Unternehmen droht ein finanzieller Mehraufwand: Urlaubsansprüche verjähren vermutlich nicht ohne Weiteres!
Der Urlaub ist Mitarbeitern heilig, und auch Arbeitgeber möchten - nicht zuletzt wegen den notwendigen Rückstellungen - wissen, wie viel Urlaub ihre Mitarbeiter haben und wann der Urlaub verfällt bzw. verjährt
EuGH-Generalanwalt, Schlussantrag vom 05.05.2022 – C-120/21
BAG, Beschluss vom 29.09.2020 – 9 AZR 266/20
Der Urlaub ist Mitarbeitern heilig, und auch Arbeitgeber möchten – nicht zuletzt wegen den notwendigen Rückstellungen – wissen, wie viel Urlaub ihre Mitarbeiter haben und wann der Urlaub verfällt bzw. verjährt. Damit der Urlaub überhaupt verfallen kann, müssen Arbeitgeber ihrer europarechtlich begründeten Mitwirkungspflicht nachkommen, d.h. die Arbeitnehmer zur Inanspruchnahme des Urlaubs auffordern und auf den Verfall hinweisen.
Was aber, wenn Arbeitgeber dies nicht tun? Kann dann die Einrede der Verjährung als Rettungsanker erhoben werden? Ein solcher Fall liegt derzeit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor und es zeichnet sich ab, dass der Beginn der Verjährung von der positiven Kenntnis der Arbeitnehmer abhängt. D.h. ohne einen Hinweis des Arbeitgebers beginnt – wenn der EuGH dem Schlussantrag des Generalanwalts folgt – die Verjährungsfrist nicht zu laufen.
Worum geht es?
Es geht um die Frage, ob Urlaubsansprüche – die aufgrund unterlassener Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers nicht bereits verfallen sind – zumindest innerhalb der Regelverjährungsfrist von drei Jahren verjähren.
Kurz zur Erinnerung: Nach § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) muss Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf die ersten drei Monate des folgenden Kalenderjahres ist nur ausnahmsweise möglich, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Der Urlaub verfällt jedoch nicht automatisch am 31.12. eines Jahres. Vielmehr tritt diese Rechtsfolge nach der Rechtsprechung (EuGH Urteil vom 06.11.2018, 10-619/16 und C-684/16; BAG, Urteil vom 19.02.2019, 9 AZR 423/16) nur dann ein, wenn die Arbeitnehmer zuvor ausdrücklich aufgefordert wurden, ihren Urlaub noch während des laufenden Kalenderjahres zu nehmen und Arbeitgeber ausdrücklich auf den Verfall des Urlaubs hingewiesen haben. Es besteht damit eine europarechtlich begründete Mitwirkungspflicht.
Soweit Arbeitgeber dieser Hinweispflicht nicht nachkommen, kann dies theoretisch zu einer grenzenlosen Fortschreibung des Urlaubsanspruchs führen. Arbeitgebern könnten in solch einem Fall nur die Verjährungsregeln helfen. Grundsätzlich verjähren Ansprüche gem. § 195 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nach der Regelverjährungsfrist nach drei Jahren. Arbeitgeber könnten deshalb auf die Idee kommen, dass auch Urlaubsansprüche nicht endlos weiter anwachsen können, selbst wenn sie in Bezug auf die Hinweispflicht komplett untätig bleiben. Ob dies tatsächlich so ist, beurteilt der EuGH in Kürze. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dem EuGH mit Beschluss vom 29.09.2020 (9 AZR 266/20) diese Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Der Sachverhalt
Es geht um eine Steuerfachangestellte, der im Kalenderjahr 24 Urlaubstage zustehen. Im Jahr 2011 und den Vorjahren konnte sie den Urlaub nicht in Gänze ausschöpfen. Mit Schreiben vom 01.03.2012 bescheinigte der Arbeitgeber der Klägerin, ihr „Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Kalenderjahr 2011 sowie den Vorjahren“ verfalle am 31.03.2012 nicht, weil sie den Urlaub wegen des hohen Arbeitsaufwands in seiner Kanzlei nicht habe antreten können.
Auch in den Jahren 2012 bis 2017 nahm die Klägerin ihren gesetzlichen Mindesturlaub nicht vollständig in Anspruch. Der Urlaub verfiel aufgrund eines fehlenden Hinweises des Arbeitgebers nicht.
Die Steuerfachangestellte klagt auf Abgeltung von 101 Urlaubstagen – ihr Arbeitgeber erhebt die Verjährungseinreide und meint, dass die Urlaubsansprüche bereits aufgrund der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren verjährt sind. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf gab der Arbeitnehmerin recht und hat den Arbeitgeber entsprechend verurteilt. Das BAG hat das Revisionsverfahren ausgesetzt, um die Verjährungsfrage dem EuGH vorzulegen.
Die Entscheidung
Die Entscheidung des EuGH ist in dieser Sache noch nicht ergangen. Allerdings hat der EuGH-Generalanwalt Jean Richard seinen Schlussantrag gestellt, dem der EuGH häufig folgt.
Aus dem Schlussantrag ergibt sich, dass der EuGH-Generalanwalt der Ansicht ist, dass beim Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub der Grundsatz gilt, dass dieser Anspruch nach Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums nicht erlöschen kann, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage war, seinen Urlaub zu nehmen. Dies hat Relevanz für den Beginn der Verjährungsfrist.
Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den, den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Danach beginnt die dreijährige Verjährungsfrist grundsätzlich mit dem Schluss des Bezugsjahres, in dem der Arbeitnehmer seine Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub erworben hat. Der danach festgelegte Beginn dieser Verjährungsfrist beruht theoretisch darauf, dass dem Arbeitnehmer der Urlaubsanspruch aus seinem Arbeitsvertrag, aus dem Gesetz oder aus Tarifverträgen bekannt sein muss und er in der Lage ist, diesen in einem ausreichend langen Zeitraum verjährungshemmend einzuklagen. Diese theoretische Kenntnis reicht jedoch nicht, so der EuGH-Generalanwalt.
Nach Ansicht des EuGH-Generalanwalts kommt es für den Beginn der Verjährung auf das Jahr an, in dem der Arbeitgeber seiner Hinweisobliegenheit nachkommt. Erst dann könne der Arbeitnehmer überhaupt Kenntnis von seinem Anspruch auf Jahresurlaub nach § 199 Abs. 1 BGB erlangen – und ihn dann auch wahrnehmen.
Was heißt das?
Wenn der EuGH dem Schlussantrag folgt, ist davon auszugehen, dass sich Arbeitgeber, die bislang ihrer Hinweispflicht nicht nachgekommen sind, sich nicht auf die vermeintlich rettenden Verjährungsregeln stützen können. Ein Fristbeginn vor dem aktiven Hinweis des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern wäre europarechtswidrig.
Handlungsempfehlung
Für Arbeitgeber kann es bis zu dem abschließenden EuGH Urteil nur einen Ratschlag geben: Die Aufforderungs- und Hinweispflichten für das aktuelle Jahr und die Vorjahre nachweisbar erfüllen, regelmäßig Urlaub gewähren und hoffen, dass der EuGH – entgegen dem Schlussantrag – den Urlaubsanspruch durch die Verjährungsregelungen doch noch zeitlich begrenzt.
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