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Betriebsratswahl – Anfechtung – Stimmzettel

Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 16.09.2020 – 7 ABR 30/19

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 Wahlordnung (WO) sind auf den Stimmzetteln die Vorschlagslisten nach der Reihenfolge der Ordnungsnummern sowie unter Angabe der beiden an erster Stelle benannten Bewerberinnen oder Bewerber mit Familienname, Vorname und Art der Beschäftigung im Betrieb untereinander aufzuführen. Hierbei handelt es sich um eine wesentliche Wahlvorschrift, die nicht eine Mindestzahl der auf den Stimmzetteln anzugebenden Bewerberinnen und Bewerber je Liste vorgibt, sondern zwingend festlegt, dass zwei, nämlich die beiden an erster Stelle benannten Bewerberinnen und Bewerber jeder Liste auf den Stimmzetteln anzugeben sind.

Bereits der Wortlaut spricht für den zwingenden Charakter der Vorschrift. Auf den Stimmzetteln anzugeben „sind“ die beiden an erster Stelle benannten Bewerberinnen oder Bewerber jeder Liste. Damit wird deutlich, dass sich die Angabe auf die beiden an erster Stelle benannten Bewerberinnen oder Bewerber jeder Liste zu beschränken hat. Hätte der Verordnungsgeber die Absicht gehabt, eine Mindestzahl festzulegen und dem Wahlvorstand im Übrigen einen Gestaltungsspielraum einzuräumen, hätte er dies durch einen Zusatz wie etwa „mindestens“ klarstellen müssen. In diesem Fall hätte es außerdem einer Regelung dazu bedurft, ob auf den Stimmzetteln bei Überschreitung der Mindestzahl alle Bewerberinnen und Bewerber der Liste aufzuführen sind oder ob der Wahlvorstand die Angabe auf einen Teil der Bewerberinnen und Bewerber begrenzen darf und wie gegebenenfalls eine Auswahl zu treffen ist.

Auch der Gesamtzusammenhang der Regelung spricht gegen die Annahme, § 11 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 WO räume dem Wahlvorstand einen Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Zahl der auf den Stimmzetteln aufzuführenden Bewerberinnen und Bewerber ein. § 11 Abs. 2 Satz 1 WO legt nicht nur fest, welche Angaben der Stimmzettel enthalten muss, sondern bestimmt auch die Anordnung der Angaben auf den Stimmzetteln („nach der Reihenfolge der Ordnungsnummern“, „untereinander aufzuführen“). Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 WO müssen die Stimmzettel und die Wahlumschläge für die Betriebsratswahl sämtlich die gleiche Größe, Farbe, Beschaffenheit und Beschriftung haben. Daraus wird deutlich, dass der Verordnungsgeber den Inhalt und die Gestaltung der Stimmzettel zwingend festgelegt hat.

Zu den auch für die Betriebsratswahl geltenden Wahlgrundsätzen gehört es, dass die Wählenden in freier Willensentschließung ihre Wahlentscheidung treffen können. Das Wahlverfahren muss den Grundsatz der Neutralität wahren. Dies erfordert, dass nicht schon durch die Ausgestaltung des Wahlverfahrens in einem bestimmten Sinn auf die Wahlberechtigten eingewirkt wird oder eingewirkt werden kann, etwa mithilfe der den Wählerinnen und Wählern von dem Wahlvorstand zur Verfügung gestellten Stimmzettel. Deshalb legt § 11 Abs. 2 WO den Inhalt und die Gestaltung der Stimmzettel verbindlich fest. Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) berechtigt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn er das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre.

Urlaubsgewährung bei fristloser Kündigung

BAG, Urteil vom 25.08.2020 – 9 AZR 612/19

Nach § 7 Abs. 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) hat der Arbeitgeber bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen. Allerdings ist ein dem Arbeitgeber mitgeteilter Urlaubswunsch nicht Voraussetzung für dessen Recht, die zeitliche Lage des Urlaubs festzulegen. Die ohne einen solchen Wunsch des Arbeitnehmers erfolgte zeitliche Festlegung des Urlaubs durch den Arbeitgeber ist rechtswirksam, wenn der Arbeitnehmer auf die Erklärung des Arbeitgebers hin keinen anderweitigen Urlaubswunsch äußert.

Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer Urlaub auch vorsorglich für den Fall gewähren, dass eine von ihm erklärte ordentliche oder außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Eine wirksame Urlaubsgewährung setzt in diesem Fall jedoch voraus, dass der Arbeitgeber trotz der Ungewissheit der Parteien über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses durch eine entsprechende Freistellungserklärung eindeutig zum Ausdruck bringt, der Arbeitnehmer werde zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub endgültig von der Arbeitspflicht befreit, und das Urlaubsentgelt entweder vor Antritt des Urlaubs zahlt oder dessen Zahlung vorbehaltlos zusagt.

Die Freistellungserklärung des Arbeitgebers kann nach § 362 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) das Erlöschen des Urlaubsanspruchs nur bewirken, soweit für den Freistellungszeitraum eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers besteht. Für das Vorliegen der für die Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub erforderlichen Arbeitspflicht ist allein die objektive Rechtslage maßgeblich.

