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Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst

Lesezeit 5 Min.

Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD); Bereichsausnahme in § 1 Abs. 3 Nr. 2b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG); Vereinbarkeit mit der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit

Orientierungssätze des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 16.06.2021 – 6 AZR 390/20 (A)

  1. Die Unterordnung der Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD unter die Schutznormen des die Leiharbeitsrichtlinie umsetzenden Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes könnte den Interessen der entsprechend gestellten Arbeitnehmer zuwiderlaufen (Rn. 31, 43 f.).
  2. Der Senat fragt daher den Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Wege des Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), ob die Personalgestellung gemäß § 4 Abs. 3 TVöD bzw. inhaltsgleicher Regelungen in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes des Bundes und der Länder Arbeitnehmerüberlassung i. S. d. Richtlinie 2008/104/EG ist und damit grundsätzlich in ihren Anwendungsbereich fällt (Rn. 22 ff.).
  3. Sollte das der Fall sein, ist weiter klärungsbedürftig, ob die in § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG geregelte Bereichsausnahme wegen des mit ihr verfolgten Schutzzwecks der Arbeitsplatz- und Beschäftigungssicherung mit den Zielen der Leiharbeitsrichtlinie übereinstimmt und deshalb zulässig ist (Rn. 35 ff.).

Ärztlicher Hintergrunddienst als vergütungsrechtliche Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst; Rechtsfolgen einer tarifwidrigen Anordnung für die Vergütung

Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 25.03.2021 – 6 AZR 264/20

  1. Der Begriff der Rufbereitschaft wird in § 7 Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) vergütungsrechtlich abschließend definiert. Er setzt nur voraus, dass der Arbeitnehmer nach der Anordnung des Arbeitgebers seinen Aufenthaltsort im Rahmen, der durch den Zweck der Rufbereitschaft vorgegebenen Grenzen frei wählen kann (Rn. 12 f.).
  2. Beim Bereitschaftsdienst legt demgegenüber der Arbeitgeber den Aufenthaltsort des Arbeitnehmers fest. Er ist seinem Wesen nach einer Aufenthaltsbeschränkung, wobei der Arbeitnehmer verpflichtet ist, bei Bedarf sofort tätig zu werden (Rn. 13).
  3. Auch bei der Rufbereitschaft muss der Arbeitnehmer in der Lage sein, die Arbeit innerhalb einer angemessenen Zeitspanne auf Abruf aufnehmen zu können. Die aus diesem Zweck der Rufbereitschaft folgenden mittelbaren Einschränkungen des Aufenthaltsortes des Arbeitnehmers sind ein Wesensmerkmal dieses Dienstes und stehen dem Vorliegen von Rufbereitschaft nicht entgegen (Rn. 14).
  4. Für die Abgrenzung von Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst ist allein der Umfang der aufenthaltsbeschränkenden Anordnungen des Arbeitgebers entscheidend. Diese Anordnungen können auch konkludent erfolgen, indem der Arbeitgeber die Vorgaben zum Aufenthaltsort durch genaue Vorgaben zum Faktor Zeit für die Arbeitsaufnahme ersetzt und dabei die Zeitspanne bis zur Arbeitsaufnahme so kurz bemisst, dass sie – was jeweils im Einzelfall zu entscheiden ist – einer Aufenthaltsbeschränkung gleichkommt. Dann liegt Bereitschaftsdienst vor (Rn. 15).
  5. Begibt sich der Arbeitnehmer nach Abruf nicht zum Arbeitsort, sondern erbringt er seine Arbeitsleistung telefonisch sofort bei Abruf an seinem Aufenthaltsort, steht dies dem Vorliegen von Rufbereitschaft nicht entgegen (Rn. 16).
  6. Rufbereitschaft darf der Arbeitgeber nach § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL nur anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich im Ausnahmefall Arbeit anfällt. Das ist der Fall, wenn Zeiten ohne Arbeitsanfall die Regel sind. Dabei sind im Rahmen einer wertenden Gesamtschau neben dem Arbeitsleistungsanteil auch der Anteil der Rufbereitschaften mit Inanspruchnahme im Verhältnis zur Gesamtzahl der Rufbereitschaften sowie die Häufigkeit und die Dauer der einzelnen Inanspruchnahmen während der jeweiligen Rufbereitschaften zu berücksichtigen (Rn. 23).
  7. Beruft sich der Arbeitgeber auf seine Befugnis, Rufbereitschaft anzuordnen, kann er zur Darlegung der Voraussetzungen des § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL durch Arbeitsaufzeichnungen gewonnene Erfahrungswerte vortragen. Stehen ihm solche nicht zur Verfügung, hat er eine Prognose abzugeben. Sowohl Erfahrungswerte als auch Prognose müssen sich auf einen repräsentativen Zeitraum beziehen (Rn. 24).
  8. Die Befugnis, nach § 7 Abs. 4 Satz 2, § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL Bereitschaftsdienst bzw. Rufbereitschaft anzuordnen, ist kein Tatbestandsmerkmal dieser Sonderformen der Arbeit. Ein bestimmter Arbeitsleistungsanteil ist ihnen nicht begriffsimmanent. Ordnet der Arbeitgeber tarifwidrig Rufbereitschaft an, wandelt sich diese daher nicht automatisch in Bereitschaftsdienst um (Rn. 28 ff.).
  9. Die Tarifvertragsparteien haben bewusst keine Vergütungsregelung für den Fall tarifwidrig angeordneter Rufbereitschaft geschaffen. Diese bewusste Tariflücke kann von den Arbeitsgerichten nicht geschlossen werden (Rn. 30).

