Dienstreisen : Ganz großes Gepäck
Wer beim Thema „Reisen“ zuerst an Leichtigkeit, Freiheit und neue Horizonte denkt, muss sich fragen, ob er nicht ein wenig aus der Zeit gefallen ist. Denn die Maxime „Klima first“ gilt inzwischen generell auch für Geschäftsreisende.
Noch findet sie in der Realität allerdings wenig konkreten Niederschlag; vielmehr sind es – wie zumeist – neue steuerliche Regelungen und Änderungen bei den Entsendungsformalitäten, die momentan vor allem die Organisation der beruflichen Mobilität prägen. Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Möglicherweise kann er das sogar schon vorher tun und dabei über ganz andere Dinge sprechen, als sie sich Matthias Claudius, der dieses geflügelte Wort prägte, vorgestellt hat. Denn das Reisen dient heute nicht mehr nur seinem eigentlichen Zweck, etwa der Erholung und Bildung im Privaten oder dem Vertrieb und der Informationsgewinnung im Geschäft. Berufliche Mobilität steht vielmehr in Zeiten der allgegenwärtigen Klimadebatte ebenso selbstverständlich unter dem Postulat der Nachhaltigkeit und CO2 -Achtsamkeit wie jedweder Konsum.
Dabei ist aber gleichzeitig völlig klar: Mobilität verursacht Emissionen, klimaschädliche ebenso wie gesundheitskritische. Das gilt immer, außer Sie gehen zu Fuß, und selbst dann benötigt Ihr Körper dafür mehr Kalorien und produziert durch eine gesteigerte Atemfrequenz mehr CO2, als wenn Sie im Büro sitzen geblieben wären. Sie essen daher anschließend womöglich mehr, vielleicht klimaschädlich produzierte Nahrung. Doch auch jenseits dieser Spitzfindigkeit gilt: Bewegung verbraucht Energie, immer, und deren Gewinnung und Umwandlung ist klimaneutral nicht zu bekommen.
Die Mär von der „klimaneutralen“ Geschäftsreise
Dass dem so ist, hält findige Berater nicht davon ab, „klimaneutrale“ Geschäftsreisen zu propagieren und zu verkaufen. Dabei geht es allerdings nur in den seltensten Fällen darum, Auswärtstätigkeiten umweltschonender zu organisieren; weitaus häufig bieten die Firmen an, die Verfehlungen gegen den Planeten per Kompensationsmaßnahme zu heilen. Die Devise könnte lauten: „Bäume pflanzen für den Außendienst.“ Doch das ist freilich kaum mehr als bloße Augenwischerei – zumal jeder Baum, der heute zwar CO2 bindet, dieses dann wieder freisetzt, wenn er eines Tages umfällt und verrottet oder aber verbrannt wird, egal ob ganz unmittelbar als Brennstoff oder noch später als Altmobiliar in der Müllverbrennung.
Warum geht das und entspricht dabei auch noch so sehr dem Zeitgeist? Vermutlich weil es die Mitarbeiter, die ab jetzt als „Reisende“ bezeichnet sein sollen, überaus interessiert – nach eigener Auskunft jedenfalls –, inwiefern ihr Tun zum Klimaschutz passt. In einer Studie von SAP Concur und dem Marktforschungsinstitut INNOFACT aus dem Jahr 2019 gaben zumindest 80 Prozent der befragten Business Traveller an, Klimaschutz sei für sie eine persönlich wichtige Angelegenheit, 74 Prozent zeigten sich besorgt über die globale Erwärmung.
Grüne Richtlinien sollen’s richten
Wie so oft, zeitigt Erkenntnis noch kein Handeln. Denn nur rund 44 Prozent der Befragten geben an, schon heute ihre Geschäftsreisen möglichst klimafreundlich zu gestalten. 66 Prozent sagen außerdem, dass sie beim Gedanken an den Klimawandel die Pflicht verspüren, ihr eigenes Verhalten kritisch zu hinterfragen, und 57 Prozent sind bereit, für den Klimaschutz auf Geschäftsreise bei anderen Faktoren wie Preis, Schnelligkeit und Komfort Abstriche zu machen. Spätestens jetzt sollten Arbeitgeber aufhorchen.
