das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.03.2022.
Die Entscheidung
Das LAG Mecklenburg-Vorpommern entschied, dass die ausgesprochene Kündigung unwirksam war, da es an einer ordnungsgemäßen Anhörung der Schwerbehindertenvertretung fehlt.
Das Argument: Das hier versendete Schreiben habe lediglich „eine Information zu dem laufenden Beteiligungsverfahren beim Personalrat“ enthalten. Demgegenüber könne der Schwerbehindertenvertreter dem Dokument „nicht entnehmen, dass er hiermit die Möglichkeit erhält, sich zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin zu äußern“. Das aber sei nötig, so das LAG.
Außerdem sei die Schwerbehindertenvertretung nicht nur zu unterrichten, sondern auch anzuhören. Anhörung meine dabei, „dem Angehörten Gelegenheit zur Äußerung zu geben und diese Äußerung entgegenzunehmen sowie sich ggf. mit ihr auseinanderzusetzen“. Und das bedeute auch, dass es der Schwerbehindertenvertretung „ermöglicht wird, etwas vorzubringen oder eine Stellungnahme abzugeben, die bei der Entscheidungsfindung zumindest bedacht wird“. All dies sei hier aber nicht der Fall gewesen.
Was heißt das?
„One fits all“ passt nicht, wenn es um die Anhörungsverfahren von Betriebsrat bzw. Personalrat und Schwerbehindertenvertretung geht. Es reicht damit nicht aus, wenn der Schwerbehindertenvertretung die Anhörung von Betriebs- oder Personalrat in Kopie oder zur Kenntnisnahme weitergeleitet wird. Aus einem Anhörungsschreiben muss erkennbar hervorgehen, dass die eigenen Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung ausgelöst werden sollen.
Handlungsempfehlung Für die Praxis ist es daher wichtig, dass für die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen die gleichen Grundsätze wie für die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG gelten. |
Die Rechtsprechung wird für Sie aufgearbeitet von Frau Dr. Felisiak von Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte.