New Work und Digitalisierung : Die Pandemie verändert die Arbeitswelt
Seit dem weltweiten Ausbruch von COVID-19 sind Videokonferenz- und Kollaborationstools gefragt wie nie zuvor. Das Arbeiten im Homeoffice hat sich bewährt, viele Unternehmen denken bereits darüber nach, diese Option dauerhaft anzubieten.

Generell wächst die Offenheit für flexible Arbeitsmodelle, die Mitarbeitern mehr Freiraum bieten, aber auch mehr Eigenverantwortung fordern. Diese Kernelemente von „New Work“ gewinnen in der aktuellen Situation erheblich an Relevanz. Aber auch auf längere Sicht führt in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung daran kein Weg mehr vorbei.
Destillerien stellen Desinfektionsmittel her, Autobauer produzieren Beatmungsgeräte, Textilfirmen fertigen Atemschutzmasken: Die Corona-Krise hat gezeigt, wie schnell sich kreative und unkonventionelle Lösungen umsetzen lassen. Um die Betriebsprozesse so flexibel umstellen zu können, braucht es allerdings eine funktionierende Infrastruktur. In Zeiten, in denen eine vollständige Anwesenheit der Mitarbeiter im Unternehmen nicht gewährleistet ist, können virtuelle Kollaborationstools, digitale Vertriebswege und neue Technologien wie Cloud Computing als wirksame Hebel dienen, um die Handlungsfähigkeit von Unternehmen aufrechtzuerhalten. Der deutsche Mittelstand ist hier schon auf einem guten Weg: Laut dem Digitalisierungsindex 2019/2020[1], den Techconsult im Auftrag der Deutschen Telekom erstellt hat, kamen mittelständische Firmen auf 56 von 100 möglichen Punkten und damit auf einen Indexpunkt mehr als im Vorjahr. Die aktuelle Situation hat den Druck, den digitalen Wandel im Eiltempo voranzutreiben, jedoch weiter erhöht.
Erfolgsmodell Homeoffice
Wegen der Kontaktbeschränkungen seit Ausbruch der Pandemie konnten sich viele Unternehmen größtenteils nur virtuell mit Kunden, Zulieferern und ihren Mitarbeitern austauschen. Einer Umfrage von Gartner[2] zufolge haben 88 Prozent der Unternehmen weltweit ihre Mitarbeiter ermutigt oder aufgefordert, in den eigenen vier Wänden zu arbeiten. Ähnlich in Deutschland: Laut einer Erhebung des IAB[3] (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) war im April und Mai 2020 mehr als die Hälfte der Büroangestellten zumindest zeitweise im Homeoffice tätig, fast jeder zweite von ihnen ausschließlich. Für zahlreiche Firmen bedeutete diese Umstellung eine enorme Herausforderung: Oft musste die IT-Infrastruktur für das mobile Arbeiten auf breiter Basis erst implementiert werden.
Unternehmen können mithilfe von modernen Tools aber auch ihre Prozesse aufrechterhalten und so ihre Handlungsfähigkeit sicherstellen. Zudem sind unkonventionelle Ideen und neue digitale Geschäftsmodelle leichter und schneller umsetzbar. Insgesamt ist das Verständnis für neue Technologien in den letzten Monaten enorm gestiegen. Millionen von Beschäftigten haben erlebt, wie leicht der Sprung in die digitale Zukunft ist – auch ohne aufwendige Schulungen und Change-Programme.
New Work bedeutet mehr als Homeoffice
Große Konzerne – Twitter ist hierfür nur ein Beispiel – haben bereits angekündigt, dass sie ihren Mitarbeitern die Option auf Homeoffice dauerhaft anbieten werden. Der Einsatz von Videokonferenz- und anderen Kollaborationslösungen wird daher in Zukunft selbstverständlich sein. Unternehmen haben damit nicht nur die Möglichkeit, die Zahl der Geschäftsreisen zu reduzieren. Sie können ihre Arbeitsabläufe auch insgesamt effizienter gestalten. So zeigt eine vor zwei Jahren veröffentlichte Studie der Stanford University[4], dass die Arbeit im Homeoffice sogar produktiver ist als das Arbeiten im Büro. Und schließlich können Betriebe bei ihren Mitarbeitern punkten. Denn die Mehrheit der Homeoffice-Worker begrüßt die neue Freiheit und Flexibilität, wie eine Umfrage der Technischen Hochschule Köln[5] von Anfang April 2020 belegt.
