Coronavirus : Geschäftsreisen in Zeiten der Epidemie
Geschäftsreisen und Entsendungen ins Ausland sind keine Seltenheit mehr und nehmen sogar stetig zu. Im Kalenderjahr 2019 hat in diesem Zusammenhang insbesondere die A1-Bescheinigung für Aufregung gesorgt. Und nun kommt noch der Coronavirus ins Spiel.
Hintergrund war, dass die Anträge auf Ausstellung einer A1-Bescheinigung für entsandte Arbeitnehmer seit dem 1. Juli 2019 ausschließlich elektronisch zu übermitteln sind. Die Umsetzung dieser Vorgabe erforderte in vielen Fällen die Anpassung unternehmensinterner Prozesse. Auch im Jahr 2020 stellen Geschäftsreisen ins Ausland und Entsendungen Unternehmen vor verschiedene Herausforderungen. Deutlich wird dies vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in China und durch den Ausbruch bzw. die rasante Verbreitung des Coronavirus. Hierdurch rückt das grundsätzliche Thema, Fürsorgepflichten des Arbeitgebers bei Auslandseinsätzen, in den Fokus.
Zudem wird die Entsenderichtlinie, die für Geschäftsreisen ins europäische Ausland maßgeblich ist, bis zum 30. Juli 2020 in allen Mitgliedstaaten der EU reformiert. Hierdurch werden sich die Anforderungen an eine Geschäftsreise innerhalb der EU verschärfen. Arbeitgeber sollten die verbleibende Zeit nutzen, um sich auf die anstehenden Änderungen einzustellen oder auch die bisherige Praxis im Umgang mit grenzüberschreitenden Geschäftsreisen compliant zu gestalten.
Gefahr bei Geschäftsreisen ins Ausland
Die Tagespresse ist im Alarmzustand. Das Coronavirus beherrscht das Tagesgeschehen. Einige Jahre zuvor sorgte die Schweinegrippe für ähnliche Schlagzeilen. Es handelt sich also um eine immer wiederkehrende Thematik. Deutsche Unternehmen reagieren hierauf. Die Verbreitung des Coronavirus und die Zahl der Infizierten steigt so rasant an, dass mehrere deutsche Unternehmen mit Werken in der am schwersten betroffenen Region Wuhan entsandte Mitarbeiter nach Deutschland zurückholen bzw. einen Reisestopp für Geschäftsreisen dorthin verhängen. Arbeitsrechtlich stellt sich in diesen oder ähnlichen Krisensituationen die Frage, inwieweit Arbeitnehmer den Antritt einer Geschäftsreise verweigern dürfen bzw. inwieweit Arbeitgeber aufgrund der Fürsorgepflicht verpflichtet sind, aktiv zu werden.
Verweigerungsrecht des Arbeitnehmers
Ein Arbeitnehmer, der betrieblich veranlasst in ein Krisen- bzw. Gefahrengebiet reisen soll, darf die Geschäftsreise verweigern, wenn es sich insoweit um eine unbillige Weisung des Arbeitgebers handelt. Dies hängt von den konkreten Gefahren für Leib und Leben des jeweiligen Mitarbeiters ab.
Sollte eine solche Gefahr aufgrund der jeweiligen Umstände (Einsatzort, etwaige Vorerkrankungen etc.) bestehen, müssen Arbeitnehmer einer solchen Anweisung nicht Folge leisten. Typische arbeitsrechtliche Sanktionen (Vergütungseinbußen, Abmahnung, Kündigung) wären in diesem Fall nicht zu befürchten.
Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Arbeitgeber müssen jedoch auch prüfen, ob sie aufgrund der Fürsorgepflicht Maßnahmen ergreifen bzw. aktiv werden müssen. Zur Fürsorgepflicht gehört insbesondere der Schutz von Leib und Leben des Arbeitnehmers. Klare Grenzen, wann die Fürsorgepflicht eingreift, gibt es nicht. Vielmehr kommt es auch insoweit jeweils auf die Umstände des Einzelfalls an. Arbeitgeber müssen letztlich eine Abwägungsentscheidung treffen. Um die jeweilige Situation richtig beurteilen zu können, müssen Arbeitgeber bewerten können, wie hoch das Risiko für ihre Mitarbeiter ist. Relevant ist in erster Linie, wohin die Reise konkret gehen soll. So kann es einen Unterschied machen, ob die Reise nach Wuhan, Peking oder beispielsweise nach Hongkong gehen soll. Wuhan steht unter Quarantäne. Auch ist eine Ausreise derzeit nicht möglich, so dass Geschäftsreisende befürchten müssen, nicht mehr nach Deutschland zurückzukommen. Zudem ist die allgemeinmedizinische Versorgung durch das Virus stark eingeschränkt. Das Auswärtige Amt (Stand: 4. Februar 2020) schätzt das Risiko für deutsche Reisende in Wuhan derzeit als „hoch“ ein. Daher wird bei Geschäftsreisen nach Wuhan und in den Großraum für Arbeitgeber die Pflicht bestehen, einen Reisestopp zu verhängen. Auch rät das Auswärtige Amt von Reisen in andere Städte Chinas ab, so dass nach unserer Einschätzung Arbeitgeber auch hier aktuell keine Geschäftsreisen veranlassen sollten. Anders kann dies aber bei Reisen in die Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macao sein, bei denen ein Risiko niedriger eingeschätzt wird.
Praxistipp: Die Bewertung der jeweiligen Situation kann schwierig sein. Derzeit scheint das Ausmaß des Coronavirus kaum überschaubar und „in Bewegung“. Arbeitgeber müssen in solchen Fällen die aktuellen Entwicklungen in China und anderen Reiseländern täglich genau beobachten. Ob die jeweilige Reise angetreten werden kann bzw. welches Risiko hierfür besteht, kann erst kurz vor Reiseantritt entschieden werden.
Reform der Entsenderichtlinie
Die arbeitsrechtlichen Besonderheiten bei dem Einsatz von Arbeitnehmern innerhalb der EU gehen auf die Arbeitnehmerentsenderichtlinie 96/71/EG zurück. Diese wird derzeit durch eine Änderungsrichtlinie 2018/957/EU reformiert. Danach müssen die Mitgliedstaaten die verabschiedeten Änderungen bis zum 30. Juli 2020 in innerstaatliches Recht umgesetzt haben. In Deutschland erfolgt die Umsetzung durch Änderung des geltenden Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) an verschiedenen Stellen.
Ausgangslage
Das AEntG ist insbesondere für Dienstreisen/Entsendungen vom Ausland nach Deutschland relevant. Ziel des Gesetzes ist die Schaffung und Durchsetzung angemessener Mindestarbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer. Hierzu zählen bereits jetzt „Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze“. Für Deutschland bedeutet dies, dass ausländische Unternehmen, die auf dem deutschen Markt tätig werden wollen, ihren Arbeitnehmern für die Dauer der Tätigkeit in Deutschland den gesetzlichen Mindestlohn (derzeit: 9,35 Euro brutto) bezahlen müssen. In bestimmten Branchen (darunter z. B. Elektrohandwerk; derzeit: 11,90 Euro brutto) ist sogar der Tariflohn zu gewähren. Dies ist aber (bis jetzt) die Ausnahme.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort
Die Reform der Entsenderichtlinie steht unter dem Motto „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“. Ein zentrales Ziel der Reform ist es, dass bei einem grenzüberschreitenden Einsatz von Arbeitnehmern aus dem Ausland der gleiche und nicht nur der jeweilige Mindestlohn gewährt wird. Zur Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen sollen auch ausländische Unternehmen lokale Vergütungen bezahlen. Dies gilt künftig ebenso für zusätzliche Lohnbestandteile, wie z. B. Zulagen, Weihnachtsgeld oder Mehrarbeitsvergütung.
An diesem Beispiel wird die hohe Komplexität grenzüberschreitender Auslandseinsätze innerhalb der EU deutlich. Diese Regelungen gelten nämlich auch für deutsche Unternehmen, die ihre Arbeitnehmer auf Geschäftsreise innerhalb der EU entsenden. Um die ab dem 30. Juli 2020 geltenden Regelungen einzuhalten, müssen Arbeitgeber wissen, wie die lokalen Regelungen in dem jeweiligen Zielland sind. Viele Nachbarländer haben ein komplexes kollektivrechtliches System, sodass Arbeitgeber zunächst herausfinden müssen, welche tariflichen Regelungen in dem Zielland gelten und ob diese durch die arbeitsvertraglich vereinbarte Vergütung eingehalten werden.
