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Rente in Deutschland: Reform oder Reförmchen? : Immer neue Renten braucht das Land

Die Alterung der Gesellschaft erfordert völlig neue Konzepte in vielen Lebensbereichen: ob bei der Infrastruktur von Städten (z. B. barrierefreie Wege zu Einkaufsmöglichkeiten, Dienstleistern oder Arztpraxen), der Umgestaltung von Arbeitsplätzen in Unternehmen (etwa. um ältere Fachkräfte möglichst lange im Arbeitsprozess zu halten, Homeoffice mit guten Netzen ermöglichen) oder der Anpassung des öffentlichen Personennahverkehrs.

Eine Miniaturfigur im Geschäftsanzug steht auf einem Stapel Münzen und denkt über finanzielles Wachstum und Investitionsmöglichkeiten im Bereich Humanressourcen nach.

Auch im Bereich der Altersversorgung muss der Staat umdenken, da Langlebigkeit und Pflegebedürftigkeit die neuen Problemfelder für die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland und Europa werden. Auch Banken und Versicherungen passen ihre Finanzprodukte an volatile Kapitalmärkte und die ältere Kundenklientel an. Ebenso gerät der Sozialhaushalt außer Kontrolle.

Dieser Beitrag beleuchtet die alten und neuen Rentenkonzepte der Politik, die Basis für jede Überlegung des Einzelnen zur privaten und betrieblichen Vorsorge – insbesondere auch die neuen Ideen zur Selbstständigenrente – sowie der Entscheidungen der Personalverantwortlichen für unternehmensspezifische Lösungen sind.

Hinzuverdienstgrenzen

Zwei Miniaturfiguren, die persönliches Management symbolisieren und auf Stapeln von Münzen stehen und finanzielles Wachstum oder Investition darstellen.

Da in der Koalition Einigkeit über eine längere Lebensarbeitszeit und eine sinkende Rentenleistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung besteht, wenn auch das Rentenbeginnalter der Altersrente strittig ist, sind erst einmal die Hinzuverdienstgrenzen angehoben worden:

  • Wer eine Altersrente erhält und bereits die Regelaltersgrenze (bis 67 steigend) erreicht hat, kann unbegrenzt hinzuverdienen, ohne dass seine gesetzliche Rente gekürzt wird oder sogar ganz entfällt. (Damit können Niedrigrenten „aufgepeppt“ werden!)
  • Wer jünger ist, als es die Regelaltersgrenze vorgibt, und seine Altersrente oder auch seine Rente wegen Erwerbsminderung/Berufsunfähigkeit ohne Abzug weiterbeziehen möchte, darf derzeit ein maximal zusätzliches Bruttoeinkommen in Höhe von 15.479,10 Euro (2020) jährlich haben. Der Betrag, der diese Grenze überschreitet, wird zu 40 Prozent auf die gesetzliche Rente angerechnet.
  • Bei Erwerbsminderungs-, Witwen- oder Waisenrenten erfolgt eine individuelle Prüfung des Hinzuverdienstes bzw. der Abzüge nach Einkommen, Rentenpunkten und Alter des Berechtigten.

Lebensleistungs- oder Solidarrente

In den letzten Jahrzehnten hatten wir kontinuierliche Rentenreformen, die u. a. bestanden in

  • Abschlägen beim vorzeitigen Renteneintritt (z. B. 0,3 Prozent pro Monat),
  • Heraufsetzen des Renteneintrittsalters in der Altersrente auf das 67. Lebensjahr (geplant sind perspektivisch das 70. Lebensjahr nach der nächsten Bundestagswahl),
  • Einführung des demografischen Faktors, um die Rentnerzahl an die Beitragszahlermenge anzupassen,
  • Einführung der Erwerbs- statt der Berufsunfähigkeitsrenten und
  • der Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen.

Die Problemfelder Altersarmut und Fachkräftemangel sind von der Bundesregierung nunmehr erneut ausgemacht.

Die Zuschuss- oder Lebensleistungsrente sollte das Problem Altersarmut abmildern und alle bisherigen Zuschüsse (Wohngeld/Grundsicherung) ablösen.

Aus der Lebensleistungs-, Solidaroder auch Respektrente ist die neue Grundrente geworden. Ab 01.01.2021 soll nach dem Willen der großen Koalition endlich etwas für „kleine Rentner“ getan werden. 1,14 Millionen Rentner sind betroffen. Im Schnitt würden die Renten um ein Drittel (von 697 Euro auf 930 Euro) angehoben werden und damit über Hartz IV/Grundsicherungsniveau liegen.

