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Aktuelles aus dem Arbeitsrecht

Lesezeit 14 Min.

Kein Verbot von Präsenzsitzungen des Konzernbetriebsrats wegen Corona

Arbeitsgericht Berlin, Beschluss vom 07.10.2020 – 7 BVGa 12816/20

In Zeiten der Corona-Pandemie stehen Arbeitgeber vor vielen Herausforderungen: mögliche finanzielle Einbußen, Kurzarbeit, Gesundheitsschutz der Mitarbeiter, Organisation technischer Mittel zur Aufrechterhaltung des Betriebs… In diesem Zusammenhang stellen sich viele rechtliche Fragen, die derzeit auch unter Zuhilfenahme der gesetzlichen Bestimmungen nicht abschließend beantwortet werden können. Dadurch entstehen viele Konflikte, die gerichtlich geklärt werden müssen.

In diesen Zusammenhang steht auch ein Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin, das zu entscheiden hatte, ob der Arbeitgeber dem Konzernbetriebsrat die Abhaltung von Präsenzsitzungen wegen der daraus folgenden Gesundheitsrisiken verbieten kann.

Sachverhalt

Ein Unternehmen, das Rehabilitationseinrichtungen betreibt, hatte gegenüber seinen Beschäftigten aufgrund der Corona-Pandemie einrichtungsübergreifende dienstliche Zusammenkünfte und Konferenzen untersagt. Hiervon sollte nach der Intention des Unternehmens auch eine geplante mehrtägige Sitzung des Konzernbetriebsrats erfasst sein, bei dem die Betriebsratsmitglieder von mehreren Standorten zur gemeinsamen Zusammenkunft anreisen sollten. Während das Unternehmen eine solche Präsenzveranstaltung aufgrund der Gesundheitsrisiken durch COVID-19 für nicht vertretbar hielt, machte der Konzernbetriebsrat geltend, dass alle gesetzlich geltenden Hygienemaßnahmen zum Infektionsschutz eingehalten würden. Er wandte sich gegen das Verbot im einstweiligen Rechtsschutz.

Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht Berlin gab dem Konzernbetriebsrat Recht und erklärte die Durchführung der Präsenzsitzung für zulässig.

Für das Verbot fehlt es – so das Gericht – an einer gesetzlichen Grundlage.

Zudem war die Durchführung der Sitzung entsprechend der zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung zulässig. Zudem liegt die Beachtung und Einhaltung der Verordnung in erster Linie im Verantwortungsbereich des Konzernbetriebsrats selbst und seines Vorsitzenden. Entscheidungsrelevant war damit allein, ob der Arbeitgeber einseitig die Sitzungsabhaltung vor Ort untersagen darf.

Das Arbeitsgericht Berlin entschied diesbezüglich nach den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG), wonach allein der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats über die Einberufung der Sitzung, den Sitzungsort und damit auch über die Frage entscheidet, ob eine Sitzung in Form einer Video- oder Telefonkonferenz durchgeführt werde oder nicht. Dem Arbeitgeber steht insoweit keine Entscheidungskompetenz zu.

Der neu eingeführte § 129 BetrVG gibt dem Betriebsrat neben der Präsenzveranstaltung die Möglichkeit, Sitzungen in Form einer Video- oder Telefonkonferenz abzuhalten. Hierdurch wird jedoch nicht das Instrument der Präsenzveranstaltungen gänzlich abgeschafft.

Im Streitfall schied eine nach § 129 Abs. 1 BetrVG mögliche Sitzung in Form einer Video- oder Telefonkonferenz schon deshalb aus, weil geheim durchzuführende Wahlen anstünden. § 129 Abs. 1 S. 1 BetrVG erklärt nur die „Teilnahme an Sitzungen“ und die „Beschlussfassung“ per Video- oder Telefonkonferenz für zulässig, erwähnt jedoch nicht die Durchführung von Wahlen. Diese können daher auch nicht nach der Sonderregelung des § 129 BetrVG im Rahmen einer Telefon- oder Videokonferenz durchgeführt werden.

