Bed Office : Das Ende der Müdigkeitsgesellschaft
Was heißt es eigentlich für das mobile Arbeiten, wenn sogar der Schlaftourismus auf dem Vormarsch zu sein scheint, wie eine Reportage von CNN kürzlich zeigte? Ist das wieder nur eine Modeerscheinung oder ein Alarmsignal unserer übermüdeten Gesellschaft? Es scheint gar nicht so lange her zu sein, als die digitalen Nomaden die (internationale) Arbeitswelt erobert haben. Aber kann jeder wirklich überall arbeiten, wenn er es möchte?

Wollen wir nun wirklich am besten auch noch ab ins Bed Office, weil es doch so schön klingt – nämlich nach „allem“, nur nicht Arbeiten? Mobiles Arbeiten macht vieles möglich, aber muss es deswegen grenzenlos sein? Betrügen wir uns da vielleicht nicht auch selbst und wissen wir wirklich, ab wo und wann wir uns schaden?
Symptom der Müdigkeitsgesellschaft?
In dem aus seinem streitbaren Essay von 2010 entstandenen Werk „Die Müdigkeitsgesellschaft“ warnt der Philosoph Byung-Chul Han bereits vor dem seiner Ansicht nach ungesunden Maß an Positivität unserer sonst (einst überwiegend) negativ eingestellten Gesellschaft. Er leitet daraus pathologische Folgen ab – bis hin zu neuronalen Krankheiten – und sieht durch die Gefahr der absoluten Entgrenzungen nicht nur einen Auslöser von Infektionen, sondern sogar eine Ursache für Infarkte, weil der Mensch keine Techniken der Prophylaxe und Abwehr mehr entwickelt für entsprechende negative Gefühlszustände und Ereignisse. Wir sollten wirklich mehr (hinter-)fragen: Ist alles toll, weil scheinbar alles geht, oder schadet das uns und unserer Gesellschaft vielleicht sogar?
Stille und Erholung?
Dass man zum Arbeiten wirklich stille Phasen braucht, ist nicht von der Hand zu weisen. Und doch liegt die potenzielle Ablenkung – nämlich das Handy – meist nur eine halbe Armlänge entfernt von uns, während uns die Smartwatch daran erinnert, dass wir heute vielleicht zu viel gesessen oder gelegen haben. Wenn wir an dem Ort arbeiten, an dem wir uns sonst ausruhen, wie und wo wollen wir uns dann noch erholen? Dann wird das Abschalten (zu Hause) nur noch in dem Moment möglich sein, wenn wir abends die Augen schließen –reicht das?
Produktivität und Struktur?
Wer sich gehen lässt und denkt, bevor ich gar nichts tue, arbeite ich lieber ein bisschen vom Bett aus, der muss sich zwei Fragen stellen lassen: Nagt an mir das (latente) schlechte Gewissen, sodass ich sogar im Bett arbeiten muss, obwohl ich mich nicht ganz fit fühle? Und dann ist es auch fraglich, ob man so überhaupt produktiv und effizient arbeiten kann und sich nicht noch ungünstige Rücken- oder Nackenprobleme einfängt durch eine schlechte Arbeitshaltung.