Wer bekommt die Wohltat?

  • Die bisherige Rente muss unter ca. 865 Euro monatlich liegen.
  • 35 Jahre Pflichtbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt.
  • Zu den Pflichtbeitragszeiten gehören auch Kindererziehung oder Pflegezeiten.
  • Das Gesamthaushaltseinkommen darf aus allen Einkommensquellen (z. B. auch Zins- und Mieteinnahmen) nicht 1.250 Euro für Alleinstehende und 1.950 Euro für Paare überschreiten.

Auf die betriebliche Altersversorgung (bAV) hat eine solche Maßnahme gravierende Auswirkungen, da die Bereitschaft von Geringverdienern, Eigenvorsorge zu betreiben, durch diese staatliche Aufstockung zum Erliegen käme. Auch das Sozialpartnermodell, das ja auch diese Menschen fördern will, lebt vom Mitmachen!

Das Bundessozialministerium rechnet mit über 20.000 Berechtigten im ersten Schritt und bis 2035 mit einer Steigerung auf 1 Million Berechtigte.

Auf jeden Fall wird so durch die Hintertür eine Pflicht zur betrieblichen Altersversorgung und/oder Riester-Rente eingeführt. Die Einführung dieser Pflicht ist inzwischen auf das Jahr 2023 fixiert. Hier darf man weiter gespannt sein …

Herr Scholz, seines Zeichens Vizekanzler, hat im letzten Sommerloch einen Vorstoß gewagt und möchte das Rentenniveau auf 48 Prozent bis 2040 anheben, um weniger Altersarmut zu produzieren. Das kostet laut Experten 3 Billionen Euro bzw. bedeutet einen Rentenbeitragssatz von 29 Prozent. Ob da die CDU mitmacht?

Teilrenten

Weiterhin ist ab dem 63. Lebensjahr (das 60. Lebensjahr steht aber auch noch zur Diskussion) der Bezug einer Teilrente möglich, die den schönen Namen „Kombirente“ erhalten hat.

Beispiel: Herr Krause hat vorher 3.000 Euro brutto verdient, kann/will aus persönlichen Gründen nur noch halbtags arbeiten und erhält dafür nun 1.500 Euro brutto. Dann soll er, sofern sein Rentenkonto mit persönlichen Entgeltpunkten entsprechend gefüllt ist, eine halbe Altersrente – im Optimalfall 1.500 Euro, beantragen und beziehen dürfen.

Die Bundesregierung erhofft sich zum einen, so dringend benötigte Fachkräfte länger an Bord zu halten, zum anderen aber auch eine Entlastung der Sozialsysteme. Denn was passiert jetzt mit älteren Menschen, die nicht mehr arbeiten können oder wollen: Arbeitslosengeld, Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente, Krankengeld oder gar der Bezug der Grundsicherungsleistung, wenn die Rente nicht zum Leben ausreicht.

Die Scholz-Rente: Selbstständige im Fokus

Gemäß Verlautbarung der Bundesregierung ist nur etwa ein Viertel der Selbstständigen in der gesetzlichen Rentenversicherung Mitglied. Dies kann die Zwangsmitgliedschaft (z. B. Hebammen, Handwerker, Lehrer, Journalisten) sein oder die freiwillige Einzahlung.

Die Bundesregierung befürchtet massive Altersarmut und will eine Zwangsmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung noch vor dem Ende der Legislaturperiode einführen. Viele in der CDU bevorzugen jedoch ein „freiheitliches Modell“ mit Vorsorgepflicht und der Wahl zwischen gesetzlicher oder privater Absicherung. Übersetzt heißt dies, Selbstständige sollten Vorsorge (in der Regel Rürup/Basis-Versorgung) von mindestens 850 Euro Garantiemonatsrente abschließen, um sich befreien zu können.

Beispiel aus der Werkstatt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS):

Alle Selbstständigen ab Jahrgang 1977 sind ab 01.01.2021 Pflichtmitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Beitrag wird entsprechend dem steuerpflichtigen Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit gezahlt. Hierbei ist ein Mindestbeitrag von 83,70 Euro und ein Höchstbeitrag von 1.320,60 Euro monatlich (aus Basis 2020, Vorjahreseinkommen) zugrunde zu legen. Für Existenzgründer kann Beitragsfreiheit im ersten Jahr nach der Gründung beantragt werden.

