#digitaltransformation – Zukunftstreiber Payroll : Bereitschaftszeiten unter Spannung
Arbeitszeit ist die Zeit zwischen dem Beginn und dem Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen. Unter Arbeitszeit wird nicht nur Vollarbeit verstanden.

Auch Zeiten mit geringer Inanspruchnahme am Arbeitsplatz, also Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst, gelten in vollem Umfang als Arbeitszeit. Bei Rufbereitschaft zählt jedoch nur die Zeit, in der die Arbeitnehmer zur Arbeit herangezogen werden.
Abrufarbeit
Soll ein Arbeitnehmer nach Arbeitsanfall auf Abruf eingesetzt werden, ist nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz eine wöchentliche oder tägliche Arbeitszeit zu vereinbaren, die Grundlage für die Vergütung ist. Fehlt es an einer solchen Festlegung, gelten automatisch 20 Stunden pro Woche und arbeitstäglich mindestens drei Stunden als vereinbart. Ein Einsatz ist dem Arbeitnehmer mindestens vier Tage im Voraus mitzuteilen, sonst ist er nicht zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet.
Rufbereitschaft
Bei Rufbereitschaft darf der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort frei wählen und muss bei Bedarf erreichbar sein, um die Arbeit aufzunehmen. Rufbereitschaft zählt grundsätzlich nicht zur Arbeitszeit. Wenn allerdings die erlaubte Reaktionszeit so kurz bemessen ist, dass sich der Arbeitnehmer nur in geringer Entfernung zum Betrieb aufhalten kann, dann handelt es sich um Arbeitszeit. Jedenfalls hat das der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Fall eines Feuerwehrmannes entschieden, der innerhalb von acht Minuten in der Feuerwache zu sein hatte. Der Bereitschaftsdienst, bei dem sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber festgelegten Ort im Betrieb (z. B. im Krankenhaus) zur Verfügung halten muss, ist als schützenswerte Arbeitszeit zu behandeln und nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) mindestens mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten.
Bereitschaftszeit und Arbeitsschutz
Der EuGH hatte sich mit der äußerst umstrittenen Frage zu beschäftigen, wann Bereitschaftszeiten eines Arbeitnehmers als Arbeitszeit zu qualifizieren sind und somit vergütungspflichtig werden. Hieran knüpfen auch umfassende Folgefragen an, etwa nach der zulässigen Länge der Bereitschaftsdienste oder nach etwaigen Dokumentationspflichten. Hintergrund des Urteils war neben der Klage eines slowenischen Technikers auch die Klage eines deutschen Feuerwehrmannes.
Dieser ist während seiner Bereitschaftszeit dienstlich dazu verpflichtet, nicht später als 20 Minuten nach einem eingegangenen Alarm in voller Dienstmontur samt Einsatzfahrzeug an der jeweiligen Unglücksstelle im gesamten Stadtgebiet einzutreffen. Vorgaben hinsichtlich seines Aufenthaltsortes während der Bereitschaftszeit hat er jedoch keine.
In beiden Fällen legten die nationalen Gerichte die Entscheidungen dem EuGH vor, mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Bereitschaftszeiten der Kläger als Arbeitszeit im Sinne der europäischen Arbeitszeitrichtlinie zu verstehen sind.
Arbeitszeit | Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst, Vollarbeitszeit |
Ruhezeit | Freizeit, Rufbereitschaft |
Entscheidend sei laut EuGH, ob dem Arbeitnehmer die Bereitschaftszeit faktisch als Ruhezeit dienen kann oder nicht. Da die Arbeitszeitrichtlinie lediglich zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit unterscheidet, orientiert sich der EuGH bei der Einstufung von Bereitschaftszeiten daran, ob der Arbeitnehmer in der freien Gestaltung seiner Bereitschaftszeit sowie der Möglichkeit, sich eigenen Interessen zu widmen, „ganz erheblich beeinträchtigt wird“, und bezieht dies auf die Wahl des Aufenthaltsortes sowie die Reaktionszeiten.
Sei dies der Fall, liege Arbeitszeit vor. Beeinträchtigungen könnten sich insofern etwa ergeben aus rechtlichen Rahmenbedingungen sowie konkreten dienstlichen bzw. arbeitsvertraglichen Vorgaben oder Weisungen des Arbeitgebers.