Nicht nur, weil eine solche Motivation in effektive Bahnen gelenkt sein will, sondern weil sie selbst es sind, die die Belegschaft tatsächlich auch in der Pflicht sieht, in Sachen Klimaschutz aktiv zu werden. Dass Arbeitgeber hier tatsächlich Konkretes zustande bringen, ist laut Studie aber bislang nur selten der Fall: Lediglich 39 Prozent der Firmen verfügen bei der Planung und Buchung von Geschäftsreisen über die notwendigen Informationen, um ihre Mitarbeiter möglichst klimafreundlich reisen zu lassen, meinen die Befragten der Studie.
Qualitätsmerkmal für Nachhaltigkeit
Tatsächlich gehört es aber inzwischen mehr als nur zum guten Ton, sich um die ökologischen Auswirkungen seines unternehmerischen Handels Gedanken zu machen, und zwar nicht allein in Bezug auf die CO2 -Emmissionen. Glücklicherweise. Immer stärker tritt dieser Aspekt derzeit als Teil der Nachhaltigkeitsstrategie in den Aufmerksamkeitsbereich von Kunden und Investoren.
So kann, wer will, inzwischen ausrechnen, wie viel CO2 seine Geschäftsreisen verursachen. Der Verband Deutsches Reisemanagement e. V. (VDR) hat dazu ein Tool entwickeln lassen; mit dem „VDR-Standard CO2 -Berechnung Geschäftsreise“ würden die CO2 -Emissionen sämtlicher wesentlicher Geschäftsreiseaktivitäten einheitlich und qualitativ bilanzierbar, heißt es, inklusive Flug und Mietwagen, Auto und Bahn, Hotel und Veranstaltung.
Selbstverständlich ließen sich daraus Maßnahmen ableiten, heißt es. Nur welche? Konsequent – und einzig hilfreich – wäre, die Reisetätigkeit einzuschränken und auf digitale Kommunikationswege zurückzugreifen. Skypen ginge ja möglicherweise auch, wenngleich auch nicht völlig klimaneutral, da ohne Strom auch im Virtuellen nichts geht.
Sleep it over
Doch um zu wissen, dass weniger – und zwar von fast allem außer dem Denken – besser fürs Klima und die Umwelt ist, muss niemand rechnen. Und kaum ein Unternehmen wird sich schließlich den Luxus leisten, unnötige Spaßreisen für die Belegschaft zu finanzieren. Insofern ist die Art der Debattenführung zumindest oberflächlich bis vernebelnd, zumal nach wie vor echte Alternativen fehlen.
Beispiel Bahn statt Flugzeug. Ernsthaft in den Geschäftsalltag ist sie nur integrierbar, wenn Geschäftsreisen sich dadurch nicht um einen Anreise- und einen Abreisetag verlängern, sprich kein Zeitverlust entsteht, und das geht nur über Nacht. Wie viele Geschäftsreisende aber haben wohl schon einmal einen Nachtzug als Alternative zum Früh- oder Spätflieger bestiegen? In jedem Fall zu wenige für die Deutsche Bahn, die vor drei Jahren nach andauernden Verlusten aus dem Geschäft ausgestiegen ist und den Österreichern ihre überalterte Flotte überließ. Derzeit diskutiert man zwar gerade wieder einen Einstieg, doch der Nachtzug bleibt ein Nischenthema. So gesehen bleiben vielleicht doch nur Bäume.
Steuerliche Erleichterungen
Pflanzlich ist immer prima – das gilt ja schließlich auch beim Essen. Kann gelegentlich teurer werden, aber hier treffen sich nun Klimaschutz und Jahressteuergesetz 2019, könnte man meinen. Doch natürlich ganz unabhängig von Ersterem hat der Gesetzgeber eine Erhöhung der Verpflegungsmehraufwendungen beschlossen. Die Pauschalen stiegen von 24 auf 28 Euro für Abwesenheiten von 24 Stunden und von 12 auf 14 Euro für An- und Abreisetage sowie für Abwesenheitstage ohne Übernachtung und mehr als acht Stunden. Die wenigen Euro mehr ließen sich ja in „Bio“ oder „Veggie“ investieren – wenn man denn so will. Dann geht der Flieger – zumindest minimalmoralisch – wieder eher.
Noch ein Maßnähmchen wären täglich Bus und Bahn statt Auto. Das soll mit dem steuerfreien Job-Ticket attraktiver werden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können es für die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte mit öffentlichen Verkehrsmitteln steuerfrei erhalten, wenn es als Add-on überlassen wird. Wandelt der Arbeitgeber dagegen Gehalt in Ticket, muss er dies pauschal mit 25 Prozent versteuern, ohne dass die Zuschüsse auf die Entfernungspauschale angerechnet werden.