Konsequenzen für die Praxis

Die Entscheidung ist insofern konsequent, als das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in einem Beschluss vom 24.08.2020 (12 TaBVGa 1015/20) ebenfalls dem Betriebsrat die Verantwortung hinsichtlich der Sitzungsform zusprach und eine Weisung des Arbeitgebers, nur Video- oder Telefonkonferenzen durchzuführen, für unzulässig erklärte. Das Landesarbeitsgericht deutete in seinem Beschluss jedoch auch an, dass in Einzelfällen trotz der grundsätzlichen Wahlfreiheit des Betriebsrats dieser eine Art Ermessensentscheidung hinsichtlich der Sitzungsform zu treffen habe. Der Betriebsrat könnte daher in Einzelfällen dennoch angehalten sein, eine Sitzung in Form einer Video- und Telefonkonferenz abzuhalten.

Good to know

Für einen Konzern im Sinne des § 18 Abs. 1 Aktiengesetz (AktG) kann durch Beschlüsse der einzelnen Gesamtbetriebsräte ein Konzernbetriebsrat errichtet werden (§ 54 Abs. 1 S. 1 BetrVG). Dieser ist dann zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die den Konzern oder mehrere Konzernunternehmen betreffen und nicht durch die einzelnen Gesamtbetriebsräte innerhalb ihrer Unternehmen geregelt werden können (§ 58 Abs. 1 S. 1 BetrVG).

Für die Geschäftsführung des Konzernbetriebsrats erklärt § 59 BetrVG die Regelungen, die für den örtlichen Betriebsrat gelten, entsprechend anwendbar. Dies gilt auch für die Einberufung der Sitzungen, §§ 59 Abs. 2 S. 3, 29 Abs. 2 BetrVG. Nach diesen Regelungen ist hierfür, wie bei den örtlichen Betriebsräten, der Vorsitzende zuständig.

Um gesundheitliche Risiken durch Präsenzsitzungen zu minimieren und in Zeiten von Ausgangs- und sonstigen behördlichen Beschränkungen Betriebsratssitzungen dennoch zu ermöglichen, wurde § 129 BetrVG (derzeit) befristet bis zum 31.12.2020 in das Betriebsverfassungsgesetz aufgenommen. Durch die Neuregelung des § 129 BetrVG ist (derzeit) eine Beschlussfassung per Telefon- oder Videokonferenz in Sitzungen des Betriebsrats unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Hierdurch sollte Rechtssicherheit geschaffen werden. Hintergrund ist, dass das Betriebsverfassungsgesetz von einer Beschlussfassung durch anwesende Mitglieder ausgeht, also körperliche Präsenz voraussetzt. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie trat das Problem auf, dass auch Betriebsräte oder andere betriebsverfassungsrechtliche Gremien aus den unterschiedlichsten Gründen nicht zu Präsenzsitzungen zusammenkommen konnten oder wollten. Folglich war umstritten, ob virtuelle Sitzungen zulässig sind. Hierauf hat der Gesetzgeber reagiert und virtuelle Sitzungen befristet ermöglicht. Video- oder Telefonkonferenzen stellen daher eine Option zur Verringerung des Gesundheitsrisikos dar. Ob die Regelung des § 129 BetrVG verlängert wird, war zum Redaktionsschluss noch nicht absehbar.

Grundsätzlich ist der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern aufgrund der generellen Fürsorge- und Schutzpflicht, die als arbeitsvertragliche Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis selbst folgt, zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes verpflichtet. Dies gilt auch für Gefahren, die aus der betrieblichen Organisation im Hinblick auf die Corona-Pandemie resultieren. Daher hat er diese so weit wie möglich zu minimieren.

Praxishinweise

Arbeitgeber haben grundsätzlich Maßnahmen zu ergreifen, um das betriebliche Gefährdungspotenzial gegenüber ihren Mitarbeitern so gering wie möglich zu halten. Dabei haben sie dennoch die Grenzen ihrer Weisungsbefugnis, wie z. B. gegenüber dem Betriebsrat, einzuhalten. Unter Umständen ist der Betriebsrat jedoch angehalten, seine Entscheidung nicht gänzlich frei, sondern unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls zu treffen.