Aber ist das schon „New Work“ – die neue Arbeitswelt, die speziell von den Generationen Y und Z seit Jahren eingefordert wird? Nicht ganz. Mit der selbstverständlichen Nutzung von Collaboration-Technologien werden die Grundlagen jedoch gerade geschaffen – und zwar nicht nur in technischer Hinsicht. Auch andere Merkmale von New Work, die den Beschäftigten mehr Eigenverantwortung und Gestaltungsspielraum einräumen, dürften durch den Erfolg des Homeoffice einen Schub erfahren. Ob Work-Life-Balance, Co-Working-Spaces, agiles Projekt-Management, Transparenz, Feedback-Kultur oder flache Hierarchien: Die lange diskutierte Vision einer Arbeitswelt, die von Flexibilität, Freiraum und Selbstverwirklichung geprägt ist, nimmt, beschleunigt durch die Pandemie, langsam Gestalt an. Nicht nur Unternehmen beginnen zunehmend, ihre Strukturen dahingehend anzupassen. New Work als Idee von stärkerer Individualisierung und der Flexibilisierung von Arbeitsprozessen beginnt auch, das traditionelle Modell des festen Angestelltenverhältnisses sukzessive zu verändern.
„Gigs“ statt dauerhafter Festanstellung
Der Wunsch vieler Arbeitnehmer, selbstbestimmter zu arbeiten, wird auch an der steigenden Zahl von Freelancern deutlich. Vor allem die Vertreter der jüngeren Generationen wollen sich nicht mehr langfristig an ein Unternehmen binden, wie es über Jahrzehnte hinweg üblich war. In den USA könnte bereits 2027 mehr als die Hälfte aller Arbeitskräfte freiberuflich tätig sein. Auch der deutsche Markt verzeichnet einen Anstieg der sogenannten Gig Economy: Laut dem
Institut für Freie Berufe der Universität Erlangen[6] waren im vergangenen Jahr 1,4 Millionen Menschen freiberuflich tätig, das sind 36 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren.
Auch die Firmenkultur muss sich verändern
Wenn nun immer mehr Unternehmen und deren Mitarbeiter Homeoffice als Selbstverständlichkeit und zeitgemäße Gestaltungsmöglichkeit von Arbeit betrachten und gleichzeitig auch eine zunehmende Zahl an Menschen freiberuflich tätig sein möchte, so zeigt sich darin sehr deutlich, dass es sich bei den Kernaspekten von New Work – Vertrauen und Eigenverantwortung – nicht um weltfremde Idealvorstellungen der jüngeren Generationen handelt. Es sind vielmehr realistische Werte, die zu mehr Motivation und Zufriedenheit führen – und am Ende letztlich zu besseren Ergebnissen.
Allerdings setzt die neue Arbeitswelt auch eine entsprechende Unternehmenskultur voraus. Das ist vor allem im Hinblick auf die fundamentalen Veränderungen in der Arbeitswelt von entscheidender Bedeutung: Digitalisierung, Globalisierung, demografischer Wandel, Fachkräftemangel sowie der Übergang zur Wissensgesellschaft und die Frage nach der Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit erfordern neue Ansätze und Möglichkeiten. Vor diesem Hintergrund sollten Unternehmen die Verlagerung von Tätigkeiten ins Homeoffice nicht als zeitlich befristeten Notfallplan für Krisenzeiten verstehen, sondern als den Beginn einer neuen Arbeitskultur, die sie in Zeiten disruptiver Veränderungen zukunfts- und wettbewerbsfähig macht und mit der sie sich entsprechend ihren jeweiligen Bedürfnissen auch qualifizierte Fachkräfte sichern können.
Simone Seidel, Director People Central Europe bei Sage
[1] www.digitalisierungsindex.de/studie/gesamtbericht-2019/
[2] ww.gartner.com/en/newsroom/press-releases/2020-03-19-gartner-hr-survey-reveals-88–of-organizations-have-e
[3]doku.iab.de/kurzber/2020/kb1320.pdf
[4] nbloom.people.stanford.edu/sites/g/files/sbiybj4746/f/wfh.pdf
[5] www.th-koeln.de/mam/downloads/deutsch/hochschule/aktuell/pm/2020/ad-hoc-studie_corona-homeoffice__2020-04-18.pdf
[6] ifb.uni-erlangen.de/forschung/statistiken/