Oder lieber elektrisch?
Noch ein bisschen Ruhe in das grüne Gewissen bringt die Verlängerung der Halbierung der Bemessungsgrundlage bei der Dienstwagenbesteuerung für die private Nutzung eines Firmen-Elektro- oder Hybridautos. Dank des Klimapakets 2030 wurde die Bemessungsgrundlage bei bestimmten Fahrzeugen zudem auf ein Viertel herabgesetzt; dies betrifft zwischen dem 01.01.2019 und dem 31.12.2030 angeschaffte Kraftfahrzeuge, die keine Kohlendioxidemission haben und deren Bruttolistenpreis unterhalb von 40.000 Euro liegt.
Auch hier ist freilich Skepsis geboten, was die Durchschlagskraft anlangt. Denn Elektrofahrzeuge machen derzeit nicht einmal 10 Prozent aller fünf Millionen deutscher Firmenfahrzeuge aus.
A1-Bescheinigung wird digital
Was für das Fahrzeug der Treibstoff, scheint für die Verwaltung die Bürokratie, die auch trotz – oder gerade wegen – Digitalisierungstendenzen beständig aufwändiger zu bewältigen wird. So hat der Gesetzgeber zwar ab 2021, wie in vielen anderen EU-Ländern bereits üblich, die Möglichkeit eröffnet, die elektronische A1-Bescheinigung dem Arbeitnehmer in elektronischer Form zu übermitteln und auf den Papierausdruck zu verzichten. Doch dafür gibt es eine Reihe neuer Pflichtangaben, etwa zum Wohnstaat.
Auch bei kurzen Reisen Pflicht
Vielen Arbeitgebern ist indes nicht bewusst, dass die A1-Bescheinigung auch bei kurzfristigen und kurzzeitigen Dienstreisen in das EU-Ausland erforderlich ist und keinerlei zeitliche Toleranzgrenze existiert. Allerdings ist bei der Beantragung zwischen einer Entsendung und einer „gewöhnlichen Erwerbstätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten“ zu unterscheiden, da sich daraus unterschiedliche Zuständigkeiten innerhalb der Sozialversicherung ergeben können.
Grundsätzlich erfordert jedes auch nur zweistündige Meeting im EU-Ausland eine A1-Bescheinigung. Theoretisch kann bei Fehlen der Zutritt etwa zu einer Messe verweigert werden. Dass dies tatsächlich der Fall ist und Prüfungen zunehmen, berichtete die Presse bereits mehrfach. Mitarbeiter würden an Flughäfen abgefangen, und Prüfer ließen sich an der Hotelrezeption die Gästeliste zeigen und gingen gezielt auf Dienst- und Geschäftsreisende zu. Dies sei insbesondere in Österreich und Frankreich so.
Korrekte Angaben zur Entsendung
Der Form entsprechen Anträge, wenn sie nicht wie bislang nur Aufschluss darüber geben, ob die Entsendung befristet ist, sondern stattdessen den „Beginn der Entsendung“ und das „Ende der Entsendung“ angeben. Neu ist auch, dass nunmehr 11 statt bisher vier Beschäftigungsstellen eingetragen werden können, auch die Angabe „keine feste Beschäftigungsstelle“ ist weiterhin möglich.
Die Verwaltung will scheinbar immer genauer wissen, wo sich ihre Werktätigen aufhalten, die Mobilität des Einzelnen scheint auch hier immer stärker unter die Ägide der Kontrolle zu geraten. Ein bisschen ist der Zeitgeist damit gerade nicht der Freund des Reisenden – und das, wo doch eigentlich nur Kenntnis den Blick öffnet für die Probleme die Welt.
Doch nicht Offenheit, sondern Konformität gilt den meisten als Ziel. Der Weg dahin führt über vermeintlich sinnvolle ökologische Kompensationsmaßnahmen und ein bisschen persönlichen Verzicht, da wo es am wenigsten weh tut, um nicht ernsthaft Arbeits- und Lebensmodelle in Frage stellen zu müssen, für die weder die Gesellschaft noch die Wirtschaft ernsthafte Alternativen kennt. Die Lösung für das Dilemma? Weiß vielleicht jemand am anderen Ende der Welt – aber da kommen wir klimaneutral, steuerfrei und bürokratisch korrekt ja niemals hin.
Alexandra Buba