Wandel im Blick – Arbeitswelten der Zukunft : Mobile Arbeitszeit – mehr Flexibilität?
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über die Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung hat große Diskussionen ausgelöst. Nun bestätigt das Arbeitsgericht (ArbG) Emden in einem weiteren Urteil diese Rechtsauffassung. Wirtschaftliche Risiken durch ein unbedachtes Abwarten werden folglich für Arbeitgeber immer größer.
Hintergrund
Mit seinem viel diskutierten Urteil vom 14.05.2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung“ einzurichten. Der seither bestehende Streit, ob sich aus dem Urteil nun ein unmittelbarer Handlungsbedarf für Arbeitgeber
ergibt, geht durch ein Urteil des ArbG Emden vom 20.02.2020 in die nächste Runde. Das Mobile Arbeitsgesetz (MAG) wird nun eine weitere gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bringen.
Flexibler Arbeitsort
Hinzu tritt die Diskussion um den Arbeitsort (im Betrieb, zu Hause, unterwegs oder eine Mischform aus allem).
Sie dreht sich vorrangig um die Varianten mobiles Arbeiten (der Arbeitnehmer kann den Ort der Leistungserbringung weitgehend frei wählen) und Homeoffice (Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren das Arbeiten in der häuslichen Wohnung).
Mobile Arbeit im internationalen Vergleich
Der internationale Vergleich verdeutlicht, dass die Staaten die Arbeit im Homeoffice und mobile Arbeit sehr unterschiedlich regeln. Lediglich in den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien existiert eine rechtliche Bestimmung in Bezug auf das ortsflexible Arbeiten für den privaten Sektor. Während in Frankreich und Großbritannien nur das Arbeiten von zu Hause aus unter die gesetzliche Bestimmung fällt, können niederländische Beschäftigte generell eine Änderung des Arbeitsortes beantragen, sodass hier auch die mobile Arbeit mit eingeschlossen ist. Schweden, Dänemark und die USA zeichnen sich durch einen hohen Anteil von individuellen Vereinbarungen zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern zu Homeoffice und mobiler Arbeit aus.
In Dänemark und Schweden treten in bestimmten Bereichen Tarifverträge ergänzend hinzu. In den USA scheint der Zugang zu Telearbeit sehr ungleich zu sein, sodass das ortsflexible Arbeiten ein Privileg für leistungsstarke Beschäftigte darstellt. In den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien, wo in den vergangenen Jahren individuelle Rechtsansprüche eingeführt wurden, hat dies zu keinen großen Änderungen geführt. Der Rechtsanspruch stärkt gleichwohl die Verhandlungsmacht der Beschäftigten. Und so muss etwa der Arbeitgeber in den Niederlanden bis zu einem Monat vor dem gewünschten Starttermin die Anfrage des Beschäftigten bearbeiten. Tut er das nicht, gilt der Antrag automatisch als genehmigt (sog. Zustimmungsfiktion).
Arbeitszeit – das Recht zum Abschalten
Das Recht zum Abschalten als zusätzliche Gesetzgebung in Frankreich scheint ein potenziell geeigneter Ansatz zu sein, um sicherzustellen, dass Beschäftigte, trotz der durch die Verbreitung von Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten gewachsenen Option, jederzeit von überall aus arbeiten zu können, die vorgeschriebenen Arbeitszeiten und Ruhezeiten einhalten.
Die Arbeitszeiterfassung erscheint insgesamt – neben Gesundheits- und Sicherheitsaspekten sowie Datenschutz und Datensicherheit – als eine der größten Herausforderungen, wenn es um die Vereinbarung von Homeoffice und mobiler Arbeit geht. Aspekte wie eine den Vorschriften entsprechende Gestaltung des Arbeitsplatzes, die Übernahme der Kosten für die Einrichtung, der Umgang mit Unfällen und die technische Umsetzung bleiben häufig in einer Grauzone, wenn Beschäftigte von außerhalb der betrieblichen Einrichtungen arbeiten.
