Ein Blick hinter die Kulissen : Ein Trauerspiel: Zinsen und Beitragsgarantien in der betrieblichen Altersversorgung
Im Moment wird im Schatten der Pandemie viel über Finanzmärkte, Schuldenberge, Helikoptergeld und Maßnahmen der Europäischen Zentralbank diskutiert. Aber auch die Altersversorgung – als Lohn eines ausgefüllten Arbeitslebens – sollte dauerhaft sicher sein. Zum 01.01.2017 ist der Garantiezins bereits auf 0,90 Prozent gesenkt worden, ab 01.07.2021 jetzt auf 0,50 Prozent! Zusätzlich hat ein Donnerschlag des Marktführers die Branche erschüttert. Deshalb lohnt ein Blick hinter die Kulissen der betrieblichen Altersversorgung (bAV). Der nachfolgende Beitrag will deshalb aufklären, provozieren und sensibilisieren. Denn mit Nachdenken fängt Erkenntnis an.
Haftung kann für Sie teuer werden …
Eine betriebliche Altersversorgung ist richtig und notwendig, in Form der Entgeltumwandlung sogar gesetzlich als Rechtsanspruch des Arbeitnehmers vorgeschrieben.
In Deutschland haben etwa 20 Millionen Arbeitnehmer entsprechende Abschlussmöglichkeiten. Aber wussten Sie, dass Sie als Arbeitgeber bzw. Personalverantwortlicher die volle Verantwortung für den umgewandelten Betrag und dessen Schicksal im Rahmen des Durchführungsweges haben?
Beispielsweise ist es in den Durchführungswegen Unterstützungskasse und Pensionsfonds für Arbeitgeber zu erheblichen Nachschussverpflichtungen gekommen, um Wertverluste (z. B. durch Finanzkrise und fehlerhafte Geldanlage der Anbieter) aufzufangen. Jüngst gerieten zahlreiche Pensionskassen in Schieflage und wurden von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geschlossen. Und auch die Direktversicherung hat ihre Tücken.
Besonderheiten für die betriebliche Altersversorgung
Im Lebensversicherungsgeschäft, das gerade oft aus steuerlichen Aspekten interessant ist, sinkt die Nachfrage nach klassischen Produkten deutlich, da die Garantiezinsen durch mangelnde Ertragschancen drastisch gesunken sind. Der Garantiezins (richtiger: gesetzlicher Höchstrechnungszins) in Deutschland auf den Sparanteil einer Lebensversicherung (Beitrag nach Abzug von Risiko- und Kostenanteil) beträgt inzwischen sage und schreibe 0,90 Prozent pro Jahr für Neuabschlüsse. In den Jahren 1995 bis 2000 betrug dieser Zinssatz immerhin 4 Prozent per annum.
Die nachfolgende Übersicht gibt einen kleinen Überblick der historischen Entwicklung:
Die Versicherungswirtschaft sucht Lösungen, die den Kunden mit mehr Rendite ködern. Am Markt sind auch verschiedene Fondsprodukte mit Garantien (z. B. Höchststand, Ablaufsumme, Beitragserhalt) mit unterschiedlich starrer oder flexibler Fondsauswahl erhältlich. Inzwischen rütteln einige Versicherer in der betrieblichen Altersversorgung sogar an der Beitragsgarantie (100 Prozent zum Ende der Laufzeit) und bieten niedrige Sätze (z. B. 60 oder 80 Prozent) an, was die Haftung für den Arbeitgeber deutlich erhöht und die Bilanz durch Rückstellungen belasten kann. Wie erklärt man einem Kunden, dass er nach langen Jahren des Sparens nicht einmal seine eingezahlten Beiträge zurückerhält?
Zukunft der Absicherung
Im Moment sinken die Gesamtrenditen der Lebens- und Rentenversicherungen stetig. Laut Angaben der Anbieter liegen die Gesamtrenditen (also inklusive Garantie- plus Überschussanteile) zwischen 2,0 und 3,5 Prozent, im Durchschnitt bei 2,20 Prozent (2019). Einige Versicherer (laut Angaben des Finanzministeriums jeder fünfte Anbieter am Markt) sind schon heute nicht mehr in der Lage, die Altverträge mit bis zu 4 Prozent Garantiezinsen zu bedienen, und greifen auf alle verfügbaren Reserven zurück, die natürlich auch endlich sind. Auf Bestreben der Versicherungswirtschaft sind die Garantiezinsen für Neuabschlüsse ab 01.01.2017 auf 0,90 Prozent (auf den Sparanteil) gesenkt worden. Im Dezember 2019 hat die Allianz, Deutschlands Marktführer (ca. 10 Millionen Kunden), verkündet, dass die Gesamtverzinsung 2020 auf 2,5 Prozent (statt 2,8 im Vorjahr) gesenkt wird. Für 2021 sind 2,3 Prozent geplant. Die Mehrheit der anderen Anbieter ist dem gefolgt. Merken Sie etwas?
