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Unfallversicherungsschutz – Urteil : Homeoffice und Wegeunfall

Folgt man einer Statistik der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) für das 1. Halbjahr 2020, sind die meldepflichtigen Unfallzahlen der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand im Vergleich zum 1. Halbjahr 2019 um 15,2 Prozent zurückgegangen. Einen Rückgang gab es auch bei den Wegeunfällen. Hier sind es 20,2 Prozent weniger im gleichen Zeitraum. Über den Rückgang kann man rätseln. Lag es daran, dass viele Arbeitnehmer im Jahr 2020 in Kurzarbeit waren oder im Homeoffice arbeiteten?

Lesezeit 3 Min.
Schwer beschädigtes Auto nach einem schweren Frontalzusammenstoß, isoliert auf weißem Hintergrund.

Definition Arbeitsunfall

Darunter fallen alle Unfälle, die Arbeitnehmer während ihrer beruflichen Tätigkeit erleiden. Der gesetzliche Unfallversicherungsschutz bezieht sich grundsätzlich auch auf die mit der Arbeit verbundenen Dienstfahrten und Geschäftsreisen.

Entscheidend ist, dass die von den Berufsgenossenschaften versicherten Risiken in einem sogenannten „inneren Zusammenhang“ (Kausalzusammenhang) mit den betrieblichen Tätigkeiten stehen müssen.

Kausalität bedeutet Ursächlichkeit. Ob und in welchem Umfang Versicherungsschutz besteht, hängt davon ab, inwiefern sich eingetretene Schäden auf den betrieblichen (versicherten) Bereich zurückführen lassen. Von zentraler Bedeutung ist etwa die Frage, ob der Unfall in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis stand.

Definition Wegeunfall

Von einem Wegeunfall ist auszugehen, wenn sich ein Unfall auf dem direkten Weg zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte ereignet hat. Der Versicherungsschutz gilt auch für den Rückweg.

Versichert gegen einen Wegeunfall ist der Arbeitnehmer, wenn er die Außentür seines Wohngebäudes – auch bei Mehrfamilienhäusern – hinter sich lässt. Umgekehrt endet der Versicherungsschutz nach Beendigung der Beschäftigung wieder an der Außentür seines Wohngebäudes.

Kein Arbeitsunfall

Folgt man einem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 09.11.2020 (Az.: L 17 U 487/19), welches am 15.01.2021 veröffentlicht wurde, liegt kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz vor, wenn ein Arbeitnehmer, der im Homeoffice tätig ist, auf dem Weg von seiner Wohnung in sein Büro auf der Treppe stürzt und sich dabei verletzt.

Sachverhalt

Ein Arbeitnehmer war seit vielen Jahren für seine Arbeitgeberin als Gebietsverkaufsleiter im Außendienst versicherungspflichtig beschäftigt. In der Unfallanzeige an die zuständige Berufsgenossenschaft gab die Arbeitgeberin an, dass der Beschäftigte im Homeoffice aus den Wohnräumen in die Büroräume die Treppe abwärts stürzte. Er zog sich dabei einen Brustwirbeltrümmerbruch zu. Die Wohnung befand sich im vierten Stock und das Büro im dritten Stock des Hauses.

Ablehnung

Die zuständige Berufsgenossenschaft (BG) lehnte die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Es lag kein Arbeitsunfall vor, weil sich der Sturz im häuslichen Wirkungskreis und damit nicht auf einem versicherten Weg ereignet habe. Gegen den ablehnenden Bescheid des Unfallversicherungsträgers legte der betroffene Arbeitnehmer Widerspruch ein. Die Berufsgenossenschaft gab dem Widerspruch nicht statt. Begründung: Auf einem Weg von den Privaträumen in den betrieblichen Bereich zum Zweck der Arbeitsaufnahme beginne der gesetzliche Unfallversicherungsschutz grundsätzlich erst mit dem Erreichen der Betriebsräume.

Klage vor dem Sozialgericht

Der Arbeitnehmer erhob beim zuständigen Sozialgericht (SG) Klage. Er legte dar, er wollte am Unfalltag die Arbeit aufnehmen, sodass der Sturz auf der Treppe sich im Rahmen seiner Tätigkeit für seine Arbeitgeberin ereignete. Das SG gab der Klage statt. Die Richter urteilten, es läge ein Arbeitsunfall vor. Die zu beurteilende Kammer kam zur Überzeugung, dass das Hinabsteigen der Treppe in seinem Wohnhaus in einem sachlichen Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit als Gebietsverkaufsleiter gestanden habe. Der Kläger, hier der Arbeitnehmer, habe zum Zeitpunkt des Sturzes einen versicherten Betriebsweg zurückgelegt. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gezogene Grenze zwischen einer unversicherten Tätigkeit im häuslichen Lebensbereich und dem versicherten Zurücklegen eines Betriebsweges gelte grundsätzlich auch bei einer Tätigkeit im Homeoffice.

Berufung eingelegt

Gegen das Urteil des SG legte die BG Berufung beim zuständigen LSG Nordrhein-Westfalen ein. Sie machte geltend, dass die hier allein in Betracht kommende Annahme eines versicherten Weges zur Arbeit im Homeoffice mangels Durchschreitens der Haustür des Wohnhauses ausscheidet. Innerhalb des Hauses sei ein Betriebsweg nur versichert, wenn dieser die versicherte Tätigkeit selbst darstelle, was hier aber zu verneinen sei. Nicht versichert sei hingegen der innerhäusige Weg zur erstmaligen Arbeitsaufnahme im Homeoffice.

Entscheidung des LSG

Die Richter des LSG Nordrhein-Westfalen sahen, anders als die Kollegen des SG, hier durch den Sturz keinen Arbeitsunfall. Ein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz im Zeitpunkt des Treppensturzes scheitert daran, dass die Verrichtung zurzeit des Unfallereignisses, also das Herabsteigen der Treppe von der vierten in die dritte Etage seiner Wohnung, weder als Zurücklegen eines unmittelbaren Weges von und nach der Tätigkeit, also als Wegeunfall, anzusehen ist noch in einem sachlichen Zusammenhang zu seiner versicherten Tätigkeit als Gebietsverkaufsleiter stand.

Weiße Limousine mit Frontschaden isoliert auf weißem Personalhintergrund.

Die Annahme eines Betriebsweges scheidet aus, weil sich der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Treppensturzes auf dem Weg in sein Arbeitszimmer zur erstmaligen Aufnahme seiner versicherten Tätigkeit am Unfalltag befand. Das am 15.01.2021 veröffentlichte Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Ulrich Frank, Sozialversicherungsfachwirt und Wirtschaftsjournalist

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