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Brexit – Was passiert nun? : Endlich geschafft, werden viele sagen.

Nach der Neuwahl in Großbritannien und der Zustimmung des britischen Parlaments zum Austrittsgesetz hat als letzte Instanz auch das EU-Parlament zugestimmt.

Lesezeit 6 Min.
Eine digitale Illustration von ineinander verschlungenen Ketten mit dem Muster einer US-Flagge, die ein Glied zeigt, das auseinanderbricht und Teile davonfliegen, was möglicherweise ein Konzept der Befreiung oder des Zusammenbruchs der Einheit symbolisiert.

Der Austritt Großbritanniens aus der EU ist damit seit dem 1. Februar 2020 Fakt. Und doch ist (noch) nichts passiert. Das liegt an der Vereinbarung einer Übergangsfrist bis zum Ende des Jahres 2020. Bis dahin bleibt im Grunde alles beim Alten. Die EU-Verordnungen und andere Vereinbarungen und gesetzliche Regelungen gelten bis zum Ende der Übergangsfrist unverändert weiter.

Danach allerdings ist wieder einmal alles offen. Es gibt drei Möglichkeiten:

  • Bis Ende Juli besteht die Option, die Übergangsfrist um bis zu zwei Jahre zu verlängern – dann würde bis dahin ebenfalls keine Änderung eintreten. Das ist allerdings eher unwahrscheinlich, denn Boris Johnson hat das immer vehement abgelehnt und steht damit bei seinen Wählern im Wort.
  • Bis Ende 2020, also bis zum Ende der Übergangsfrist, wird ein neues umfassendes Abkommen zwischen Großbritannien und der EU abgeschlossen, das insbesondere die Handelsbeziehungen, aber auch den Umgang mit Arbeitskräften, den freien Zugang zum Arbeitsmarkt und die Freizügigkeit regelt, vergleichbar mit den Abkommen mit den EWR-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen oder der Schweiz. Diese Variante ist allerdings aus mehreren Gründen unwahrscheinlich. Zum einen halten Fachleute es für ausgeschlossen, in der Kürze der verbleibenden Zeit ein solches Abkommen zu realisieren, zum anderen würde ein solches Abkommen viel Geld kosten und die von der britischen Regierung gewollte und propagierte Ablösung von der EU ad absurdum führen.
  • Bleibt die dritte Möglichkeit, die eigentlich niemand wirklich will: der ungeregelte Brexit. Im Augenblick scheint das die wahrscheinlichste Variante zu sein.

Wir werden über die Auswirkungen berichten, wenn fest steht, ob und wie es 2021 mit dem Brexit weitergeht. Bis dahin gelten folgende Regelungen:

Bescheinigung A1

Zuletzt wurden die Entsendebescheinigungen von den Kassen nur befristet bis zum 31. Januar 2020 ausgestellt. Diese müssen jetzt verlängert werden – soweit die maximale Entsendezeit von 24 Monaten noch nicht abgelaufen ist. Die ab jetzt ausgestellten Bescheinigungen werden nicht mehr befristet (außer auf maximal 24 Monate). Auch wenn die Übergangsfrist ohne neues Abkommen und ohne Verlängerung Ende des Jahres auslaufen sollte, behalten die Bescheinigungen ihre Gültigkeit, sofern sich an den zugrunde liegenden Verhältnissen nichts ändert. Ansonsten gelten sie bis zu dem natürlichen Ablauf weiter. Üblicherweise sind dies 24 Monate, in besonderen Fällen, etwa bei der regelmäßigen Beschäftigung in mehreren Mitgliedstaaten, können es bis zu fünf Jahre sein.

Nach Großbritannien entsandte Drittstaatsangehörige erhalten nicht die A1-Bescheinigung, sondern – beim Vorliegen der Voraussetzungen – den Vordruck E101. Allerdings gilt dieser für maximal 12 Monate der Entsendung. Eine Verlängerung mittels Antrag (E102) ist möglich, wenn die britische Behörde zustimmt. Bei einem harten Brexit kann die Verlängerung nur bis zum Ablauf der Übergangsfrist beantragt werden.

Entsendung im Jahr 2020

Wird ein Arbeitnehmer in diesem Jahr nach Großbritannien entsandt, gelten weiterhin die bekannten Regelungen: elektronische Antragstellung, Rückmeldung der Krankenkasse (bzw. der Rentenversicherung) – nichts Neues also. Auch diese Bescheinigungen gelten – solange keine Änderung der Verhältnisse eintritt – bis zu ihrem Ablauf weiter, auch bei einem harten Brexit. Übrigens zur Erinnerung: Die Entsendevorschriften gelten auch für Dienstreisen. Im Sozialversicherungsrecht wird – anders als im Arbeitsrecht – nicht zwischen Dienstreise und längerfristiger Entsendung unterschieden.

Was passiert ab 2021?

Wichtiger Aspekt: Aller Voraussicht nach wird – selbst bei einer vertraglichen Regelung zwischen der EU und den Briten – die Arbeitnehmerfreizügigkeit keinen Bestand mehr haben, mit der Folge, dass Aufenthaltsgenehmigungen erforderlich werden. Das gilt sowohl für Deutsche, die in Großbritannien leben und arbeiten, als auch für Briten, die in Deutschland ansässig sind.

