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Arbeitszeiterfassung : Arbeitszeitkonten – Künftig ein Schreckgespenst für Arbeitgeber?

Die Corona-Pandemie hat die Umsetzungsarbeiten des deutschen Gesetzgebers zur Einführung einer gesetzlichen Regelung zur Arbeitszeiterfassung gestoppt. Ursprünglich war davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Vorgaben aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.05.2019 (C-55/18) noch 2020, jedenfalls 2021 umsetzt.

Ein Gesetzesentwurf liegt jedoch weder vor noch wird ein solcher in dieser Legislaturperiode erwartet. Auf Nachfrage teilte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit, dass die EuGH-Rechtsprechung eine kontroverse Diskussion auslöste und diesbezügliche politische Entscheidungen noch nicht getroffen worden sind.

Dennoch sollten Arbeitgeber nicht aus dem Blick verlieren, dass die Pflicht zur generellen Arbeitszeiterfassung kommen wird und die derzeit andauernde Übergangsphase genutzt werden sollte, um sich auf die Veränderungen einzustellen. Dies zeigen bereits jetzt die vereinzelten Urteile des Arbeitsgerichts Emden, das ohne gesetzliche Vorgabe von einer Aufzeichnungspflicht ausgeht.

Auch wenn diese Entscheidungen nicht überzeugen, lohnt es sich für Arbeitgeber bereits jetzt, die Rechtslage anzusehen. Welche unerwarteten Risiken bei Arbeitszeitkonten lauern können, erläutern Dr. Michaela Felisiak und Dr. Dominik Sorber.

1. Aktueller Meinungsstand

Der EuGH hat am 14.05.2019 (C-55/18) entschieden, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen müssen, dass ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung verpflichtend eingeführt wird.

Details für die Ausgestaltung des Zeiterfassungssystems gibt der EuGH nicht vor. Es ist jedoch zu erwarten, dass durch das System sicher festgestellt werden können muss, wie lange ein Arbeitnehmer tatsächlich arbeitet. Auch müssen hierdurch Arbeitszeiten kontinuierlich und nachvollziehbar dokumentiert werden.

Eine Erfassung in elektronischer Form ist – so der EuGH – zwar nicht zwingend notwendig. Vielmehr kann eine Aufzeichnung auch in Papierform oder über jedes andere geeignete Instrument (z. B. Stempeluhr, Arbeitszeitkarten) erfolgen. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Erfassung vielfach elektronisch – etwa durch ein Arbeitszeitkonto oder smarte Apps wie „atWork“ oder „FlexLog“ – erfolgen wird.

Bislang sind Arbeitgeber nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz (ArbZG) – mit wenigen Ausnahmen – nur verpflichtet, die Arbeitszeit zu erfassen, die über die werktägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden hinausgeht. Wird künftig die Arbeitszeit ab der ersten Minute erfasst, hat dies u. a. Auswirkungen auf Rechtsstreitigkeiten hinsichtlich einer Überstundenabgeltung.

Geleistete Überstunden sind grundsätzlich zu vergüten. Oftmals sind Überstundenabgeltungsklauseln unwirksam und halten einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand. Dennoch scheitern in der Praxis bislang viele Überstundenklagen an den hohen Hürden der Darlegungs- und Beweislast. Diese liegt bei Arbeitnehmern, die beispielsweise den Umfang der geleisteten Überstunden darlegen und beweisen müssen. Eine minutengenaue Arbeitszeiterfassung kann hier Arbeitnehmern helfen.

Dass die Darlegungs- und Beweislast auch schon vor der gesetzlichen Umsetzung des EuGH-Urteils für Arbeitgeber Fallstricke bieten kann, zeigen Entscheidungen des Arbeitsgerichts Emden.1 Dieses hat als erstes deutsches Arbeitsgericht angenommen, dass das EuGH-Urteil bereits heute Auswirkungen auf die Darlegungslast im Überstundenprozess hat. Die überwiegende Auffassung in arbeitsrechtlicher Literatur und Lehre hält die Urteile des Arbeitsgerichts Emden für fehlerhaft. Dennoch wird deutlich, wie wichtig dieses Thema ist.

2. Risiken und Nebenwirkungen von Arbeitszeitkonten

Unabhängig von einem neuen Gesetz zur Arbeitszeiterfassung kann sich bereits jetzt ein sehr praxisrelevantes und oft unerkanntes Problem stellen:

Führt ein Arbeitgeber für einen Arbeitnehmer ein Arbeitszeitkonto, in dem kontinuierlich Überstunden aufgezeichnet werden, und haben Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich den aktuellen Arbeitszeitkontostand auszudrucken, kann dies in einem etwaigen Überstundenprozess zulasten des Arbeitgebers gehen.