Eine Person, die an einem Schreibtisch mit juristischen Dokumenten und Personalakten arbeitet, symbolisiert durch ein markantes rotes Absatzzeichen, das darauf hindeutet, dass der Schwerpunkt auf Recht, Rechtsangelegenheiten und persönlichem Management liegt.

Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten?

Bundesarbeitsgericht vom 11.11.2020 – 10 AZR 185/20 (A)

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) muss sich (erneut) mit der möglichen Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten befassen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat den EuGH um eine Vorabentscheidung über zwei Fragen ersucht.

Bei einer Fluggesellschaft erhalten Arbeitnehmer eine Zusatzvergütung, wenn eine bestimmte Zahl von Arbeitsstunden überschritten ist. Eine Unterscheidung zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten gibt es nicht. Hierin kann eine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten liegen.

Sachverhalt

Der Arbeitnehmer ist als Pilot bei einer Fluggesellschaft beschäftigt. Er arbeitet in Teilzeit und hat seine Arbeitszeit auf 90 Prozent verringert. Auf das Arbeitsverhältnis finden die geltenden Tarifverträge Anwendung. Daraus ergibt sich ein Anspruch auf eine Vergütung der Mehrarbeitsstunden, wenn eine bestimmte Zahl von Flugdienststunden im Monat geleistet und damit eine Grenze für die erhöhte Vergütung „ausgelöst wird“. Diese sog. Auslösegrenzen gelten einheitlich für Arbeitnehmer in Teilzeit und Vollzeit.

Der Arbeitnehmer beruft sich darauf, dass die tariflichen Regelungen unwirksam sind, da sie Teilzeitbeschäftigte ohne sachlichen Grund schlechter behandeln als Arbeitnehmer in Vollzeit. Richtigerweise müsste die Auslösegrenze für die Zusatzzahlung von Teilzeitbeschäftigten entsprechend dem jeweiligen Teilzeitanteil abgesenkt werden.

Der Arbeitgeber argumentiert andererseits, dass die Zusatzvergütung für Mehrflugdienststunden dazu diene, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen. Diese bestehe aber erst, wenn die tariflichen Auslösegrenzen überschritten seien.

Die Entscheidung

Das BAG hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen im Vorabentscheidungsverfahren vorgelegt.

Der EuGH soll klären, ob eine mögliche schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten gerechtfertigt sein kann, wenn die zusätzliche Vergütung eine besondere Arbeitsbelastung ausgleichen soll. Zudem möchte das BAG wissen, ob bei der Prüfung einer möglichen Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten auf die Gesamtvergütung und nicht auf den Entgeltbestandteil zusätzlicher Mehrarbeitsvergütung abzustellen ist.

Konsequenzen für die Praxis

Da die Teilzeittätigkeit immer attraktiver wird, dürfte der Ausgang des Verfahrens für eine Vielzahl von Fällen relevant sein.

Good to know

Das BAG ist (vor 2017) in ständiger Rechtsprechung in der Vergangenheit davon ausgegangen, dass Überstundenzuschläge bei Teilzeitbeschäftigten nicht bereits ab Überschreiten ihrer individuellen Arbeitszeit, sondern erst bei Erreichen der Arbeitszeit eines Vollzeitarbeitnehmers zu gewähren sind. Diese Rechtsprechung wurde bereits im Jahr 2017 vom 6. Senat des BAG in Frage gestellt und als Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten angesehen.

Der 10. Senat des BAG hat mit Urteil vom 19.12.2018 (10 AZR 231/18) die bis dahin geltende Rechtsprechung aufgegeben. Damit können Teilzeitbeschäftigte Überstundenzuschläge bereits ab Überschreiten ihrer individuellen Arbeitszeit verlangen, soweit beispielsweise tarifliche Regelungen die Zahlung von Überstundenzuschlägen vorsehen. In dem dort entschiedenen Fall ging es allerdings um die Regelung eines Jahresarbeitszeitkontos.

