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Whistleblowing – kein Kündigungsgrund

Es geht um die Frage, ob Whistleblowing - noch vor Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes - eine außerordentliche Kündigung rechtfertigte und welche Auswirkungen dies auf zukünftig zu erwartende Fälle hat.

AllgemeinArbeitsrecht
Lesezeit 6 Min.
Hand überreicht einen hellen Umschlag mit einem Pfeifsymbol, das eine Warnung oder einen Aufmerksamkeitsruf in Humanressourcen vor blauem Hintergrund signalisiert.
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Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 15.08.2023 – 5 Sa 172/22

Am 17.12.2023 läuft die Umsetzungsfrist für das Hinweisgeberschutzgesetz aus. Ab diesem Zeitpunkt gilt für einen Großteil der in Deutschland tätigen Unternehmen (mehr als 50 Beschäftigte) die gesetzliche Pflicht zur Einrichtung einer internen Meldestelle. Unabhängig davon, ob diese Pflicht besteht bzw. erfüllt wird, haben Beschäftigte immer (auch in Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten) die Möglichkeit, sich an eine externe Meldestelle zu wenden. Whistleblowing wird damit im nächsten Jahr an Bedeutung zunehmen. Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hatte sich im Sommer dieses Jahres mit einem Fall zu beschäftigen, der sich noch vor Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes ereignete, und kam zu dem Ergebnis, dass die Einschaltung der Staatsanwaltschaft kein Kündigungsgrund ist.

Worum geht es?

Es geht um die Frage, ob Whistleblowing – noch vor Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes – eine außerordentliche Kündigung rechtfertigte und welche Auswirkungen dies auf zukünftig zu erwartende Fälle hat.

Der Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, einer ordentlichen betriebsbedingten und einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung sowie über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.

Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein, der sich um Kinder und Jugendliche mit besonderem Betreuungsbedarf kümmert. Die Klägerin entdeckte (datenschutzrechtlich ok, da beide Damen Zugang zu dem Postfach hatten) im Papierkorb eines E-Mail-Postfachs mehr als 700 Bestellungen der Vorstandsvorsitzenden bei Amazon, die sie dem Vereinszweck nicht zuordnen konnte. Es handelt sich beispielsweise um Damenbekleidung, Unterwäsche, Schuhe (Größe 38, der Schuhgröße von Frau Dr. F.), Lampen, Möbel, Haushaltsgeräte, Bücher, Kosmetikartikel, Schmuck, Elektroinstallationsmaterial, Sanitärausstattung, Werkzeuge, Wasserleitungen und Tropfschläuche nebst Zubehör, eine Destille, Shisha Wasserpfeifen Zubehör, Hundebedarf, Imkereibedarf etc. Daraufhin erstattete sie am Vormittag des 16.11.2021 bei der Polizei Nordrhein-Westfalen online eine Strafanzeige gegen die Vorstandsvorsitzende.

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt.

Die Entscheidung

Das LAG hielt sowohl die verhaltensbedingte wie auch eine betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers für unwirksam, löste aber das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung iHv 9.000 € auf.

Konkret entschied das LAG, dass die Erstattung einer Strafanzeige ohne vorherigen Versuch einer innerbetrieblichen Klärung regelmäßig keine Pflichtverletzung darstellt, wenn mit einer neutralen, unvoreingenommenen Aufarbeitung der Vorgänge innerhalb des Betriebs oder Unternehmens nicht zu rechnen ist, weil sich beispielsweise die Vorwürfe direkt gegen den Arbeitgeber oder seine Repräsentanten richten.

In dem Urteil heißt es aber auch: „Dies kann anders zu beurteilen sein, wenn trotz richtiger Darstellung des angezeigten objektiven Sachverhalts für das Vorliegen der nach dem Straftatbestand erforderlichen Absicht keine Anhaltspunkte bestehen und die Strafanzeige sich deshalb als leichtfertig und unangemessen erweist. Die Anzeige des Arbeitnehmers darf sich mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers nicht als eine unverhältnismäßige Reaktion auf sein Verhalten oder das seiner Repräsentanten darstellen. Dabei können als Indizien für eine unverhältnismäßige Reaktion sowohl die Berechtigung der Anzeige als auch die Motivation des Anzeigenden oder ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die angezeigten Missstände sprechen. Soweit ihm dies zumutbar ist, ist der Arbeitnehmer wegen der sich aus der Pflicht zur Rücksichtnahme ergebenden Pflicht zur Loyalität und Diskretion gehalten, Hinweise auf strafbares Verhalten in erster Linie gegenüber Vorgesetzten oder anderen zuständigen Stellen oder Einrichtungen vorzubringen. Es ist daher zu berücksichtigen, ob ihm andere wirksame Mittel zur Verfügung standen, um etwas gegen den angeprangerten Missstand zu tun, andererseits aber auch ein öffentliches Interesse an einer Offenlegung der Information (BAG, Urteil vom 15. Dezember 2016 – 2 AZR 42/16 – Rn. 14, juris = ZTR 2017, 434; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. Mai 2022 – 2 Sa 349/21 – Rn. 31, juris = NZA-RR 2022, 615).

Zudem entschied das LAG, dass das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen sein kann, wenn das Verhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber oder seinen Repräsentanten durch eine persönliche Feindschaft oder einen persönlichen Machtkampf geprägt ist und die Unternehmensinteressen nicht mehr im Vordergrund stehen.