Höchstdauer
Ein weiterer wesentlicher Punkt der Reform ist die Einführung einer zeitlichen Höchstdauer von Entsendungen. Bislang existiert keine arbeitsrechtliche Höchstdauer von Auslandseinsätzen. Sozialversicherungsrechtlich gibt es die 24-Monats-Grenze. Steuerrechtlich ist oft die 183-Tage-Grenze bekannt. Für das Arbeitsrecht bzw. die Vertragssituation hat es bis jetzt grundsätzlich keine Rolle gespielt, wie lange der Auslandseinsatz gedauert hat.
Dies ändert sich nun. Bei Entsendungen, die länger als 12 Monate (in Ausnahmefällen bis zu 18 Monate) andauern, ändert sich – mit wenigen Ausnahmen – das anzuwendende Arbeitsrecht. Dies könnte dazu führen, dass Langzeitentsandte nach Überschreiten der zeitlichen Grenze Ansprüche gegen ihren deutschen Arbeitgeber nach dem ausländischen Recht geltend machen, z. B. könnte Elternzeit oder Ähnliches nach dem ausländischen Recht beantragt werden.
Sollten Arbeitgeber die bislang weit verbreitete Praxis fortführen, bei einer Entsendung den deutschen Arbeitsvertrag lediglich um eine Entsendevereinbarung zu ergänzen, wären das deutsche und das ausländische Arbeitsrecht parallel anzuwenden. Welches Recht sich durchsetzt, hängt dann von einem Günstigkeitsvergleich ab. Denn unabhängig von der Rechtswahl gelten bei der Entsendung auch die zwingenden Schutzbestimmungen des Herkunftslandes weiter, wenn sie für den Entsandten günstiger sind als die nach Umsetzung der Entsenderichtlinie anwendbaren Regeln im Ausland. Entsprechend müssen die Unternehmen die Arbeitsrechtsordnungen beider Länder im Blick haben und diejenigen Vorschriften ermitteln, die für den entsandten Arbeitnehmer günstiger sind.
Praxistipp: Arbeitgeber sollten die Zeit bis zum 30. Juli 2020 nutzen und ihre aktuelle Entsendepraxis überprüfen. Gerade bei Auslandseinsätzen, die längerfristig sind, kann es von Vorteil sein, den deutschen Arbeitsvertrag aufzuheben oder ruhend zu stellen und einen lokalen, ausländischen Arbeitsvertrag abzuschließen. Dies hat den Vorteil, dass von Anfang an nur eine Rechtsordnung gilt. In der Praxis dürfte es sich insoweit jedoch als schwierig erweisen, die Arbeitnehmer hiervon zu überzeugen. Dies gelingt im Zweifel durch die jeweiligen Vertragskonditionen.
Fazit
Jeder Auslandseinsatz – unabhängig davon, ob es sich um eine Geschäftsreise oder um eine Entsendung handelt – muss in vielerlei Hinsicht präzise und frühzeitig vorbereitet werden. Die vorgenannten Ausführungen stellen lediglich die aktuellen arbeitsrechtlichen Besonderheiten dar. Darüber hinaus sind jedoch auch sozialversicherungsrechtliche, steuerliche und aufenthaltsrechtliche Aspekte zu beachten. Selbst innerhalb der EU gelten zwingend einzuhaltende Meldepflichten vor jeder grenzüberschreitenden Dienstreise. Bereits jetzt stehen Arbeitgeber vor der Herausforderung, dass jedes Land verschiedene Voraussetzungen für grenzüberschreitende Dienstreisen bzw. Entsendungen aufstellt. Die Risiken bei Nichteinhaltung werden häufig unterschätzt. Dies gilt auch, wie der aktuelle Fall des Coronavirus zeigt, für Auslandseinsätze zu weiter entfernten Zielen.
Dr. Michaela Felisiak, Dr. Martina Schlamp