Eine Befreiung ist nur möglich, wenn der Nachweis einer substitutiven Absicherung (z. B. Vermögenswerte, private Rentenversicherung) auf Grundsicherungsniveau erfolgt. Die angezeigten Werte dürfen nicht vor dem Rentenbeginnalter und nicht als Kapitalzahlung, sondern als lebenslange monatliche Rentenzahlung verfügbar sein.

Auf jeden Fall tut sich hier bald was für die 4,5 Millionen Betroffenen …

Die Nahles-Rente

Immer wenn ein Minister glaubt, er wird nicht dauerhaft in seinem Amt bleiben, braucht er ein Denkmal. Die römischen Kaiser bauten Statuen und prägten Münzen oder erhoben sich zu Göttern. Demokratie versperrt einige Wege und trotzdem bleibt der Ehrgeiz der Sterblichen nach dauerhaftem – manchmal auch zweifelhaftem – Ruhm zur Bestätigung der eigenen Existenz.

Ob Norbert Blüm ewig mit der sicheren Rente verbunden bleibt, Walter Riester das gesetzliche Rentenniveau zugunsten einer staatlich subventionierten Privatrente seines Namens (und für seinen späteren Dienstherrn Maschmeyer) senkte oder Daniel Bahr sein Empfehlungsschreiben für die Allianz mit dem Pflege-Bahr, einem bezuschussten Privatpflegevertrag, krönte – alle hatten ihre Gründe für ihre Ideen.

Frau Nahles, die ungern als Pippi-Langstrumpf-Sängerin in Erinnerung bleiben will und noch etwas bei ihren Freunden, den Gewerkschaften, gutzumachen hat, braucht auch ein Denkmal: die Nahles-Rente.

Die gute alte Betriebsrente mit ihren bisher fünf Optionen soll nach ihrem (ex-)ministerialen Willen

  • durch eine von den Sozialpartnern gegründete Gemeinschaftseinrichtung
  • in der Rechtsform einer Pensionskasse mit
  • gleichzeitiger Enthaftung des Arbeitgebers (Pensions-Sicherungs-Verein springt hier ein) und
  • Entrechtung des Arbeitnehmers (nur seine Beiträge werden ihm im Alter zugesagt) und
  • dies als Zwang für alle die Arbeitgeber/ Arbeitnehmer, die keine eigene Betriebsrentenlösung anbieten (über die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen),
  • als „Sonderweg“ der Durchführung ergänzt werden.

Das scheint auf den ersten Blick bequem und schlägt mehrere Fliegen mit einer Klappe:

  • Der Arbeitnehmer muss nicht aufwendig zur Betriebsrente beraten werden,
  • die Arbeitgeber zahlen und vergessen das Ganze, • die Gewerkschaften haben in Beiräten neue sinnstiftende Aufgaben und
  • das gesetzliche Rentenniveau kann weiter sinken, wenn es eine flächendeckende verpflichtende Betriebsrente gibt.

Allerdings muss dieses Modell erst einmal auf der Taufe gehoben werden – der Name des Kindes steht lediglich fest („Sozial- oder Tarifpartnerrente“)  – und es musste schon pränatale Sturmwinde der Versicherungsindustrie, der Versicherungsvermittler und der Arbeitgeberverbände sowie der bAV-Experten über sich ergehen lassen. Keine guten Vorzeichen für die Geburt eines solchen Projekts für die Ewigkeit. Die ersten Konsortien stehen für 2021 in den Startlöchern und zum Absch(l)uss bereit …

Die Schäuble-Rente/Deutschland-Rente

Der aktuelle Coup unseres „ewigen Finanzministers“ und aktuellen Bundestagspräsidenten ist die Schäuble-Rente. Damit würde er der ungeliebten Riester-Rente (Eigenvorsorge mit staatlichen Zuschüssen) eine Schwester an die Seite stellen und ein neues Konzept befürworten.

Nach dem Vorbild von angelsächsischen Pensionsfonds wird eine

  • staatlich geförderte Altersversorgung („Vorsorgekonto“)
  • bei der Deutschen Rentenversicherung gegründet, die
  • in Staatsanleihen europäischer Staaten (Die Europäische Zentralbank hat da noch einige Papiere aus der andauernden Schuldenkrise!) mit einem Zinsaufschlag von ein bis zwei Prozent investiert.

