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Urlaub, Stellenausschreibung, Kündigung & Co. : Rechtsprechung für Sie aufbereitet

Lesezeit 9 Min.

Urlaubsgewährung bei fristloser Kündigung

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 25.08.2020 – 9 AZR 612/19

Nach § 7 Abs. 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) hat der Arbeitgeber bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen. Allerdings ist ein dem Arbeitgeber mitgeteilter Urlaubswunsch nicht Voraussetzung für dessen Recht, die zeitliche Lage des Urlaubs festzulegen. Die ohne einen solchen Wunsch des Arbeitnehmers erfolgte zeitliche Festlegung des Urlaubs durch den Arbeitgeber ist rechtswirksam, wenn der Arbeitnehmer auf die Erklärung des Arbeitgebers hin keinen anderweitigen Urlaubswusch äußert.

Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer Urlaub auch vorsorglich für den Fall gewähren, dass eine von ihm erklärte ordentliche oder außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Eine wirksame Urlaubsgewährung setzt in diesem Fall jedoch voraus, dass der Arbeitgeber trotz der Ungewissheit der Parteien über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses durch eine entsprechende Freistellungserklärung eindeutig zum Ausdruck bringt, der Arbeitnehmer werde zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub endgültig von der Arbeitspflicht befreit, und er das Urlaubsentgelt entweder vor Antritt des Urlaubs zahlt oder dessen Zahlung vorbehaltlos zusagt.

Die Freistellungserklärung des Arbeitgebers kann nach § 362 Abs. 1 BGB das Erlöschen des Urlaubsanspruchs nur bewirken, soweit für den Freistellungszeitraum eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers besteht. Für das Vorliegen der für die Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub erforderlichen Arbeitspflicht ist allein die objektive Rechtslage maßgeblich.

Erteilt der Arbeitgeber vorsorglich für den Fall, dass eine fristlose Kündigung unwirksam sein sollte, für die Dauer der Kündigungsfrist einer hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung Urlaub und erhebt der Arbeitnehmer Klage nach §§ 4, 13 Abs. 1 Satz 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG), so steht in dem Zeitraum, in dem der Urlaubsanspruch erfüllt werden soll, zwar regelmäßig nicht fest, ob die außerordentliche Kündigung wirksam ist und der Arbeitnehmer noch von einer bestehenden Arbeitspflicht freigestellt werden kann. Der Urlaubszweck gebietet es jedoch nicht, dass bereits bei Urlaubsantritt abschließende Gewissheit über die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers bestehen muss.

Der Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz ist – ebenso wie nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG – nicht allein auf die Freistellung von der Arbeit gerichtet. Das Gesetz verlangt darüber hinaus, dass die Zeit der Freistellung von der Arbeit „bezahlt“ sein muss. Für die Erfüllung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub und die Realisierung des Urlaubszwecks kommt es danach in Bezug auf die Freistellungskomponente nicht maßgeblich darauf an, dass der Arbeitnehmer das Bestehen seiner Arbeitspflicht kennt, sondern dass er durch die Urlaubserteilung die Gewissheit hat, während eines bestimmten Zeitraums nicht zur Arbeit herangezogen zu werden, und ihm dadurch Freizeit zur Erholung und Entspannung zur Verfügung steht.

Grundsätzlich soll der Arbeitnehmer nach § 1 BUrlG zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt werden, um ihm die uneingeschränkte Möglichkeit selbstbestimmter Nutzung seiner Freizeit zu geben.

Allerdings ist der Arbeitnehmer nach § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB III zunächst verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. Die Pflicht zur Meldung besteht unabhängig davon, ob der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichtlich geltend gemacht wird. Die versicherungsrechtlichen Handlungsobliegenheiten sind aber dem persönlichen Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen. Sie stehen der Erfüllung des Urlaubsanspruchs nicht entgegen.

Innerbetriebliche Stellenausschreibung – Verlangen des Betriebsrats

BAG, Beschluss vom 29.09.2020 – 1 ABR 17/19

Nach § 93 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) kann der Betriebsrat verlangen, dass Arbeitsplätze, die besetzt warden sollen, allgemein oder für bestimmte Arten von Tätigkeiten vor ihrer Besetzung innerhalb des Betriebs ausgeschrieben werden. Die Vorschrift gibt eine Ausschreibung von Arbeitsplätzen nicht generell vor. Eine Verpflichtung hierzu besteht nur, wenn der Betriebsrat die Ausschreibung verlangt hat oder die Ausschreibung zwischen den Betriebsparteien vereinbart ist.