Nun sind die Versicherer auf eine interessante Idee verfallen. Sie lagern das Anlagerisiko auf den Kunden aus. Es gibt zwar Chancen auf höhere Renditen (an der Börse), aber auch das Risiko des Totalverlustes, wenn es mal schlecht läuft. Um ihr Eigenkapital zu schonen, werden einfach keine Garantien (z. B. in Form von Altersrenten oder Kapitalzahlungen) ausgesprochen.
In der betrieblichen Altersversorgung ist diese „Wundertüte“ besonders schlimm, da der Arbeitgeber ja für den umgewandelten Lohn haftet. Leider ist auch der Gesetzgeber im „Sozialpartnermodell“ auf diesen Zug aufgesprungen und will sogar Beschäftigte tarifvertraglich zwingen, Geld in Produkte mit ungewissen Auszahlungen zu investieren.
Ein Gespenst geht um in Deutschland
Nein, ich meine nicht das Virus, sondern den Tod des Geschäftsmodells „Sparvertrag Lebens- und Rentenversicherung“. Am 07.10.2020 hat die Allianz Versicherung – als Marktführer – verkündet, dass es zusätzlich zur Garantiezinssenkung auch keine vollen Beitragsgarantien ab 01.01.2021 mehr in ihren Produkten geben wird. Bisher war es üblich, dass sich der Kunde wenigstens darauf verlassen konnte, die eingezahlten Beiträge (unabhängig von Zinsen oder Inflation) zurückzuerhalten. Dies will die Allianz nicht mehr, sondern bietet an, zum Beispiel nur 60 oder 80 Prozent zu garantieren und den Rest als Wette auf Börse und Anlagepolitik zu setzen. Andere Anbieter werden folgen. Die Verbraucherschützer wettern und prangern zu hohe Kosten und eine intransparente Kalkulation an. Unterdessen versucht der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft, den Gesetzgeber auch bei den Produkten, bei denen Beitrags- und Zulagengarantien bestehen, wie bisher noch in Riester-Verträgen oder eben bei der betrieblichen Altersversorgung, zu einer Änderung der Vorschriften zu bewegen. Dann fällt die Haftung massiv auf Sie als Arbeitgeber zurück – siehe erster Absatz dieses Beitrags.
Handlungsoptionen
Gerade bei der betrieblichen Altersversorgung, für die allerdings der Arbeitgeber weitestgehend haftet, muss der Personalverantwortliche genau das Kleingedruckte des Produktes lesen und einerseits einen finanzstarken Anbieter auswählen – der auch Verluste bei Börsencrashs zugunsten der Garantien ausgleichen kann – sowie die Sinnhaftigkeit eines börsenorientierten Produktes zur Deckung von Versorgungslücken prüfen, da der alte Grundsatz „Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach“ auch hier Geltung entfaltet.
Bei der betrieblichen Altersversorgung ist eine Ausschreibung – gerade im Vorfeld der Gesetzesänderungen 2021/22 – angeraten, um mehr Einfluss auf das Produkt und die Anbieterauswahl zu erhalten. Zusätzliche Garantiekomponenten, Bruttobeitragsgarantien oder Bonuszahlungen sind bei Ausschreibungen üblich, wohingegen der einfache Privatkunde meist nur reine Fondsprodukte erhält, die oft am Ende nicht einmal die eingezahlten Beiträge erwirtschaften.
Prüfen Sie daher Ihre Verträge, Zusagen und Anbieter auf Herz und Nieren und holen Sie sich dazu einen neutralen Berater; der Anbieter selbst und seine Vermittler können hier nur bedingt – im Rahmen der eigenen Interessenlage – helfen.
Experten rechnen mit Umschichtungen von Kapital zwischen starken/solventen und weniger starken Lebensversicherern, was die Krise bei den schwachen Marktplayern verschärfen wird. Gehören Sie nicht zu den Letzten, die aufwachen, denn das Knacken im Gebälk wird immer lauter …
Hinweis: Als Personalverantwortlicher sehen Sie sich bitte die jährlichen Standmitteilungen des Anbieters, die zu jedem Einzelvertrag erstellt werden müssen, genau an, um die Effizienz und Rendite Ihres bAV-Unternehmens zu prüfen. Achten Sie außerdem darauf, welcher Betrag dem Mitarbeiter von Ihnen – dem Arbeitgeber – zugesagt wurde. Viele machen den Fehler, die prognostizierte Gesamtleistung anzugeben. Hier ist lediglich eine Zusage in Höhe der garantierten Renten bzw. Kapitalauszahlungen bzw. eine entsprechende beitragsorientierte
Leistungszusage angeraten. Denken Sie aber daran: Prüfen Sie, ob am Laufzeitende alle Beiträge plus Inflationsausgleich (zwischen zwei bis drei Prozent aktuell, Tendenz steigend) erhalten bleiben, sonst sind Sie für die Differenz in der Haftung!
Andreas Nareuisch, Betriebs- und Finanzfachwirt und Bundessachverständiger