Mobile Arbeit in Deutschland
In Deutschland wird mobile Arbeit derzeit – außerhalb individueller oder informeller Absprachen – durch Tarif- und Betriebsvereinbarungen geregelt, es sei denn, es handelt sich um Telearbeit gemäß Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV). Die derzeitige Situation in Deutschland ist geprägt von einer Vielzahl von betrieblichen, tarifvertraglichen und gesetzlichen Regelungen, wobei der Gesetzgeber nicht direkt in das betriebliche Geschehen eingreift.
Betriebsvereinbarungen
Vielmehr überlässt es der Gesetzgeber weitgehend den Betriebsparteien, die ortsflexible Arbeit zu regeln. Und so haben viele Unternehmen Betriebsvereinbarungen zur mobilen Arbeit eingeführt und angepasst. Beispielhaft zu nennen sind BMW (Betriebsvereinbarung zur mobilen Arbeit 2014), Microsoft (Einführung des Vertrauensarbeitsorts 2014), Daimler (Betriebsvereinbarung zur mobilen Arbeit 2016), Bosch (Betriebsvereinbarung zur mobilen Arbeit 2014) und SAP (Betriebsvereinbarung zur mobilen Arbeit 2018). Und die Deutsche Telekom hat bereits 1997 Regelungen zur Telearbeit im Tarifvertrag festgehalten. Wenn auch die Betriebsvereinbarungen zur mobilen Arbeit den Beschäftigten ein grundsätzliches Recht einräumen, mobil zu arbeiten, so gilt doch, dass Führungskräfte und Beschäftigte sich in der Regel auf den Zeitraum und die Häufigkeit des mobilen Arbeitens verständigen. Wenn die Tätigkeit außerhalb des Betriebs ausgeübt wird, so sind gleichwohl die gesetzlichen und tariflichen Arbeitszeitbestimmungen von den Beschäftigten einzuhalten. Des Weiteren regeln die Betriebsvereinbarungen die Erreichbarkeit der Beschäftigten, sodass Beschäftigte außerhalb der mit den Vorgesetzten vereinbarten Arbeitszeiten oder außerhalb der vertraglich geregelten Arbeitszeiten nicht dazu verpflichtet sind, erreichbar zu sein. Demnach können Beschäftigte zum Beispiel das Smartphone außerhalb der vereinbarten Arbeitszeiten mit gutem Gewissen ausschalten. Die Betriebsvereinbarungen regeln außerdem, wer die anfallenden Kosten zur Einrichtung eines Arbeitsplatzes im Homeoffice übernimmt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Zeiterfassung. Diese erfolgt zum Beispiel im Fall von Daimler über die Eintragung der mobil geleisteten Arbeitszeit blockweise pro Tag über das normale Zeiterfassungssystem oder im Fall von BMW einmal in der Woche.
Tarifvertragliche Regelungen
Des Weiteren existieren Vereinbarungen auf Branchenebene, beispielsweise für die Chemieindustrie, den Banken- und den Telekommunikationssektor. Einige dieser Vereinbarungen wurden bereits vor der Implementierung der europäischen Rahmenvereinbarung über Telearbeit geschlossen, andere wurden hierdurch angeregt. Zuletzt ist die Beachtung für das Thema wieder gewachsen. So umfasst etwa der Metall-Tarifabschluss aus dem Jahr 2018 Rahmenbedingungen für freiwillige Betriebsvereinbarungen von tarifgebundenen Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie (ME), welche den Beschäftigten die Möglichkeit geben sollen, auch außerhalb des Betriebs zu arbeiten. Die Rahmenbedingungen beinhalten dabei etwa das Wegfallen von Spät- oder Nachtzuschlägen bei Beschäftigten, die aus eigener Entscheidung von einem selbstbestimmten Ort aus spät oder nachts arbeiten, oder die Verkürzung der gesetzlichen Ruhezeiten von elf auf neun Stunden, wenn der Beginn oder das Ende der Arbeitszeit von den Beschäftigten selbst gewählt werden kann (IG Metall 2018).
Anwendbare Gesetze
In Deutschland gibt es derzeit keine direkten gesetzlichen Vorgaben für Homeoffice und mobile Arbeit, die mit Frankreich, den Niederlanden oder Großbritannien vergleichbar wären. Beide Parteien – Beschäftigte und Arbeitgeber – sind bei der Einführung von Homeoffice oder mobiler Arbeit auf die Zustimmung der jeweils anderen Partei angewiesen.
