New Work : Homeoffice ist noch keine Vereinbarkeit
Dem Klingeln von Telefonen und Tippen auf dutzenden von Tastaturen sind die Geräusche der Spül- und Kaffeemaschine gewichen. Keine dumpf hallenden Lederschuhe und schrill klackenden Absätze, sondern eilige Kinderschritte und auf den Boden fallendes Spielzeug sind im Flur zu hören. Alle tragen Hauschuhe zur Arbeit. 2020 geht in die Geschichte ein als das Jahr, in dem alle zu Hause waren.
Doch wir „bleiben“ nicht nur zu Hause, wir leben, lernen, lehren und arbeiten nun in denselben vier Wänden. Das Home ist weit mehr als ein Homeoffice, dennoch sammeln sich unter diesem Begriff aktuell Themen rund um Vereinbarkeit. Denn wie sich die Anforderungen sämtlicher Lebensbereiche miteinander vereinbaren lassen, ist zur zentralen Frage geworden, sowohl auf Seiten der Mitarbeiter*innen als auch in den Unternehmen.
In einer Statista-Umfrage im Jahr 2010 gaben bereits 20 Prozent der Befragten an, sie würden gern vollständig von zu Hause arbeiten. 37 Prozent konnten sich vorstellen, teilweise aus dem Homeoffice ihrer Erwerbstätigkeit nachzugehen[1]. Von da an stieg die Anzahl derer, die im Homeoffice arbeiten wollten, und derer, die es bereits taten, kontinuierlich[2]. 2019 stieß der Vorschlag des Bundesarbeitsministers für ein Recht auf Homeoffice auf großen Anklang, insbesondere bei erwerbstätigen Eltern. „Unter anderem, weil flexibles Arbeiten als wichtiger Faktor für eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf gilt“, schrieb Hannes Soltau für den Tagespiegel im März 2019 und führte sogleich eine Studie an, die die Illusion platzen ließ[3]. Denn Yvonne Lott, Gender- und Arbeitszeitforscherin am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, fand schon vor der Corona-Pandemie heraus: „Einen Freizeitgewinn mit flexiblen Arbeitsarrangements gibt es weder für Mütter noch für Väter.“[4]
Tatsächlich ist Homeoffice nur eine Option für die Optimierung des Verhältnisses zwischen den unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbereichen, nicht nur für Eltern, sondern grundsätzlich für Mitarbeiter*innen mit unterschiedlichsten Bedürfnissen und Verpflichtungen, sagt New-Work-Expertin, Unternehmensberaterin, Coach und Autorin Vanessa Jobst-Jürgens. Sie veröffentlichte kürzlich eine umfassende Studie zu New Work im Kontext von Vereinbarkeit und unterschiedlichen Generationsansprüchen. „Homeoffice ist meines Erachtens ein heruntergebrochenes Konzept, welches die genannten Werte von New Work suggeriert. Wenn Organisationen ihren Mitarbeitenden echte Selbstständigkeit zutrauten – und dazu gehört eine Menge Vertrauen –, bräuchten wir keine Homeoffice-Policy oder ein politisch definiertes Recht auf ‚Telearbeit‘. Mitarbeitende würden selbst entscheiden, wann, wo und wie viel sie arbeiten. Führungskräfte würden immer davon ausgehen, dass die Mitarbeitenden einen effizienten Weg finden, ihre Aufgaben zu erledigen und sich ins Unternehmen einzubringen“, erklärt Jobst-Jürgens im Gespräch.
Auch wenn es bis zu diesem Ziel noch ein weiter Weg ist, findet die Forscherin und Referentin im Zertifikatslehrgang Vereinbarkeits Manager/in (IHK) Positives am Homeoffice für die Vereinbarkeit: „Pragmatische Vorteile gibt es viele, wie z. B. dass Fahrtwege minimiert werden. Auch die Konzentration und die Produktivität sind unter den richtigen Umständen im Homeoffice gesteigert.