Effektivität und Erfolg?
Wenn man sich schon dazu hinreißen lässt, ganz gemütlich im Bett zu arbeiten – vielleicht auch, weil es da gerade noch so schön warm ist –, sollte man sich am besten eindeutige (Zeit-) Limits und Ziele (oder zumindest Etappen) setzen. Am Ende sollte man sagen können, was man geschafft haben möchte, wenn man das kuschelige Bett-Office verlassen hat. Im schlechtesten Fall hat man nur so ein bisschen von dem angefangen, was mit einer vernünftigen Struktur und Umgebung längst erfolgreich beendet wäre, also wenn man sich ordentlich hingesetzt hätte. Unter Umständen verliert man während der Arbeit wertvolle Zeit, die man zur echten Erholung und Regeneration gebraucht hätte.
Selbstkontrolle vs. Faulheit?
Erfolgreichen Menschen wird ein Maximum an Selbstkontrolle nachgesagt. Laut Bestsellerautor Travis Bradberry kommt es vor allem darauf an, was sie NICHT tun. Und dazu gehört, Handy, Tablet oder Laptop im Bett zu benutzen. Wir wissen, dass viele mobile Endgeräte und auch einige Brillen mittlerweile Blaulichtfilter besitzen, wir unsere Apps in den Nachtmodus umstellen können. Wie (und wann) wollen wir abschalten, wenn wir unsere E-Mails checken und noch schnell Nachrichten im Messenger-Dienst lesen? Das Blaulicht hat übrigens eine ähnliche Wirkung wie die Morgensonne, die bekanntlich munter macht. Man sollte vielleicht kurz abwägen, ob es sich vielleicht eher lohnt, diesen Schwung zu nutzen und in den Tag mitzunehmen, anstatt träge liegenzubleiben. Viele, die sich gefühlt weder zum Aufstehen noch zum Liegenbleiben motivieren können, spüren nicht selten einen Zwiespalt: Höre ich jetzt auf mich oder suche ich mir eine Ausrede? Das kann sogar so weit gehen, dass man vor lauter Selbstzweifeln nicht nur an seiner Produktivität, sondern auch an seiner (Arbeits-)Identität zweifelt.
Können, aber nicht müssen?
Das positive Modalverb „können“ (Obamas: „Yes, we can“) hat laut Han aus der früheren „Disziplinargesellschaft“, die sich auf klare Verbote und Regulierungen berief und für die Gehorsam im Zentrum des Denkens und Handels stand, eine „Leistungsgesellschaft“ gemacht in einem Land, das sich auf „Wir schaffen das!“(Angela Merkel) beruft, weil wir schon so vieles geschafft haben. Das Leistungssubjekt leidet laut dem Philosophen Han nicht mehr an der Negativität von Verboten, sondern dessen Krankheit resultiert genau andersherum aus einem Übermaß an Positivität: Es kann, bis es nicht mehr können kann. Es sei „jenes animal laborans, das sich selbst ausbeutet, und zwar freiwillig ohne jede Fremdzwänge“1 . Wenn Grenzen sich bewusst oder unbewusst verschieben, müssen wir umso mehr darauf achten, dass wir uns unter gut gemeinten Vorsätzen nicht selbstwirksam ins Unglück stürzen. Wo alles möglich zu sein scheint, schwimmt man vielleicht in einem endlosen Meer und droht das Ufer nie zu erreichen – und letztlich „abzusaufen“.
1 Zitat: Philosoph Byung-Chul Han
Simply Shit oder volle Motivation?

Anders kann die Geschichte trotz – dem schon wieder aussehen, wenn man unter einem komplizierter Beinbruch leidet oder einem Bandscheibenvorfall, der die Bewegungsfreiheit einschränkt da hat man keine Möglichkeit, am Schreibtisch zu arbeiten oder vor Ort dabei sein. Wenn es mental wirklich unglaublich wichtig ist, sich online irgendwo dazuzuschalten, weil man eine bedeutende Erfahrung oder eine wichtige Entscheidung nicht verpassen will, während man sich offiziell im „Bed Office“ befindet, dann kann man sich getrost sagen: Shit happens – Motivation goes on!
Bedtime-Storys aus dem Silicon Valley?
Im Netz kursieren sie massig: Die Success-Storys der Freelancer, die (angeblich) ihr Start-up mit dem Laptop auf den Knien aus dem Schlafzimmer heraus gegründet und zu „Weltruhm“ gebracht haben.
Ob man sich das zutraut oder kann, muss jeder selbst wissen. Klar ist trotzdem: Man muss wahrlich nicht alles ausprobieren oder jedem Trend folgen. Wenn man sich dann doch spontan aus der Schlafkoje dazuschalten will, wird keiner sehen, ob man sich die Zähne geputzt hat – mit Haaren, Kleidung und Hintergrund wird es dann schon schwieriger. Wer (als Selbstständiger) erfolgreich viel von zu Hause gearbeitet hat – ohne Regeln und Grenzen, bleibt es dann doch eher eine Glückssache.
Die Frage ist am Ende, ob es sich wirklich gelohnt hat, die Sache erstmal ganz gemüt – lich anzugehen? Wichtig ist, sich über seine wahre Motivation im Klaren zu sein und seine Ziele nicht inmitten von Kissen, Decken und behaglicher Nestwärme zu verlieren. Wenn man es schafft, seine Arbeit gekonnt (auch wieder) aus dem Bett zu verbannen oder anderweitig räumlich „auszusperren“, dann wird man auch ganz sicher nicht in einen Urlaub fliehen müssen, in dem man endlich vor Erschöpfung umfallen darf.
Dr. Silvija Franjic, Onlineredakteurin und Recruiting-Spezialistin