Die Vorschrift soll es dem Betriebsrat im Interesse der von ihm vertretenen Belegschaft ermöglichen, durch die Bekanntmachung der freien Beschäftigungsmöglichkeiten den

innerbetrieblichen Arbeitsmarkt zu aktivieren. Die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer sollen die Gelegenheit erhalten, sich auf die zu besetzende Arbeitsplätze zu bewerben. Daneben soll einer Irritation der Belegschaft über die Hereinnahme Außenstehender trotz im Betrieb vorhandener personeller Ressourcen entgegengewirkt werden.

Nach § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG kann der Betriebsrat die gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG notwendige Zustimmung zu einer Einstellung verweigern, wenn die nach § 93 BetrVG erforderliche Ausschreibung des Arbeitsplatzes im Betrieb unterblieben ist. Dieser systematische Zusammenhang zeigt, dass Arbeitsplätze, die mit Nachwuchskräften besetzt werden sollen, ebenfalls von § 93 BetrVG erfasst werden. Um eine Einstellung im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG handelt es sich auch, wenn zuvor zur Ausbildung Beschäftigte oder im Rahmen einer betrieblichen Praxisphase tätige Studierende in ein Arbeitsverhältnis übernommen und auf dieser Grundlage in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert werden.

Außerordentliche Kündigung – Kündigungserklärungsfrist

BAG, Urteil vom 01.10.2020 – 2 AZR 238/20

Nach § 626 Abs. 1 Satz 1 BGB kann eine fristlose Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt gemäß § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Auch grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände.

Bedarf es gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats zu einer außerordentlichen Kündigung und hat der Arbeitgeber innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB beim Betriebsrat die erforderliche Zustimmung beantragt sowie bei deren ausdrücklicher oder wegen Fristablauf zu unterstellender Verweigerung das Verfahren auf Ersetzung der Zustimmung nach § 103 Abs. 2 BetrVG beim Arbeitsgericht eingeleitet, ist die Kündigung nicht wegen einer Überschreitung der Frist unwirksam, wenn das Zustimmungsersetzungsverfahren bei ihrem Ablauf noch nicht abgeschlossen ist.

Die Kündigung kann vielmehr auch noch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglich nach der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Ersetzung der Zustimmung erklärt wird. Endet der Sonderkündigungsschutz eines Amtsträgers während des laufenden Zustimmungsersetzungsverfahrens, muss der Arbeitgeber die Kündigung unverzüglich aussprechen, nachdem er Kenntnis von der Beendigung des Sonderkündigungsschutzes erlangt hat.

An den vorstehenden Grundsätzen ändert es nichts, wenn der Arbeitgeber während des laufenden Zustimmungsersetzungsverfahrens gemäß § 103 Abs. 2 BetrVG gegenüber dem Arbeitnehmer, der an diesem Verfahren beteiligt ist, eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne Zustimmung des Betriebsrats erklärt. Eine solche Kündigung lässt das Ersuchen um Zustimmung gegenüber dem Betriebsrat sowie den Fortgang des gerichtlichen Verfahrens nach § 103 Abs. 2 BetrVG unberührt. Der Grundsatz, dass jeder Kündigung eine gesonderte Anhörung des Betriebsrats vorauszugehen hat, wird dadurch nicht verletzt.

Der während des Laufs des Zustimmungsersetzungsverfahrens erfolgte Ausspruch einer mangels Zustimmung des Betriebsrats unwirksamen Kündigung verbraucht weder die im Rahmen des Ersuchens um Zustimmung erforderliche Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG noch das an den Betriebsrat gerichtete und vom Arbeitgeber aufrechterhaltene Ersuchen um Zustimmung als solches. Solange der Arbeitgeber sein Ersuchen um Zustimmung gegenüber dem Betriebsrat aufrechterhält und das gerichtliche Ersetzungsverfahren andauert, kommt ein „Verbrauch“ der zu den fraglichen Kündigungsgründen erfolgten Anhörung nicht in Betracht.

Betriebsrat – Einblick in Bruttoentgeltlisten

BAG, Beschluss vom 29.09.2020 – 1 ABR 23/19

Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. In diesem Rahmen ist der Betriebsausschuss oder ein nach § 28 BetrVG gebildeter Ausschuss berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen.

