Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 24.08.2023 – 2 AZR 17/23
Auch Nachrichten in privaten Chatgruppen können eine Kündigung rechtfertigen. Die bislang angenommene Vertraulichkeit kann nicht mehr pauschal als Gegenargument angeführt werden. Im Fall einer WhatsApp-Gruppe von Mitarbeitern eines Reiseveranstalters urteilte das BAG, dass in solchen Fällen auch eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sein kann.
Worum geht es?
Das BAG hat sich erstmals mit der Frage beschäftigt, ob die private Kommunikation in geschlossenen Chatgruppen, die durch Hassrede, Gewaltverherrlichung, sexistische, rassistische oder vergleichbare Äußerungen geprägt ist, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann.
Die instanzgerichtliche Rechtsprechung bewertete dies bislang uneinheitlich. Das BAG ging in seiner vorhergehenden Rechtsprechung von einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung bei privaten Gesprächen aus. Dies galt auch im Kollegenkreis, in denen ehrverletzende Äußerungen über Mitarbeiter und Vorgesetzte fielen. Damit stand diese Vertraulichkeitserwartung dem Ausspruch einer wirksamen Kündigung entgegen. Gab ein Gesprächspartner den Gesprächsinhalt dennoch an den Arbeitgeber weiter, durfte das nicht zu Lasten des gekündigten Arbeitnehmers gehen (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 – 2 AZR 534/08).
Die aktuelle BAG-Entscheidung weicht hiervon nun ab und stellt klar, dass auch Äußerungen in privaten Chatgruppen eine (außerordentliche) Kündigung rechtfertigen können. Allerdings kommt es hierfür auf die Art der Nachricht und die Größe der Gruppe an.
Der Sachverhalt
Der Arbeitnehmer war seit 2014 Mitglied einer Chatgruppe mit fünf anderen Mitarbeitern. Alle Gruppenmitglieder waren "langjährig befreundet", wobei zwei von ihnen miteinander verwandt waren. Neben rein privaten Themen äußerte sich der Arbeitnehmer - ebenso wie mehrere andere Gruppenmitglieder - in beleidigender und menschenverachtender Weise über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Die Äußerungen bezogen sich in äußerst vulgärer Weise unter anderem auf die Religion oder Herkunft der beleidigten Personen. Ferner formulierte der Arbeitnehmer Tötungsfantasien gegen konkrete Arbeitnehmer. Nachdem ein Gruppenmitglied die Nachrichten einem Kollegen gezeigt und dieser den Chatverlauf kopiert hatte, erlangte der Arbeitgeber Kenntnis von der Existenz der Chatgruppe und deren Inhalte. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das aufgrund tariflicher Regelungen ordentlich unkündbare Arbeitsverhältnis des betreffenden Arbeitnehmers außerordentlich und fristlos.
Nach Ansicht der Beklagten habe der Arbeitnehmer durch die zahlreichen beleidigenden, teilweise menschenverachtenden, darunter, rassistischen und sexistischen Äußerungen sowie durch Aufrufe zur Gewalt seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwerwiegend verletzt. Demgegenüber hält der betroffene Arbeitnehmer den Inhalt des Chatverlaufs für nicht verwend- und verwertbar, da es sich um einen reinen privaten Austausch gehandelt habe und beruft sich damit auf die von ihm angenommene Vertraulichkeit. Die Vorinstanzen gaben der Kündigungsschutzklage statt.
Die Entscheidung
Das BAG hob die Entscheidungen jedoch nun auf. Das Landesarbeitsgericht war aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des BAG davon ausgegangen, dass der Arbeitnehmer eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung bezüglich der ihm vorgeworfenen Äußerungen hatte und ein Kündigungsgrund daher nicht vorliege.
Das BAG stellt mit seiner Entscheidung klar, dass eine solche Erwartung nicht generell besteht, sondern vom Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie von der Größe und Zusammensetzung der Chatgruppe abhängt. Eine Vertraulichkeitserwartung sei nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Wenn – wie im entschiedenen Fall – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen fallen, muss der Arbeitnehmer besondere Gründe darlegen, warum er erwarten durfte, dass der Inhalt von keinem Gruppenmitglied an Dritte weitergegeben wird.
Was heißt das?
- Eine WhatsApp-Gruppe ist kein geschützter Raum, wo man Vorgesetzte ohne Konsequenzen beleidigen kann. D.h., wer sich in privaten WhatsApp-Gruppen rassistisch und beleidigend äußert, kann gekündigt werden. Nur im Ausnahmefall kann man in einem solchen Fall auf den Schutz durch Vertraulichkeit setzen.
- Es bleibt abzuwarten, ob das BAG mit der Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung zu „vertraulichen“ Äußerungen im Kollegenkreis aufgibt. Bislang liegt nur die Pressemitteilung des Gerichts vor, die genauen Entscheidungsgründe folgen noch. In jedem Fall geht von diesem Urteil das Signal aus, dass Unternehmen diskriminierende und herabsetzende Äußerungen ihrer Mitarbeiter nicht hinnehmen müssen, auch wenn diese in vermeintlich vertraulichem Rahmen getätigt werden. Dass die Chatgruppe nicht dienstlich, sondern privat war, ändert daran nichts. Nach der Rechtsprechung des BAG kann auch privates Verhalten eines Arbeitnehmers arbeitsrechtliche Maßnahmen rechtfertigen, wenn es Auswirkungen auf das betriebliche Miteinander hat. Inwieweit dieser Aspekt für die Entscheidung relevant war, geht aus der Pressemitteilung nicht hervor.
- Das Urteil könnte dazu beitragen, dass derjenige, der sich – und sei es in einem vermeintlich „kleinen Kreis“ von Kollegen – in herabwürdigender Weise über andere Betriebsangehörige äußert, künftig eher mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen muss.
Handlungsempfehlung Unternehmen, die z.B. im Rahmen ihres Hinweisgebersystems von solchen Äußerungen ihrer Mitarbeiter erfahren, sind grundsätzlich verpflichtet, entsprechenden Vorwürfen nachzugehen. Der bloße Umstand, dass die Äußerung in einer privaten Chatgruppe erfolgt ist, steht dem für sich genommen nicht entgegen. |
Von Frau Dr. Felisiak von Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte
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