Bereits in dem Urteil vom 19.12.2018 (10 AZR 231/18) vertrat das BAG einen europarechtlichen Begründungsansatz. Das BAG hatte darin die Auffassung vertreten, dass – sollte ein Anspruch für die Teilzeitmitarbeiter auf Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen erst bestehen, wenn die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten überschritten wird – hierin unmittelbar eine Diskriminierung von Teilzeitkräften liegen würde. Während Vollzeitkräfte bereits Zuschläge für die erste Stunde der Mehrarbeit erhielten, bekämen Teilzeitkräfte einen solchen erst, wenn sie die Differenz zwischen individueller Teilzeitquote und der Arbeitszeit bei einer Vollzeittätigkeit aufgearbeitet hätten. Dies kann nicht richtig sein. Im Rahmen der Urteilsbegründung verwies das BAG damals auch auf eine vorhergehende Entscheidung des EuGH (27.05.2014). Auch damals knüpfte der EuGH hinsichtlich des Vergleichsmaßstabs an das Vorliegen einer Ungleichbehandlung und nicht an die einzelnen Entgeltbestandteile an. D. h. relevant für den Vergleich von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten ist nicht die Gesamtvergütung, sondern die einzelnen Entgeltbestandteile.

Praxishinweise

Mit Blick auf die vorhergehende Rechtsprechung hat das BAG die Rechtslage für Teilzeitbeschäftigte deutlich verbessert. Es spricht viel dafür, dass dies auch in dem anhängigen Verfahren geschehen wird. Ebenso wie in dem Urteil vom 19.12.2018 (10 AZR 231/18) kann dem Zweck des Überstundenzuschlags und der Anknüpfung an die Belastungsgrenze nur gerecht werden, wenn bereits ab der ersten Mehrarbeitsstunde eine Zusatzvergütung gezahlt wird. Wollen Arbeitgeber zusätzliche Vergütungszahlungen für Teilzeitbeschäftigte vermeiden, kann es sich bereits jetzt lohnen, aktiv zu werden und darauf zu achten, dass Teilzeitbeschäftigte nur in einem Umfang zu Überstunden herangezogen werden, wie dies die einschlägigen Regelungen vorsehen.

(Keine) Verletzung der Mitbestimmung des Betriebsrats durch die „Duldung“ von Überstunden durch den Arbeitgeber

Bundesarbeitsgericht vom 28.07.2020 – 1 ABR 18/19

Das Thema „Überstunden“ birgt viel Konfliktpotenzial. Auf der einen Seite sieht sich der Arbeitgeber oftmals Beschwerden seitens der Arbeitnehmer bei deren Ableistung oder auch Ansprüchen vor allem auf Abgeltung solcher Überstunden ausgesetzt. Auf der anderen Seite kommt es hier zu spannungsreichen Begegnungen mit dem Betriebsrat, sei es bei der Ausarbeitung einer Betriebsvereinbarung hierzu oder bei der allgemeinen Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Anordnung von Überarbeit.

Die Anordnung von Überstunden ist mitbestimmungspflichtig. Was gilt jedoch, wenn der Arbeitgeber die Erbringung von Überstunden duldet?

In der folgenden Entscheidung machte der Betriebsrat eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts durch die Duldung von Überstunden seitens des Arbeitgebers geltend. Das Gericht hatte zudem auch darüber zu entscheiden, wann eine solche Duldung überhaupt angenommen werden kann.

Sachverhalt

Die Arbeitgeberin erbringt logistische Dienstleistungen. Die Arbeitnehmer arbeiten in einem durch Betriebsvereinbarung festgelegten Schichtmodell mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden.

In der Zeit von März bis Mai 2017 wies das elektronische Zeiterfassungssystem für zwei Arbeitnehmer wiederholt Zeiten von mehr als acht Stunden auf. Der Betriebsrat wertete dies als Überstundenleistung und beanstandete den Sachverhalt bei der Arbeitgeberin. Diese erklärte, hierbei handle es sich um einen technischen Fehler. Die betreffenden Arbeitnehmer seien einem falschem Arbeitszeitmodell (Gleitzeit statt Schichtmodell) zugeordnet gewesen. Dieser Fehler sei behoben und die Arbeitnehmer seien nochmals auf die Einhaltung der für sie geltenden Arbeitszeiten hingewiesen worden.