Erteilt der Arbeitgeber vorsorglich für den Fall, dass die fristlose Kündigung unwirksam sein sollte, für die Dauer der Kündigungsfrist der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung Urlaub und erhebt der Arbeitnehmer Klage nach §§ 4, 13 Abs. 1 Satz 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG), so steht in dem Zeitraum, in dem der Urlaub erfüllt werden soll, zwar regelmäßig nicht fest, ob die außerordentliche Kündigung wirksam ist und der Arbeitnehmer noch von einer bestehenden Arbeitspflicht freigestellt werden kann. Der Urlaubszweck gebietet aber nicht, dass bereits bei Urlaubsantritt abschließende Gewissheit über die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers bestehen muss.

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Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union soll der in der Richtlinie 2003/88/EG verankerte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub es dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen. Dem entspricht § 1 BUrlG. Ebenso wie Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG ist der Urlaubsanspruch nicht allein auf die Freistellung von der Arbeitsleistung gerichtet, sondern auch darauf, dass die Freistellung von der Arbeit bezahlt sein muss.

Es kommt darauf an, dass der Arbeitnehmer durch die Urlaubserteilung die Gewissheit hat, während eines bestimmten Zeitraums nicht zur Arbeit herangezogen zu werden, und ihm dadurch Freizeit zur Erholung und Entspannung zur Verfügung steht.

Grundsätzlich soll der Arbeitnehmer nach § 1 BUrlG zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt werden, um ihm die uneingeschränkte Möglichkeit selbstbestimmter Nutzung seiner Freizeit zu geben. Diese Möglichkeit wird eingeschränkt, wenn der Arbeitnehmer, die ihm durch die Gewährung von Urlaub eingeräumte arbeitsfreie Zeit infolge der arbeitgeberseitigen Kündigung teilweise darauf verwenden muss, seine versicherungsrechtlichen Handlungsobliegenheiten zu erfüllen, um die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld zu erfüllen.

Diese versicherungsrechtlichen Handlungsobliegenheiten sind jedoch dem persönlichen Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen. Sie stehen der Erfüllung des Urlaubsanspruchs nicht entgegen. Den Arbeitgeber trifft zwar die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub selbst hat aber ausschließlich die Freistellung von der Arbeitspflicht und die Zahlung des Urlaubsentgelts zum Gegenstand. Hierauf ist die Erfüllungshandlung des Arbeitgebers bezogen. Einen darüber hinausgehenden „Urlaubserfolg“ schuldet er dem Arbeitnehmer nicht.

Außerordentliche Kündigung – Betriebsratsmitglied – Kündigungserklärungsfrist

BAG, Urteil vom 01.10.2020 – 2 AZR 238/20

Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine fristlose Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt gemäß § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Auch grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch gegen die Kündigung sprechenden Umstände.

Bedarf es gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats zu einer außerordentlichen Kündigung und hat der Arbeitgeber innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB beim Betriebsrat die erforderliche Zustimmung beantragt bzw. das Verfahren auf Ersetzung der Zustimmung nach § 103 Abs. 2 BetrVG beim Arbeitsgericht eingeleitet, ist die Kündigung nicht wegen einer Überschreitung der Frist unwirksam, wenn das Zustimmungsersetzungsverfahren bei ihrem Ablauf noch nicht abgeschlossen ist.

Die Kündigung kann vielmehr auch noch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglich nach der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Ersetzung der Zustimmung erklärt wird. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 174 Abs. 5 SGB IX. Die Interessenlage ist mit dem Fall des Erfordernisses einer Zustimmung des Integrationsamts gemäß § 174 Abs. 1 in Verbindung mit § 168 SGB IX vor einer außerordentlichen Kündigung vergleichbar, da auch die gerichtliche Ersetzung einer vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht zu erlangen ist. Mangels einer § 174 Abs. 5 SGB IX entsprechenden Regelung besteht eine Regelungslücke, die durch die analoge Anwendung von § 174 Abs. 5 SGB IX zu schließen ist. Endet der Sonderkündigungsschutz des Amtsträgers während des laufenden Zustimmungsersetzungsverfahrens, muss der Arbeitgeber die Kündigung unverzüglich aussprechen, nachdem er Kenntnis von der Beendigung des Sonderkündigungsschutzes erlangt hat.

Solange der Arbeitgeber sein Ersuchen um Zustimmung gegenüber dem Betriebsrat aufrechterhält und das gerichtliche Ersetzungsverfahren andauert, kommt ein „Verbrauch“ der zu den fraglichen Kündigungsgründen erfolgten Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG durch den (vorsorglichen) Ausspruch einer auf diese Gründe gestützten Kündigung für die beantragte Zustimmungsersetzung nicht in Betracht. Die erforderliche Anhörung zu der weiterhin auf denselben Lebenssachverhalt gestützten Kündigungsabsicht liegt vielmehr im Aufrechterhalten des Zustimmungsersuchens gegenüber dem Betriebsrat. Dieser kann daraus unschwer ersehen, dass der Arbeitgeber die beabsichtigte Kündigung und seinen Antrag auf Zustimmungsersetzung weiterhin auf die schon mitgeteilten Gründe stützen will. Einer förmlichen neuen Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG bedarf es dafür nicht.

Dr. iur. Hans-Otto Blaeser, Köln

Eine Person, die an einem Schreibtisch mit juristischen Dokumenten und Personalakten arbeitet, symbolisiert durch ein markantes rotes Absatzzeichen, das darauf hindeutet, dass der Schwerpunkt auf Recht, Rechtsangelegenheiten und persönlichem Management liegt.

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