Chancen und Grenzen : Junge Wilde, Paradiesvögel oder zahme Grünschnäbel?
Gerüstet für den Generationenwechsel?
Dass die befragten 15- bis 29-Jährigen sich deutlich häufiger vegan oder vegetarisch ernähren, ergab die repräsentative Umfrage des aktuellen Fleischatlas und ist wohl dem Wunsch, Klima, Umwelt und die Tierwelt zu schützen, zuzuschreiben. Die Zeit der gesättigten, gemütlichen und eher genügsamen „McDonalds-Gänger“ war also gestern? Sind wir dagegen gewappnet für „Generation Greta“ und was erwartet die Wirtschaft sonst an Chancen und Grenzen? Wo Firmen schneller, adaptiver, digitaler werden wollen, setzen sie natürlich auch auf junges und frisches Blut, aber ein „Haufen“ junger Leute macht noch kein New School Business …
Wo sind die Werte hin?
Befragt man Personaler oder Berufsbegleiter, dann bemängeln diese bei jungen Berufseinsteigern fehlende „traditionelle“ Werte, die im Berufsleben immer noch eine große Bedeutung haben. Dazu gehören grundlegende Dinge wie Eigenverantwortung und Pünktlichkeit – aber auch Eigenschaften wie ein gesundes Selbsteinschätzungsvermögen, was die Verortung im Arbeitsumfeld betrifft, und die Einschätzung von Aufgaben und der eigenen Kompetenzen und Leistung. Es ist eben doch nicht automatisch jeder ein „Geschenk“ für die Arbeitswelt. Solche Themen finden aber in der schulischen und erzieherischen Vorarbeit und Vorbereitung kaum kritisch statt, weil die Stärkung des Selbstbewusstseins heute einen immens großen Stellenwert einnimmt.
Das kann zum Problem werden, wenn manche dadurch mit einem schon sehr verschobenen Selbstverständnis in die Berufswelt eintreten. Falsche Vorstellungen mögen generell auch eine der Hauptursachen sein, warum sich viele junge Menschen erst einmal schwertun, das wirklich Passende zu finden. Viele Berufsbilder sind Schulabgängern nach wie vor oft zu fremd – das ist aber auch teils den abstrusesten Jobtiteln geschuldet, mit denen Personaler nicht attraktive Tätigkeiten schillernd anpreisen wollen.
Von Wissen und Wollen
Natürlich gibt es in den meinungsstark erzogenen nachrückenden Berufskohorten durchaus einige, die ganz genau wissen, was sie wollen. Zum großen Teil wirkt sich dies günstig und positiv aus, wenn sie motiviert sind und sich mit dem Beruf wirklich auseinandergesetzt haben. Selbst oder gerade bei einfacheren Tätigkeiten stellen Arbeitgeber fest, dass sowohl die Ausschreibungen als auch die Anordnungen nicht richtig gelesen noch verstanden werden und junge Arbeitnehmer mit dem Kopf teilweise ganz woanders zu sein scheinen, als es die Arbeitsrealität heute erfordert.
Arbeitsattraktivität wird von Jüngeren immer häufiger daran gemessen, ob Leitbilder nur dem Wort nach bestehen oder auch gelebt werden. Das passiert dann gerne auch bei den Themen, für die sie die letzten Jahre sensibilisiert wurden.
Zwischen Wünsch-Dir-was und Wahrheit
Es ist damit zu rechnen, dass gerade die Jüngeren wirklich empfindlich reagieren, wenn das blumige Jobmarketing für die angehende Ausbildung viel verspricht, die Wahrheit dann aber im Alltag ganz anders aussieht – auch wenn klar sein sollte, dass nicht alle Klassenkameraden der Berufsschule oder Kommilitonen des dualen Studiengangs den direkten Durchmarsch in eine Führungsposition schaffen können. Wer bisher nur den kommunikativen Kuschelkurs kennt, ist verständlicherweise überfordert, wenn er Teil der Arbeitsmarkt-Verdrängungsmechanismen geworden ist und es schon bei den ersten zarten Versuchen, ins Berufsleben einzutreten, nicht einmal zu möglichen Chancen kommt.
Was können die Unternehmen im Hinblick darauf tun? Von immer größerer Bedeutung werden Online-Arbeitgebertreffen wie „Sprungbrett Ausbildung“. Es ist Unternehmen unbedingt anzuraten, Plattformen zur Rekrutierung, wie sie von verschiedenen Wirtschaftsförderungen initiiert und angeboten werden, zu nutzen und an Info-Workshops für virtuelle Messen wie „Einstieg Beruf“ teilzunehmen. Beide Seiten müssen von den gleichen Voraussetzungen und Vorstellungen ausgehen können. Die richtige Berufsvorbereitung ist und bleibt – auch innerhalb der „Vorbildung“ – ein großes Thema, etwa im Hinblick darauf, was Praktika leisten müssen und sollen.
Zukunft der Game Changer und Organisations-Rebellen
Eine „Jungzellenkur“ braucht gute Grundlagen und natürlich will die junge Generation mitreden und mitgestalten. Geprägt von Instagram-Stars und You-Tube-Persönlichkeiten müssen einige für sich noch lernen, ihr eigener Influencer zu werden – so wie es Autor Michael Moorstedt (Süddeutsche Zeitung) als Aufgabe jedes Arbeitnehmers sieht. Als Unerfahrene brauchen sie aber umso mehr eine gute Infra- und Kommunikationsstruktur, die sich nicht nur in technischen Hilfsmitteln darstellt. Sie müssen klare Regeln – auch für das neue Arbeiten –haben, die Organisationsmuster des Arbeitens und Kommunizierens kennenlernen können und ein Gespür für die herrschende Hierarchie bekommen, was durch die digitale Transformation nicht unbedingt erleichtert wird.
Out of the box
Wenn man den Wandel grundsätzlich in seinem Arbeitsnachwuchs sucht, sollte man nicht nur gemeinsame Rituale ins Unternehmensleben integrieren, sondern auch entscheiden, wie eine Erlaubnis zum Widerspruch aussehen kann, wo man Freiraum zum Experimentieren schaffen kann. Wer künftig auf innovative Quer- und Andersdenker aus der Jugend setzen will, für den empfiehlt sich zunächst, dafür die vertikalen Denkstrukturen der typisch pyramidal organisierten Führungsweise aufzulösen und im Vorfeld schon laterales Denken einzuführen.
Es ist nicht die alleinige Aufgabe der „jungen Wilden“, sich die Hörner für Strukturveränderungen in Eigenregie abzustoßen. Nicht umsonst wurde trotz aller berechtigten Anforderungen der „Welpenschutz“ in die Arbeitswelt eingeführt. Wer sich einen echten Paradiesvogel wünscht, muss ihn nicht nur entsprechend „halten“, sondern auch „füttern“. Wenn ein Unternehmen sich künftig mehr Mut, Vielfalt und Kreativität wünscht, ist es mit ein paar schicken Social-Media-Signalen im Recruiting und vielversprechenden Worten in Stellenausschreibungen nicht getan.
Dr. Silvija Franjic, Online-Redakteurin + Jobcoach