Diese „Euro-Bonds“ werden durch

  • private Einzahlungen der Bürger finanziert und sollen
  • nicht so hohe Kosten wie die Riester- Verträge verursachen.

Dieses Rentenmodell könnte auch als „Opting-out-“ und/oder bAV-Lösung eingesetzt werden. Hessische Minister haben ein ähnliches Konzept, allerdings mit weiteren Anlageoptionen, als „Deutschlandrente“ propagiert. (In dieser Legislaturperiode wird damit nicht mehr gerechnet. Aber die Rentenkommission soll trotzdem bis 2020/21 Ergebnisse liefern.)

Reform der gesetzlichen Rente ab 2022

Seit November 2020 werden Pläne zu einer neuen großen Reform der gesetzlichen Rente laut. Bis 2025 scheinen zwar die Finanzen durch großzügige Bundeszuschüsse (über 100 Milliarden Euro pro Jahr) gesichert, aber politische Eingriffe wie die Grundrente und andere Wohltaten wie die Besserstellung von Erwerbsminderungsrentnern sowie die Klassiker Demografie und steigende Lebenserwartung machen hier ein Handeln dringend nötig.

Folgende Ideen sind in der Diskussion:

  • Flexibles Renteneintrittsalter: Nicht mehr das Lebensalter entscheidet, sondern derjenige darf in Rente, der mindestens 45 Jahre Versicherungszeit (das beinhaltet auch Zeiten der Kindererziehung oder Pflege) aufweisen kann. Nur die Studenten im 27. Semester (von denen in der Regel lediglich drei Jahre anerkannt werden) sehen dann alt aus …
  • Finanzierung: Bisher gilt in der gesetzlichen Rente das Umlageverfahren. Beiträge und Bundeszuschüsse werden sofort wieder als Renten ausgezahlt. Hier soll künftig ein Teil des Rentenbeitrags von Arbeitnehmern und Arbeitgebern am Kapitalmarkt angelegt werden. Man spricht von etwa 2,5 Prozent des Bruttolohns als Startinvestition. Die Deutschlandrente zur Finanzierung von Infrastruktur, Euro-Staaten und Corona-Ausgaben wird damit vom Gespenst zur Realität.
  • Ab 2030 sollen neue Beamte/Berufsstarter auch in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen.
  • Die bisherige Riester-Rente soll mit neuen Zuschüssen durch ein (europäisches) Standardvorsorgeprodukt abgelöst werden.
  • Eine Pflicht zur betrieblichen Altersvorsorge ist ebenfalls angedacht, um die gesetzliche Rentenleistung zu einer Grundversorgung – ergänzt um betriebliche und private Vorsorge – zu entwickeln.

Fazit

Vor und nach den Bundestags- und Landtagswahlen wird sich in Sachen gesetzliche und betriebliche Altersversorgung einiges ändern. Je größer der Bedarf für Wahlkampfgetöse und später die Kanzlermehrheit ist, umso größer werden die Reformschritte sein. Der Umbau hin zu einer Basisversorgung der gesetzlichen Rentenversicherung (mit unterer Mindestabsicherung) ist beschlossen.

Unser Ziel als Bürger in Deutschland muss hingegen ein Leben wie der Nacktmull sein: Die kleinen, in Ostafrika vorkommenden Tiere haben durchschnittlich eine beeindruckende Lebenserwartung von über 30 Jahren (zehnmal mehr als andere Artgenossen der Nagetiere) und entwickeln gleichzeitig dabei so gut wie keine schweren Krankheiten im Alter. Auch zeigen sie kaum sonstige Alterserscheinungen. Wer aber nicht wie diese Tiere in dunklen Höhlen leben und sich bis zum Alter von 150 Jahren (das ist laut Forschung für uns erreichbar) von Pflanzenknollen ernähren will, muss schon heute umdenken und etwas tun…

Andreas Nareuisch, Betriebs- und Finanzfachwirt und Bundessachverständiger

Eine Miniaturfigur, die auf einem gestaffelten Stapel Münzen vor einem weichen, verschwommenen Hintergrund steht und die Anhäufung von Wohlstand im Personalbereich, finanziellen Erfolg oder Investitionswachstum symbolisiert.

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