Im Oktober und im Dezember 2017 arbeitete ein weiterer Arbeitnehmer an zwei Tagen jeweils mehr als acht Stunden. Der Betriebsrat beschloss, ein Beschlussverfahren einzuleiten, da die Arbeitgeberin wiederholt Überstunden geduldet hätte, ohne das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu beachten, und verlangte die Unterlassung der mitbestimmungswidrig geduldeten Überstunden.

Die Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) wies das Begehren des Betriebsrats letztlich ab. Ein Unterlassungsanspruch nach § 23 BetrVG lag nach Ansicht des BAG nicht vor, da kein betriebsverfassungswidriges Verhalten der Arbeitgeberin erkennbar war. Auch steht dem Betriebsrat kein Unterlassungsanspruch gem. § 87 Abs. 1 BetrVG zu.

Grundsätzlich besteht zwar ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nicht nur bei der ausdrücklichen Anordnung von Überstunden, sondern auch bei deren Duldung durch den Arbeitgeber.

Um eine solche Duldung anzunehmen, müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen vorliegen und auch vorgetragen werden. So liegt eine Duldung im rechtlichen Sinne nur vor,  wenn der Arbeitgeber in Kenntnis der Überstundenleistungen untätig bleibt und diese über einen längeren Zeitraum hinnimmt, handelt es sich um das Unterlassen von gebotenen Gegenmaßnahmen. Das Gericht führt an, dass dies erfüllt ist, wenn:

  • der Arbeitgeber in Kenntnis der Überstundenleistungen durch Arbeitnehmer untätig bleibt und diese über einen längeren Zeitpunkt hinnimmt oder
  • wenn beispielsweise Monat für Monat eine Vielzahl von Arbeitnehmern immer wieder in erheblichem Maße Überstunden/Mehrarbeit leisten würden und der Arbeitgeber diese Stunden „entgegennimmt und bezahlt“ oder
  • es die betrieblich-organisatorischen Gründe bedingen, dass Arbeitnehmer häufig über das mitbestimmt festgelegte Schichtende hinaus arbeiten und diese Überstunden/Mehrarbeit „angenommen und vergütet“ werden/wird.

Die Bezahlung von Überstunden ist allerdings nicht das maßgebliche Kriterium; auch unbezahlte Überstunden können insoweit geduldet werden und unterfallen somit unter Umständen dem Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG.

Für eine Duldung müssen sämtliche Aspekte des Einzelfalls bewertet werden. Einzelnen oder einmaligen Umständen geschuldete Überschreitungen der betriebsüblichen Arbeitszeit sprechen für sich gesehen nicht dafür, dass der Arbeitgeber diese bewusst duldet. Die positive Kenntnis des Arbeitgebers von Überstundenleistungen durch Arbeitnehmer ohne Ergreifen von Gegenmaßnahmen deutet allerdings regelmäßig auf deren Duldung hin.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war das Verhalten der Arbeitgeberin vorliegend nicht als Duldung zu bewerten. So musste bedacht werden, dass hinsichtlich der Vorfälle von März bis Mai 2017 die beiden Arbeitnehmer nicht nur das Schichtende, sondern auch den Schichtbeginn sowie die festgelegten Pausenzeiten nicht beachteten. Einer der beiden Arbeitnehmer erreichte trotz Überschreitens des Schichtenden sein monatliches Stundensoll nicht. Auch wurde von der Arbeitgeberin weder eine Vergütung für die Überstunden ausbezahlt noch bestünden Anhaltspunkte, dass das Überschreiten der Schichtdauer organisatorisch oder durch das Arbeitspensum bedingt gewesen sei. Weiter ging es hier eher um das Arbeiten in einem für die Arbeitnehmer nicht geltenden Arbeitszeitsystem (Gleitzeit statt Schichtzeit). Die Arbeitgeberin hat die Vorfälle nach dem Hinweis des Betriebsrats auch umgehend aufgeklärt, die Arbeitszeiterfassung korrigiert und die Arbeitnehmer auf das für sie geltende System hingewiesen.