Sollte der Fall eintreten, dass ein Arbeitsverhältnis endet, ohne dass der Arbeitnehmer die Gelegenheit hatte, seine Überstunden abzubauen, besteht grundsätzlich die Verpflichtung des Arbeitgebers, die angesammelten Überstunden auszubezahlen.

In diesem Fall stellt sich die Frage, für welchen Zeitraum die Überstundenabgeltung erfolgt und inwieweit eine Ausschlussklausel greift.

Arbeitgeber sind grundsätzlich gut beraten, wenn sie sich auf eine arbeitsvertragliche Ausschlussklausel berufen können. Regelmäßig handelt es sich um eine zweistufige Klausel. Danach müssten Arbeitnehmer die Ansprüche drei Monate nach Fälligkeit geltend machen und nach weiteren drei Monaten gerichtlich einklagen.

Bei einer Vielzahl von Ansprüchen wäre diese Klausel sehr hilfreich. Diese Klausel ist aber auf Zeitguthaben nicht anwendbar. Denn die Ausschlussklausel gilt nicht für sogenannte „streitlos“ gestellte Ansprüche.

Eine schwebende, geisterhafte Figur, drapiert in ein weißes Laken vor einem geteilten grün-weißen Hintergrund, symbolisiert die ätherische Natur des Personalmanagements.

Praxistipp: Eine vertragliche Ausschlussklausel ist bei Überstundenprozessen im Zusammenhang mit einem Arbeitszeitkonto regelmäßig ein „stumpfes Schwert“.

Das Bundesarbeitsgericht2 hat in verschiedenen Urteilen entschieden, dass sogenannte streitlos gestellte Ansprüche nicht unter die arbeitsvertraglich vereinbarte Ausschlussfrist fallen. Streitlos sind Ansprüche, wenn sie vorbehaltlos auf dem Arbeitszeitkonto ausgewiesen werden. Dies ist weitgehend unbekannt und führt dazu, dass Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, diese Ansprüche innerhalb der regelmäßigen Verjährung, also innerhalb von drei Jahren, geltend zu machen.

3. Lösungsmöglichkeiten

Dieses unerfreuliche Risiko kann korrigiert werden. Arbeitgeber sollten Überstunden nicht ungeprüft dem Arbeitszeitkonto gutschreiben. Dies lässt sich wie folgt vermeiden:

  1. a) Sämtliche Überstunden, die ein System automatisch durch Ein- und Ausstempeln verbucht, sollten von einem Vorgesetzten geprüft und erst nach Freigabe auf dem Arbeitszeitkonto verbucht werden. Kommen Vorgesetzte zu dem Ergebnis, dass Überstunden nicht angeordnet oder nicht notwendig waren, werden die Überstunden abgelehnt. Ist ein Arbeitnehmer dennoch der Auffassung, dass die Überstunden „berechtigt“ geleistet wurden, muss er nachweisen, dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet oder geduldet wurden.
  2. b) Eine weitere Möglichkeit ist, dass Arbeitnehmer – bevor sie Überstunden leisten – diese bei dem Vorgesetzten anzuzeigen haben. Auf diese Weise kann der Vorgesetzte prüfen, ob die Überstunden erforderlich sind. Die Anzeige sollte nachweisbar dokumentiert werden (z. B. per E-Mail oder per App). Die Mitteilung sollte auch eine Begründung enthalten, sodass nachprüfbar ist, ob die Überstunden erforderlich waren.
  3. c) Die dritte Möglichkeit ist, dass Ausschlussklauseln in Arbeitsverträgen entsprechend an solche streitlosen Ansprüche angepasst werden. Auch wenn die Rechtsprechung noch keine abschließenden Voraussetzungen definiert hat, könnte etwa eine Parallele zum Betriebsübergangsrecht gezogen werden: Danach ist anerkannt, dass Arbeitnehmer auf Ansprüche nach entsprechender Aufklärung verzichten können. Ein solcher Verzicht setzt u. a. voraus, dass Arbeitnehmer in Kenntnis bestimmter Ansprüche ausdrücklich auf diese verzichten. Hierzu müssten die Parteien eine entsprechende Vereinbarung schließen und die Klausel müsste hierauf Bezug nehmen.
  4. Zusammenfassung

Das Einrichten und Führen von Arbeitszeitkonten hat Vor- und Nachteile. Dadurch können Auftragsschwankungen und damit auch volatile Auftragslagen ausgeglichen werden. Insbesondere die Risiken, die sich in Bezug auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ergeben können, sind zu beachten. Hier sollten bereits bei der Einführung von Arbeitszeitkonten bestimmte Vorkehrungen getroffen werden, damit nur tatsächlich erforderliche Überstunden auf dem Arbeitszeitkonto verbucht werden.

Dr. Michaela Felisiak, Rechtsanwältin, LL.M.

Dr. Dominik Sorber, Rechtsanwalt BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

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