Was heißt das?

  • Bereits vor Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes waren Fälle denkbar, in denen trotz fehlendem internen Aufklärungsversuch der Ausspruch einer Kündigung nicht gerechtfertigt war.
  • Dies gilt jetzt umso mehr. Seit dem Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes ist ein Schutz vor Repressalien (dies ist beispielsweise eine Kündigung) gesetzlich manifestiert. Um das Verbot von Repressalien möglichst effektiv auszugestalten, können sich hinweisgebende Personen im Zweifelsfalle auf eine Beweislastumkehr berufen. Demnach muss die hinweisgebende Person nicht beweisen, dass es sich bei der behaupteten Benachteiligung um eine unzulässige Repressalie handelt. Vielmehr wird in diesen Fällen das Vorliegen einer Repressalie gesetzlich vermutet und der Arbeitgeber muss diese Vermutung widerlegen.

 

Handlungsempfehlung

Auf diese Beweislastumkehr sollten sich die Unternehmen einstellen. Unternehmen sollten dies wissen und bei geplanten Personalmaßnahmen strikt darauf achten, die Entscheidungsgrundlagen bei Personalentscheidungen gut zu dokumentieren. Im Übrigen sollte bei Einrichtung einer internen Meldestelle strategisch überlegt werden, wo im Unternehmen diese angesiedelt wird (diese sollte nicht in der HR-Abteilung sein).

Quick-Check: Ist Ihr Unternehmen fit für das Hinweisgeberschutzgesetze?

 Können Sie etwas mit dem Begriff Hinweisgeber anfangen?

Ein Hinweisgeber oder Whistleblower ist eine Person, die Kenntnis von Rechtsverstößen oder unethischen Verhaltensweisen innerhalb einer Organisation – etwa Unternehmen der Privatwirtschaft oder öffentlicher Stellen – erlangt und sich dann entschließt, dies entweder verantwortlichen Personen im Unternehmen oder der Öffentlichkeit namentlich oder anonym mitzuteilen.

Dürfen Hinweisgeber sich auch direkt an eine externe Meldestelle wenden?

Ja, Hinweisgeber haben ein Wahlrecht und dürfen wählen, ob sie sich zunächst intern an das Unternehmen oder extern an die zuständige Behörde oder die Öffentlichkeit wenden. Daher müssen seitens der Unternehmen Anreize geschaffen werden, dass mögliche Hinweisgeber sich zuerst an das eigene Unternehmen wenden. Nur so können Interna auch intern bleiben. Klar ist: Wer kein eigenes Hinweisgebersystem betreibt, bietet seinen Mitarbeitern keine Alternative zur externen Meldung.

Was ist eine interne Meldestelle und wer sollte diese Aufgabe übernehmen?

Eine interne Meldestelle ist eine Stelle innerhalb des Unternehmens, an die mündlich oder schriftlich Informationen über Verstöße und Missstände mitgeteilt werden können.

Die Mitarbeiter der Meldestelle (mindestens zwei) müssen mindestens über theoretische Fachkunde im Bereich Compliance verfügen und diese regelmäßig erneuern. Zudem sind praktische Kenntnisse unbedingt empfehlenswert.

Welche Meldekanäle können Unternehmen einrichten?

Jedes Unternehmen kann selbst entscheiden, in welcher Form es seine Meldekanälen einrichten will. So kommt neben dem digitalen Hinweisgebersystem weiterhin eine E-Mailadresse, eine Telefonnummer, ein Briefkasten oder ein persönliches Treffen als Meldekanal in Betracht, wobei im Rahmen der konkreten Ausgestaltung die Anforderungen an die Vertraulichkeit und Rückmeldung zu beachten sind. In der Praxis werden häufig mehrere Meldekanäle miteinander kombiniert, um allen potentiellen Hinweisgebern die Abgabe einer Meldung zu ermöglichen.

Welche Vorteile bietet ein Hinweisgebersystem?

Arbeitgeber müssen ab Überschreiten des Schwellenwerts (50 Beschäftigte) ein Hinweisgebersystem einführen. Neben der reinen Pflichterfüllung bringt ein Hinweisgebersystem aber auch Vorteile für den Alltag im Unternehmen mit sich.

Ein gut organisiertes Hinweisgebersystem kann die eigenen Beschäftigen schützen, denn es steigert die Bereitschaft zur Abgabe sensibler Hinweise und die Angst vor Repressalien sinkt. Ist das Hinweisgebersystem erst einmal eingerichtet, kann es durch Vorbeugen bei gehäuften Auffälligkeiten Kosten senken. Dieses Potential steigert sich durch die schnellen Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers nach dem Eingang eines Hinweises und die dadurch resultierende effiziente Aufklärungsmöglichkeit.

Letztlich minimieren Unternehmen mit einem gut organisierten Hinweisgebersystem Risiken.

Denn: Frühzeitiges Wissen und die Sensibilisierung von Fehlverhalten senkt finanzielle Risiken, Haftungsrisiken und Reputationsrisken.

 

Fazit

Wenn Sie nicht sicher sind, ob das Hinweisgeberschutzgesetz in Ihrem Fall Anwendung findet bzw. inwieweit und ob Ihr Unternehmen diesbezüglich schon optimal aufgestellt ist, lassen Sie sich beraten.

 von Frau Dr. Felisiak von Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte.

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