[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/155775/umfrage/arbeiten-im-home-office/
[2] www.fachkraeftesicherer.de/wunsch-nach-home-office-im-zeitverlauf-2008-bis-2017#homeoffice-immer-beliebter-%e2%80%93-zahlen-aus-2017
[3] https://www.tagesspiegel.de/politik/geschlechtergerechtigkeit-lasst-die-muetter-nicht-allein/24066508.html
[4] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/flexibles-arbeiten-warum-das-homeoffice-vor-allem-frauen-belastet/24064352.html
Der wahre Vorteil liegt aber in der mentalen Entlastung, die wir im Homeoffice verspüren. Hier können wir in unserem Tempo agieren und sind unbeobachtet. Das wiederum zahlt auf die mentale Gesundheit ein, die wir benötigen, um Vereinbarkeit richtig leben zu können.
Vereinbarkeit entscheidet aber nicht nur auf Mitarbeiter*innenseite über die persönliche Produktivität, sondern beeinflusst den Unternehmenserfolg. Eine Untersuchung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zeigte auf, dass familienfreundliche Maßnahmen in Unternehmen Einsparungspotenziale von mehreren 100.000 Euro schaffen[1]. Betrachtet man, wie in dieser BMFSFJ-Studie, die Kosten für Recruiting, unbesetzte Stellen, Aus- und Weiterbildungskosten, Informations- und Kontrollkosten sowie die Kosten, die sich aus geringerer Produktivität und hohen Fehlquoten ergeben, wird schnell klar, welche wirtschaftliche Relevanz Vereinbarkeit hat. Auch die New-Work-Expertin Vanessa Jobst-Jürgens unterstreicht dies in Bezug auf das Arbeiten im Homeoffice: „Studien zeigen, dass eine Kombination aus Homeoffice und Büroanwesenheit positive Auswirkungen auf die Minderung der Fehltage sowie auf die Fluktuation in Unternehmen hat. Es stellt de facto einen wirtschaftlichen Verlust dar, als Unternehmen voll und ganz auf Homeoffice zu verzichten.“
Homeoffice ist darum nur ein möglicher Baustein in einer größeren Vereinbarkeitsstrategie. Der New-Work-Ansatz nimmt dabei beide Seiten in die Pflicht, sowohl Mitarbeiter*innen als auch Unternehmen, individuelle Vereinbarkeitslösungen für familiäre und betriebliche Ansprüche zu gestalten. Ganz konkret werden solche individuellen Vereinbarkeitsstrategien, unter Berücksichtigung von Erkenntnissen aus New Work, im IHK-Zertifikatslehrgang Vereinbarkeits Manager/in entwickelt, in dem Jobst-Jürgens Referentin ist. Sie bringt hier Impulse des New-Work-Konzepts ein, das „mit den zentralen Werten – Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft einen guten Grundstein für die Vereinbarkeit legt“, so die Expertin.
Die Expertin erklärt: Was ist New Work?
„New Work ist ein Begriff, der vom austro-amerikanischen Sozialphilosophen und Philosophieprofessor Fritjof Bergmann geprägt wurde. Der Satz „New Work ist die Arbeit, die ein Mensch wirklich, wirklich machen will“, ist wohl derjenige, den man im New-Work-Kontext immer wieder liest. Die Idee besteht bereits seit 40 Jahren – denn Bergmann hat diese Theorie des neuen Arbeitens bereits in den 80er Jahren als Reaktion auf die damals stark aufkommende Automatisierung, z. B. in Automobilfabriken, begründet. In einem Manifest der „Neuen Arbeit“ beschreibt er, wie diese in der Zukunft so gestaltet sei, dass sie die Menschen nicht durch eine punktgenaue Arbeitsteilung sowie feste Kommando- und Zeitstrukturen, an die sich jeder zu halten hat, auslaugt, sondern vor allem bereichert.“ – Vanessa Jobst-Jürgens
Juliane Schreiber, Co-Founderin Smart Worq, Co-Founderin Mama Meeting
[1] https://www.bmfsfj.de/blob/93376/f3a47f2443bb3c38496a4da84e30915b/betriebswirtschaftliche-effekte-data.pdf