Das Recht besteht nur, wenn es zur Durchführung von Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist. Beruft sich der Betriebsrat auf eine Überwachungsaufgabe, ist ein solcher Aufgabenbezug in der Regel deshalb gegeben, weil der Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen hat, dass u. a. die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden; ein besonderes Überwachungsbedürfnis muss er nicht darlegen. Verweist der Betriebsrat auf die Prüfung der Wahrnehmung eines Mitbestimmungsrechts, wofür es der Einsicht in die Bruttoentgeltlisten bedarf, kann auch das ausreichend sein. § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG verlangt eine auf das konkrete Einsichtsverlangen bezogene spezifische Prüfung der Erforderlichkeit für die vom Betriebsrat geltend gemachten Aufgaben. So besteht etwa kein (mit der Überwachungsaufgabe des § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG und einem möglichen Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG begründeter) Anspruch, wenn es einem örtlichen Betriebsrat um den betriebsübergreifenden Einblick in unternehmensweite Bruttoentgeltlisten geht oder sich die auf die Durchführung der zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze bezogene Überwachungsaufgabe nicht auf die Einhaltung von Ge- oder Verboten bezieht.

Ein leuchtend rotes Absatzsymbol (§), das vor einem verschwommenen Stapel von Dokumenten steht und rechtliche, gesetzliche oder persönliche Verwaltungsdokumente symbolisiert.

Versetzung

BAG, Beschluss vom 29.09.2020 – 1 ABR 21/19

Nach der Legaldefinition in § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG liegt eine nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zustimmungspflichtige Versetzung bei der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs vor, die eine Dauer von voraussichtlich einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist.

„Arbeitsbereich“ sind die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs. Der Begriff ist räumlich und funktional zu verstehen. Er umfasst neben der Arbeitsleistung auch die Art der Tätigkeit und den gegebenen Platz in der betrieblichen Organisation.

Um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs handelt es sich, wenn sich das gesamte Bild der Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters nunmehr als eine „andere“ anzusehen ist. Dies kann sich aus dem Wechsel des Inhalts der Arbeitsaufgaben und der mit ihnen verbundenen Verantwortung ergeben, aus einer Änderung des Arbeitsorts oder der Art der Tätigkeit, das heißt der Art und Weise folgen, wie die Arbeitsaufgabe zu erledigen ist, und mit einer Änderung der Stellung und des Platzes des Arbeitnehmers innerhalb der betrieblichen Organisation durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit verbunden sein.

Das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bei der Versetzung knüpft dabei ausschließlich an die tatsächliche Zuweisung eines neuen Arbeitsbereichs als Realakt an. Unerheblich für den Versetzungsbegriff des § 95 Abs. 3 BetrVG ist hingegen, ob der Arbeitgeber individualrechtlich im Verhältnis zum betroffenen Arbeitnehmer zur Versetzung befugt ist.

Überschreitet die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs voraussichtlich nicht die Dauer von einem Monat, stellt dies nur dann eine Versetzung dar, wenn die Zuweisung mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Hierbei handelt es sich um die äußeren Umstände, unter denen der Arbeitnehmer seine Tätigkeit zu verrichten hat. Dazu zählen etwa die zeitliche Lage der Arbeit, die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit technischen Hilfsmitteln und zudem Faktoren wie Lärm, Schmutz, Hitze, Kälte oder Nässe. Einzelne dieser Umstände müssen sich nicht nur überhaupt geändert haben. Ihre Änderung muss vielmehr „erheblich“ sein, um ein Beteiligungsrecht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bei nur kurzzeitiger Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs auszulösen.

Durch diese gesteigerten Anforderungen will der Gesetzgeber die nur temporäre Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs – wie sie insbesondere in kurzfristigen Vertretungs- und Aushilfsfällen erforderlich werden kann – erleichtern. Diese soll nur dann zum Schutz des betroffenen Arbeitnehmers der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen, wenn sie mit einer gravierenden Änderung der äußeren Bedingungen verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Ob die Änderung der Umstände erheblich ist, bestimmt sich allerdings nicht nach dessen subjektiver Einschätzung, sondern ist vom Standpunkt eines neutralen Beobachters aus zu beurteilen.

Dr. iur. Hans-Otto Blaeser

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