Vorsicht Haftung : Mitbestimmung in der betrieblichen Altersversorgung trotz Corona
Seit vielen Jahren machen die Arbeitsgerichte die Arbeitgeber für alle Belange der betrieblichen Altersversorgung verantwortlich. Nun hat der Bundesgerichtshof zusätzlich jeden Personalverantwortlichen in die Pflicht genommen, sich – bei fehlendem umfassenden Sachverstand – externen Rat zur betrieblichen Altersversorgung (bAV) einzuholen, um eine ganzheitliche Risikoanalyse und die Vermeidung von Haftungsfallen anzustreben.
Auch die Mitbestimmung ist ein oft vernachlässigtes Thema bei der Einführung und Umsetzung der betrieblichen Altersversorgung. Selbst in Zeiten der Pandemie sind klare Regeln gesetzt.
Haftung kann für Sie teuer werden…
Eine betriebliche Altersversorgung ist richtig und notwendig, in Form der Entgeltumwandlung sogar gesetzlich als Rechtsanspruch des Arbeitnehmers vorgeschrieben.
In Deutschland haben etwa 20 Millionen Arbeitnehmer entsprechende Abschlussmöglichkeiten im Rahmen des Betriebsrentengesetzes. Aber wussten Sie, dass Sie als Arbeitgeber bzw. Personalverantwortlicher die volle Verantwortung für den umgewandelten Betrag und dessen Schicksal im Rahmen des Durchführungsweges haben? Die Leitsätze des Bundesarbeitsgerichts in verschiedenen Urteilen betrachten den umgewandelten Betrag – auch den aus der Gehaltsumwandlung – weiterhin als (vorenthaltenen) Arbeitslohn, für den Sie als Arbeitgeber (Schuldner des Arbeitsentgelts) haften müssen, insbesondere dafür, dass der Betrag richtig, rechtssicher und wenigstens wert erhaltend angelegt wird. Beispielsweise ist es in den Durchführungswegen Unterstützungskasse und Pensionsfonds für Arbeitgeber zu erheblichen Nachschussverpflichtungen gekommen, um Wertverluste (z. B. durch Finanzkrise und fehlerhafte Geldanlage) aufzufangen. Auch beim Thema Zillmerung ist es in der Vergangenheit zu erheblichen Nachzahlungen für Arbeitgeber gekommen, wenn bestimmte Pflichten und Rechtsgrundsätze nicht beachtet wurden. Seit neuestem sorgen zusätzlich die Vorgaben der Europäischen Union für schlaflose Nächte bei den Personalverantwortlichen.
Worauf Sie besonders achten müssen … die Mitbestimmung
Insbesondere bei arbeitnehmer- und mischfinanzierten Durchführungswegen hat der Betriebsrat nach § 87 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ein umfassendes Mitbestimmungsrecht (z. B. beim Leistungsplan, der Verwaltung und Rechtsform des Trägers, vertraglichen Nebenpflichten). Dieses Mitbestimmungsrecht ist – vorbehaltlich tariflicher Regelungen – über die Einigungsstelle erzwingbar und kann bei Nichtbeachtung erhebliche Probleme verursachen. Dies gilt im Übrigen analog auch für die Rechte des Personalrats in öffentlichen Unternehmen.
Darüber hinaus sind folgende weitere Einzelrechte des Betriebsrats zu beachten:
Informationsrechte: Der Betriebsrat ist schon während der Planung der Einrichtung einer betrieblichen Altersversorgung umfassend zu informieren.
Initiativrechte: Der Betriebsrat kann eigene Vorschläge innerhalb des vorgegebenen Dotierungsrahmens machen.
Prüfrecht/-pflichten: Nach § 75 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, dass die betriebliche Altersversorgung den Grundsätzen von Recht und Billigkeit entspricht. Das heißt beispielsweise, die Ungleichbehandlung von Beschäftigtengruppen aus subjektiven Gründen zu vermeiden.
Bei rein arbeitgeberfinanzierten Versorgungen kann der Arbeitgeber ohne Betriebsrat autonom entscheiden,
- Ob die betriebliche Altersversorgung eingeführt, gekürzt bzw. abgeschafft wird (sofern Grundsätze der betrieblichen Übung beachtet wurden);
- Über den Dotierungsrahmen, das heißt, welche Leistungen der Arbeitgeber welchen Mitarbeitern gewähren möchte;
- Über den Durchführungsweg (z. B. Direktversicherung/Pensionskasse), der gewählt wird;
- Über den begünstigten Personenkreis, wobei hier nur objektive Kriterien (z. B. Unterschied in der Versorgung von Führungskräften und Mitarbeitern) zulässig sind.
Trotzdem ist auch bei diesen freiwilligen Arbeitgeberleistungen eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebs- oder Personalrat ratsam.
Hinweis: Eine Nichtbeachtung der gesetzlichen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats kann zur Unwirksamkeit der gesamten betrieblichen Altersversorgung führen!
Corona: Alles muss weg?
Der Bundestag hat am 23. April dieses Jahres eine am 15. Mai in Kraft getretene befristete Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes beschlossen, die rückwirkend ab 1. März bis 31. Dezember 2020 Sitzungen und Beschlussfassungen des Betriebsrats in einer Video- oder Telefonkonferenz sowie virtuelle Betriebsversammlungen rechtssicher ermöglicht, wenn keine Präsenzsitzungen stattfinden können.