Auf jeden Fall müssen die entsprechenden Regelungen für solche Personen beachtet werden, die nach dem 31.12.2020 in das jeweils andere Land wechseln. Für diejenigen, die schon im Land sind, bestehen Übergangsregelungen.

Wer bereits eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis in Großbritannien hat, muss nichts tun – diese gilt weiterhin, da sie individuell nach britischem Recht erteilt wurde.

Ansonsten müssen bereits in Großbritannien ansässige EU-Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis für die Zeit nach dem Ende der Übergangsfrist beantragen. EU-Bürger können ohne Probleme einen gesicherten Aufenthaltsstatus beantragen, wenn sie in den letzten fünf Jahren mindestens sechs Monate eines legalen Aufenthalts in Großbritannien nachweisen können. Für diesen Antrag ist eine Frist bis zum 31.12.2020 vorgesehen.

Ein digital erstelltes Bild einer zerbrochenen Kette mit Gliedern, die mit den Sternen der Flagge der Europäischen Union gemustert sind und Uneinigkeit oder Fragmentierung innerhalb der EU symbolisieren.

Wer erst nach dem endgültigen Brexit nach Großbritannien reisen möchte, muss voraussichtlich ein Visum und ggf. eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung beantragen. Zwar hat Großbritannien der EU einen großzügigen Umgang mit solchen Anträgen zugesagt, nach neuen Informationen sucht die britische Regierung aber schon nach Schlupflöchern.

Bei einem harten Brexit bleibt die Aufenthaltsberechtigung für britische Staatsbürger in Deutschland für neun Monate bestehen. In dieser Zeit ändert sich für diesen Personenkreis hinsichtlich der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis nichts. In dieser Zeit müssen sie einen Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis stellen, um ihre Rechte darüber hinaus zu wahren. Bis zur Entscheidung über den Antrag bleiben alle Rechte bestehen. Eine Einbürgerung mit Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ist noch bis Ende 2020 zu vereinfachten Bedingungen (EU-Recht) und der Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft möglich.

Nach Ablauf der Übergangsfristen werden britische Staatsbürger als Drittstaatsangehörige behandelt. Sie benötigen dann für die Einreise ein Visum und müssen entsprechende Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen beantragen.

Und die Sozialversicherung?

Deutschland hat insbesondere im Bereich der Rentenversicherung großzügige Regelungen für die deutsche Sozialversicherung getroffen. Danach werden beispielsweise in Großbritannien erworbene Rentenversicherungszeiten in Deutschland anerkannt. Das gilt auch über das Ende der Übergangszeit oder eines Abkommens hinaus bis 2024. Renten aus Deutschland, die nach Großbritannien gezahlt werden, werden in unveränderter Höhe weitergezahlt. Eine Kürzung als Auslandsrente ist ausgeschlossen.

In der Krankenversicherung endet der Leistungsanspruch in Deutschland nach Ende der Übergangsfrist, da Großbritannien ohne eine weitere EU-Vereinbarung nicht mehr zur Zahlung verpflichtet wäre. Deshalb wird den betroffenen britischen Staatsbürgern ein einmaliges Beitrittsrecht zur freiwilligen Krankenversicherung eingeräumt. Ein entsprechender Antrag muss innerhalb von drei Monaten nach dem Ablauf der Übergangsfrist gestellt werden und wirkt dann zurück auf den Tag danach.

Für Personen, die sich in Großbritannien aufhalten, aber in Deutschland gesetzlich krankenversichert sind, endet der Anspruch auf die Versicherung mit dem Ende der Übergangsfrist. Besteht die Versicherung in Deutschland weiterhin, werden die in Großbritannien in Anspruch genommenen Leistungen im Wege der Kostenerstattung von der deutschen Krankenkasse erstattet. Maximal werden aber nur die Kosten erstattet, die bei entsprechender Behandlung in Deutschland entstanden wären.

Diese und weitere Übergangsregelungen im Sozialrecht sind im „Gesetz zu Übergangsregelungen in den Bereichen Arbeit, Bildung, Gesundheit, Soziales und Staatsangehörigkeit nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union“ vom 8. April 2019 geregelt (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2019 Teil I Nr. 12, ausgegeben zu Bonn am 11. April 2019, Seite 418).

Hinsichtlich der Entsendung von Arbeitnehmern bestehen Regelungen aus einem deutsch-britischen Sozialversicherungsabkommen aus dem Jahr 1960. Dies sieht bei einer Entsendung von bis zu 12 Monaten die Weitergeltung der Rechtsvorschriften des Entsendestaates vor. Allerdings werden von dem Abkommen die Pflege- und die Arbeitslosenversicherung nicht erfasst. Möglich, aber nicht wahrscheinlich ist der Abschluss eines neuen, erweiterten bilateralen Sozialversicherungsabkommens. Unwahrscheinlich aufgrund der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit und der Tatsache, dass insbesondere die britische Regierung mit den Verhandlungen mit der EU gut ausgelastet sein dürfte.

Fazit:

Bis Ende 2020 passiert also erst einmal gar nichts. Allerdings bleibt die Unsicherheit, wie es danach weitergehen wird. Den Zustand kennen wir aber ja in diesem Bereich schon seit längerem. Wir werden über die aktuellen Entwicklungen weiter berichten.

Jürgen Heidenreich

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