Hinsichtlich der Vorfälle im Oktober und Dezember 2017 mag zwar ein betrieblich-organisatorischer Grund vorgelegen haben. Jedoch fehlt es hier an einer Regelhaftigkeit und einer gewissen Häufigkeit. Es ist nichts ersichtlich, was darauf schließen lässt, dass es systematisch oder auch nur häufiger zu Mehrarbeit kommt.

Zudem wäre zweifelhaft, ob vorliegend eine Wiederholungsgefahr als tatbestandliche Voraussetzung eines Unterlassungsanspruchs nach § 87 Abs. 1 BetrVG gegeben wäre. Ein Unterlassungsanspruch zielt auf die Unterbindung zukünftiger Verletzungen des Mitbestimmungsrechts, daher muss die Gefahr weiterer Verletzungen noch bestehen. Grundsätzlich indizieren vergangene Verletzungen die Gefahr einer Wiederholung. Hier hat die Arbeitgeberin jedoch konkret Maßnahmen ergriffen, um die Überschreitung der Arbeitszeit zukünftig zu verhindern. Insofern spricht dies auch gegen das Vorliegen eines Unterlassungsanspruchs.

Konsequenzen für die Praxis

Das Bundesarbeitsgericht bestätigt mit dieser Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Ableistung von Überstunden durch die Arbeitnehmer ist grundsätzlich zu beachten. Jedoch dürfen die Anforderungen an den Arbeitgeber gerade hinsichtlich einer Duldung von Überstunden nicht überspannt werden.

Good to know

Der Betriebsrat hat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei der „vorübergehenden Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit“ ein Mitbestimmungsrecht.

Missachtet der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG, so kann der Betriebsrat gerichtlich einen Unterlassungsanspruch geltend machen. Mit diesem soll die Durchsetzung der Mitbestimmung sichergestellt werden. Der Anspruch folgt unmittelbar aus § 87 Abs. 1 BetrVG. Voraussetzung dieses Unterlassungsanspruchs ist das Bestehen einer Wiederholungsgefahr, wobei vergangene Pflichtverletzungen eine solche Gefahr indizieren.

Arbeitnehmer leisten nicht schon dann Überstunden, wenn sie die für sie geltende Soll-Arbeitszeit im Betrieb überschreiten. Vielmehr müssen Überstunden mit „Wissen und Wollen“ des Arbeitgebers erbracht werden. Der Arbeitgeber muss daher die Arbeitsleistung über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus angeordnet oder in sonstiger Weise zum Ausdruck gebracht haben, dass er diese billigt oder zumindest duldet. Macht der Arbeitnehmer im Prozess Überstundenabgeltung geltend, muss er somit nicht nur darlegen, an welchen Tagen er seine Soll-Arbeitszeit um wie viel überschritten hat, sondern vielmehr auch vortragen, dass diese Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurden.

Praxishinweise

Arbeitgeber sind gehalten, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu beachten, so z. B. bei der ausdrücklichen Anordnung von Überstunden. Anderenfalls kann sich dieser gerichtlich zur Wehr setzen. Es muss jedoch auch tatsächlich ein Sachverhalt vorliegen, der ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach sich zieht. Erhalten Arbeitgeber Kenntnis davon, dass Arbeitnehmer nach Ende der festgelegten Arbeitszeit oder über ihre für sie geltende wöchentliche Arbeitszeit hinaus arbeiten, so haben sie den jeweiligen Sachverhalt aufzuklären und Maßnahmen zu ergreifen. So bestehen gute Chancen, dass die jeweiligen Umstände des Einzelfalls gegen das Bestehen eines mitbestimmungspflichtigen Tatbestands sprechen und der Betriebsrat einen solchen auch gerichtlich nicht durchsetzen kann.

Dr. Michaela Felisiak, Rechtsanwältin, LL.M. BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

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