Die Covid-19-Pandemie wird leider bis zum Jahresende nicht vorbei sein. Daher wurde nun am 20. November vom Bundestag beschlossen, § 129 BetrVG bis zum 30. Juni 2021 zu verlängern. Bis Mitte nächsten Jahres bleiben virtuelle Sitzungen, Beschlussfassungen sowie Betriebsversammlungen rechtlich zulässig. – Also heißt es: Mitbestimmung bleibt. Nur eben anders.
Aktuelle Handlungsnotwendigkeit
Seit 2018 steht ein bAV-Förderbetrag für Arbeitnehmer mit geringem Entgelt (2.200 Euro maximales Monatsbrutto) bereit. Im Juli 2020 ist dieser Betrag für das Kalenderjahr 2020 und alle folgenden Jahre auf 2.575 Euro erhöht worden, so dass die Zahl der Berechtigten enorm ansteigt. Zahlt der Arbeitgeber zusätzlich zum geschuldeten Entgelt und zusätzlich zu bisherigen Arbeitgeberbeiträgen im Kalenderjahr mindestens 240 bis zu 960 Euro an einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder für eine Direktversicherung, so erhält er hiervon 30 Prozent (höchstens 288 Euro) durch direkte Verrechnung mit der Lohnsteuer erstattet.
Beiträge aus einer Entgeltumwandlung (Arbeitnehmerfinanzierung) sind nicht begünstigt. Dafür werden ca. 200 Euro anrechnungsfrei bei der Grundsicherung im Alter, um auch „Renten-Aufstocker“ zur Eigenvorsorge zu motivieren.
Hinweis: Auch hier ist der Betriebsrat – je nach Ausgestaltung – zu beteiligen und dringend eine Betriebsvereinbarung zur Ausgestaltung der Regelung abzuschließen!
Weitere Haftungsfallen mit Mitbestimmung
Bei folgenden Problemen der betrieblichen Altersversorgung hat der Betriebsrat zumindest teilweise ein Mitbestimmungs- und Informationsrecht:
- Portabilität: Das Betriebsrentengesetz sieht in der Regel eine Fortführung des Vertrags mit eigenen Beiträgen, eine Fortführung durch den neuen Arbeitgeber oder eine Übertragung des Wertguthabens auf andere Durchführungswege vor.
Hierbei können erhebliche Nachteile entstehen (z. B. neue Gesundheitsprüfung bei der Direktversicherung, anderer Garantiezins, Beitragsfreistellung des Altvertrags mit Reduzierung der Leistungen), über die es einer individuellen Aufklärung mit Vor- und Nachteilen bedarf.
- Entgeltlose Zeiten: Je nach Durchführungsweg, Anbieter und Vertragsgestaltung kann es eine unterschiedliche Behandlung von entgeltlosen Zeiten wie Erziehungsurlaub, Wehrund Ersatzdienst oder unbezahltem Urlaub geben (z. B. Reduktion von Leistungen, veränderte Warte- und Unverfallbarkeitszeiten, Eigenbeitragsaufwand), über die es umfassend zu informieren gilt.
- Beratungsqualität: Hierbei spielt zu einem die Beratungsqualität durch den Arbeitgeber selbst und seine Beauftragten (z. B. Personalabteilung, HR-PS-Verantwortliche), aber auch die Einbeziehung von Dritten (Anbieter und Verkäufer von Durchführungswegen der bAV) eine entscheidende Rolle.
Seit 2007 ist ein neues Versicherungsvermittlerrecht in Kraft getreten, das neue Beraterpflichten (z. B. ein ausführliches Beratungsprotokoll, Identifizierungs- und Aufklärungserfordernisse) auslöst und das durch das neue Versicherungsvertragsgesetz (ab 1. 1. 2008) noch stärker in Richtung Verbraucherschutz verändert wird. Grundsätzlich – so urteilen alle Gerichte – ist immer der Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflichten für die betriebliche Altersversorgung verantwortlich – mitunter auch für die Aussagen Dritter.
- Anpassungsprüfung: Das Betriebsrentengesetz schreibt eine Anpassungsprüfung der bAV-Leistungen und von deren Ausnahmetatbeständen (z. B. wirtschaftliche Schwierigkeiten, Gewinnrente) vor, die es zu beachten gilt. Momentan schreiben viele Unternehmen trotz Krise deutlich schwarze Zahlen, so dass die Betriebsrentner auf den Plan treten. Auch die Niedrigzinsphase wird für Direktversicherungen/Pensionskassen von Seiten der Anbieter bald nicht mehr den gesetzlich verankerten Inflationsausgleich von einem Prozent möglich machen und die Arbeitgeber in die Bredouille bringen. Einige Anbieter sind schon jetzt in Schieflage geraten.
Ausblick
Wie immer schützt Unwissenheit nicht vor rechtlichen Konsequenzen. Und nun, da Sie durch den Beitrag mehr erfahren haben, gehören Sie zu den „Wissenden“. Schützen Sie Ihre Firma und sich – und zugleich auch Ihr Privatvermögen als Personalmanager – vor Haftungsfällen und sehen Sie die Mitbestimmung als Pflichtübung an.
Andreas Nareuisch, Betriebs- und Finanzfachwirt und Bundessachverständiger