Jubiläumsgeld nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst – allgemeiner Teil (TVöD-AT); Beschäftigungszeit;  Berücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten in Überleitungsfällen

Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 24.02.2021 – 10 AZR 108/19:

  1. Die für einen Anspruch auf Jubiläumsgeld nach § 23 Abs. 2 Satz 1 TVöD-AT vorausgesetzte Beschäftigungszeit ist grundsätzlich nach § 34 Abs. 3 TVöD-AT zu bemessen. Für übergeleitete Beschäftigte gilt mit § 14 TVÜ-VKA eine abschließende Sonderregelung. Sie geht den Regelungen in § 34 Abs. 3 Satz 2 und 4 TVöD-AT vor, die nur für Neueinstellungen gelten (Rn. 16 f.).
  2. Mit § 14 Abs. 1 TVÜ-VKA wird der Besitzstand zurückgelegter Zeiten gewahrt, der bis zum 30.09.2005 unter Geltung der ersetzten Tarifverträge erworben wurde. Für das Jubiläumsgeld nach § 23 Abs. 2 TVöD-AT ist § 14 Abs. 2 TVÜ-VKA die speziellere Regelung. Andere als die dort genannten Zeiten sind nicht anzurechnen (Rn. 18).
  3. Nach § 14 Abs. 2 TVÜ-VKA sind Zeiten, die unter Geltung des ersetzten Tarifrechts zurückgelegt wurden, bei der Bemessung der sog. Jubiläumszeit i. S. v. § 23 Abs. 2 TVöD-AT zu berücksichtigen. Einzubeziehen sind nur die Zeiten, die nach dem Tarifrecht anerkannt waren, das im Zeitpunkt der Überleitung galt (Rn. 19 ff.).
  4. Die Tarifvertragsparteien sind mittelbar an die Grundrechte gebunden. Freiheits- und Gleichheitsrechten kommt in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten mittelbare Drittwirkung i. S. e. Ausstrahlungswirkung zu. Die Gerichte als staatliche Gewalt i. S. v. Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz (GG) müssen bei ihren Entscheidungen einerseits dieser Ausstrahlungswirkung genügen. Andererseits haben sie zu beachten, dass die Tarifvertragsparteien mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ebenfalls Grundrechtsschutz genießen. Diese besondere Form der Grundrechtskollision müssen die staatlichen Gerichte dadurch bewältigen, dass sie die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit mit den betroffenen Individualgrundrechten in einen angemessenen Ausgleich bringen (Rn. 26 ff.).
  5. § 14 Abs. 2 TVÜ-VKA behandelt Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse aus dem BAT (Bundes-Angestelltentarifvertrag) übergeleitet wurden, bei der Bemessung der sog. Jubiläumszeit ungleich gegenüber Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse aus dem BAT-Ost übergingen. Zeiten der Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes sind nach §§ 20, 39 BAT zu berücksichtigen, während sie nach §§ 19, 39 BAT-O grundsätzlich ohne Bedeutung sind (Rn. 30).
  6. Die Ungleichbehandlung durch § 14 Abs. 2 TVÜ-VKA ist aus Sicht des Senats gerechtfertigt. Mit der Wahrung des erworbenen Besitzstands verfolgen die Tarifvertragsparteien ein legitimes Ziel. Die Tarifnorm ist geeignet, dieses Ziel zu erreichen, sie ist erforderlich und angemessen. Die Erforderlichkeit kann nicht verneint werden, weil auch eine Regelung möglich gewesen wäre, die alle Zeiten einer früheren Beschäftigung im öffentlichen Dienst anrechnet (Rn. 31 ff.).

Claudia Czingon

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