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Stier meint…!

Es gibt Themen, die holen einen immer wieder ein. Der Kinderlosenzuschlag in der Pflegeversicherung ist ein solches Thema. Keine geringere Institution als das Bundesverfassungsgericht erklärt den Kinderlosenzuschlag in seiner jetzigen Form als unvereinbar mit dem Grundgesetz.

Markus StierAllgemein
Lesezeit 3 Min.
Ein gut gekleideter Mann sitzt auf einem Ledersofa vor einem blauen Hintergrund, hält selbstbewusst eine Zeitschrift und lächelt in die Kamera.
Markus Stier

Auf Vorlage eines Sozialgerichts und nach zwei Verfassungsbeschwerden entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass § 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Sätze 1 und 2 sowie § 57 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) XI insoweit mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) unvereinbar sind, als beitragspflichtige Eltern in der sozialen Pflegeversicherung unabhängig von der Zahl der von ihnen betreuten und erzogenen Kinder mit gleichen Beiträgen belastet werden.

Die Richter des Bundesverfassungsgerichts sehen im gegenwärtigen System der sozialen Pflegeversicherung eine spezifische Benachteiligung von Eltern mit mehr Kindern gegenüber solchen mit weniger Kindern, weil der mit steigender Kinderzahl anwachsende Erziehungsmehraufwand im geltenden Beitragsrecht keine Berücksichtigung findet. Die gleiche Beitragsbelastung der Eltern unabhängig von der Zahl ihrer Kinder ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Die Richter fordern den Gesetzgeber auf, bis zum 31.07.2023 eine Neuregelung zu treffen.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Gesetzgeber eine Hausaufgabe vom Bundesverfassungsgericht aufbekommt. Der mit Wirkung zum 01.01.2005 eingeführte Beitragszuschlag für Kinderlose geht zurück auf das sogenannte Pflegeversicherungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 03.04.2001. Das Bundesverfassungsgericht stellte dort fest, dass es mit Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren sei, dass Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen und damit neben dem Geldbeitrag einen zusätzlichen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden. Hingegen erfolgt weder im Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung noch in dem der gesetzlichen Krankenversicherung eine Berücksichtigung der Kindererziehung.

Nun ist erneut die beitragsrechtliche Berücksichtigung von Kindern in der Pflegeversicherung für unrichtig erklärt worden. Versicherte mit Kindern wird es freuen, aber die Freude wird nicht von langer Dauer sein. Denn mit der Frist 31.07.2023 im Nacken plant der Gesetzgeber eine schnelle Erledigung der Hausaufgabe. Mit dem Gesetzesentwurf zur Unterstützung und Entlastung in der Pflegeversicherung (PUEG) soll Abhilfe geschaffen werden. Neben der Änderung der Beiträge sind auch Änderungen im Leistungsbezug geplant.

Wenn schon Änderungen vorgenommen werden müssen, dann lohnt sich auch gleich eine Beitragsanhebung. Schließlich wissen wir doch alle, dass die Pflege immer teurer wird. Im Referentenentwurf wird von einer moderaten Beitragserhöhung gesprochen. Allerdings wird neben der Umsetzung des Urteils gleichzeitig der Beitrag für alle Versicherte mit weniger als vier Kindern und alle Arbeitgeber erhöht. Von moderater Erhöhung kann bei einer Anhebung des Beitragssatzes um 0,35 Prozent von derzeit 3,05 Prozent auf 3,40 Prozent wahrlich nicht die Rede sein. Zusätzlich wird der Kinderlosenzuschlag um 0,25 Prozent von derzeit 0,35 Prozent auf 0,60 Prozent erhöht. Dabei muss nun auch noch die Anzahl der Kinder berücksichtigt werden. Dies kann man nicht dem Gesetzgeber vorwerfen, denn schließlich setzt er mit dem Gesetzesentwurf das Urteil um, aber er verschleiert mit der notwendigen Anpassung die gleichzeitige Erhöhung des Beitrags in der Pflegeversicherung.

Für mich stellt sich die Frage, ob dann der Kinderlosenzuschlag überhaupt noch Kinderlosenzuschlag heißen darf oder ob wir ihn in Kinderlosen- und Zu-wenig-Kinder-Zuschlag umbenennen müssen. Eltern mit einem Kind zahlen nach dem Entwurf den vollen Beitrag in Höhe von 3,40 Prozent ohne den Zuschlag in Höhe von 0,6 Prozent. Bei zwei Kindern verringert sich der Beitrag um 0,15 Prozent auf 3,25 Prozent und bei drei Kindern um 0,30 Prozent auf 3,10 Prozent. Eltern mit vier Kindern verringern ihren Beitrag um 0,45 Prozent auf 2,95 Prozent und mit fünf Kindern und mehr beträgt der Beitrag dann 2,80 Prozent ohne einen Zu-wenig-Kinder-Zuschlag.

Für mich ist bei diesem Gesetzesentwurf noch nicht ganz ersichtlich, wo nun die Entlastung für Versicherte mit Kindern ist. Denn mit dieser Umsetzung des Urteils werden Familien mit Kindern nicht immer ent-, sondern belastet. Erst für Familien mit vier Kindern bringt die Reform eine Entlastung. Aber wie war es schon bei der Einführung des Zuschlags für Kinderlose: Von einer Entlastung der Familien mit Kind war damals auch nicht die Rede.

Am Ende können wir allerdings einen Erfolg melden: Die Hausaufgabe ist nach Beschluss des Gesetzesentwurfs erledigt. Na immerhin.

In diesem Sinne … weitermachen.

Ihr Markus Stier