Ist der Arbeitsort im Arbeitsvertrag nicht festgelegt, bestimmt ihn der Arbeitgeber aufgrund seines Weisungsrechts. Dieses muss er nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) ausüben und insoweit die Interessen des Beschäftigten berücksichtigen. Ein Anspruch auf Homeoffice oder mobile Arbeit kann trotz der Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Absatz 2 BGB nicht hergeleitet werden.
Eine bereichsspezifische Ausnahme stellt das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) dar, welches jedoch nur für die Bundesverwaltung und die Unternehmen und Gerichte des Bundes, nicht aber für die Privatwirtschaft gilt.
Auch bei der Tätigkeitsausübung von außerhalb der betrieblichen Einrichtungen gelten jedoch bereits heute das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) sowie das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), welche Anforderungen an Bildschirmarbeit enthält. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu überwachen. Überdies findet auch das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) auf Beschäftigte Anwendung, die Telearbeit ausüben. Außerdem besteht für abhängig Beschäftigte, die im Homeoffice oder mobil arbeiten, der allgemeine Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 2 Absatz 1 Nr. 1 SGB VII). Mit der Novellierung der Arbeitsstättenverordnung im November 2016 wurde der Begriff der Telearbeit erstmals legal definiert und damit auch von einer generellen Zulässigkeit dieser speziellen Form des Homeoffice ausgegangen.
Telearbeit bezeichnet also Arbeit, bei der Beschäftigte zumindest einen Teil ihrer Arbeitsleistung mithilfe eines vom Arbeitgeber fest eingerichteten Bildschirmarbeitsplatzes außerhalb des Betriebs erbringen und dabei mit dem Betrieb über Informations- und Kommunikationseinrichtungen verbunden sind. So muss der Arbeitgeber bei regelmäßiger, vertraglich vereinbarter Arbeit an einem Bildschirmarbeitsplatz zu Hause (Teleheimarbeit) dort einen Arbeitsplatz einrichten, welcher der Arbeitsstättenverordnung entspricht. Bei gelegentlicher Arbeit im Homeoffice findet die Arbeitsstättenverordnung für Teleheimarbeit keine Anwendung. Die Arbeitsform des mobilen Arbeitens ist bisher nicht legal definiert und unterliegt nicht der Arbeitsstättenverordnung.
Das Mobile Arbeit-Gesetz (MAG) bringt Pflichten
Für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, auf die das Arbeitszeitgesetz Anwendung findet und die regelmäßig nach § 111 Absatz 1 Satz 2 mobil arbeiten, wird die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nach § 16 Absatz 2 Satz 1 des Arbeitszeitgesetzes dahingehend abgewandelt, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, Beginn, Ende und Dauer der gesamten Arbeitszeit am Tag der Arbeitsleistung aufzuzeichnen. Er hat die Arbeitszeitnachweise sodann mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Die Aufzeichnung kann durch den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin erfolgen; der Arbeitgeber bleibt aber für die ordnungsgemäße Aufzeichnung verantwortlich. Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin auf Verlangen über die aufgezeichnete Arbeitszeit zu informieren. Er hat dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin zudem auf Verlangen eine Kopie der Arbeitszeitnachweise auszuhändigen.
Arbeitszeitnachweise für Mobil Arbeitende
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, Zeiterfassung als verpflichtend anzusehen, erzwingt die Einführung entsprechender Systeme und Prozesse. Dies gilt für alle Unternehmen, gleich welcher Größenordnung, und für alle Branchen. Dementsprechend wird die Einhaltung der Pflichten von den Aufsichtsbehörden nach § 17 Absatz 1 des Arbeitszeitgesetzes überwacht. Wenn der Arbeitgeber die geforderten Aufzeichnungen nicht oder jedenfalls nicht richtig, unvollständig oder nicht rechtzeitig erstellt oder nicht für die gesetzlich vorgeschriebene Dauer aufbewahrt, kann eine Geldbuße bis zu 30.000 Euro festgesetzt werden. Somit wird künftig eine rechtssichere und jederzeit nachvollziehbare Zeiterfassung für Unternehmen aller Größenordnungen und aller Branchen immer wichtiger.
Raschid Bouabba, MCGB GmbH