Wichtiger Indikator sei z. B. die Häufigkeit von Einsätzen oder die Frist, innerhalb derer die Arbeit aufgenommen werden muss. Ohne Berücksichtigung blieben indes rein organisatorische Schwierigkeiten, die in die Risikosphäre des Arbeitnehmers fallen, wie etwa die Entfernung des Wohnorts zum Einsatzort. Auch seien im Gegenzug spezifische Erleichterungen in die Abwägung einzubeziehen, die sich im Falle des oben erwähnten Feuerwehrmannes etwa durch die Nutzung eines Dienstfahrzeugs mit Blaulicht ergeben können.
Bereits 2018 hatte der EuGH entschieden, dass eine bloß achtminütige Einsatzfrist jedenfalls so kurz bemessen sei, dass Arbeitszeit vorliege. Die Entscheidungen stehen im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). So ist etwa auch das Bundesarbeitsgericht der Auffassung, dass eine Rufbereitschaft, die sich durch die freie Wahl des Aufenthaltsortes des Arbeitnehmers kennzeichnet, zumindest dann nicht mehr vorliegt, wenn dieser aufgrund der Vorgaben faktisch keine andere Möglichkeit mehr hat, als sich ständig in der Nähe des Einsatzortes aufzuhalten. Vielmehr liege in einem solchen Fall Arbeitszeit vor.
Europäischer Gerichtshof verschärft Arbeitgeberpflichten
Mit seinem Urteil vom 14.05.2019 (C-55/18) hat der EuGH festgestellt, dass die Arbeitszeitrichtlinien im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Grundrechtecharta einer Regelung entgegenstehen, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Auch § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) verstößt danach gegen die vorgenannten europarechtlichen Vorgaben. Denn nach § 16 Abs. 2 ArbZG ist der Arbeitgeber in Deutschland wie oben beschrieben „nur“ verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 ArbZG (= acht Stunden) hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Zwar enthält die EuGH-Entscheidung in erster Linie eine Handlungsanweisung an die Mitgliedstaaten zur europarechtskonformen Ausgestaltung. Es ist aber davon auszugehen, dass § 16 Abs. 2 ArbZG bereits vor einem entsprechenden Tätigwerden der Mitgliedstaaten europarechtskonform ausgelegt werden muss.

Bereitschaftszeit und Vergütungspflicht
Zeiten des Bereitschaftsdienstes zählen nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) zur Arbeitszeit. Sie gelten nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) grundsätzlich als zu vergütende Arbeitszeit. Bereitschaftsdienst leistet ein Arbeitnehmer dann, wenn er sich außerhalb seiner regulären Arbeitszeit an einem durch den Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten hat, um auf Anweisung des Arbeitgebers seine Arbeit unverzüglich aufnehmen zu können. Bereitschaftsdienst stellt somit eine Beschränkung des Aufenthaltsortes dar, verbunden mit der Verpflichtung, bei Bedarf tätig zu werden. Solche Zeiten dürfen nach einer Entscheidung des BAG zwar geringer vergütet werden, aber der gesetzliche Mindestlohn ist im Durchschnitt für alle monatlich geleisteten und abzurechnenden Stunden zu zahlen. Dies ist anhand einer sogenannten Schattenabrechnung zu gewährleisten. Bei der Rufbereitschaft ist der Arbeitnehmer frei in der Wahl seines Aufenthaltsortes, er muss lediglich erreichbar sein und innerhalb einer bestimmten Zeitspanne die Arbeit aufnehmen können. Sie ist daher nicht zwingend zu vergüten. Die Vergütung von Wegezeiten entfällt für die Fahrt von der Wohnung zum Arbeitsplatz (steuerlicher Begriff: erste Tätigkeitsstätte).
Fahrten im Rahmen von Dienstreisen (steuerlicher Begriff: Auswärtstätigkeiten) sind zu vergüten, sofern Start oder Ziel dieser Fahrten an einem Ort innerhalb der Bundesrepublik Deutschland liegen. Die häufig im Zentrum von Streitigkeiten stehende Frage nach der Vergütung von Bereitschaftszeiten ist dagegen nicht Gegenstand der EuGH-Entscheidungen, denn dieser Aspekt ist nicht von der Regelungskompetenz der Europäischen Union abgedeckt. Daher gilt weiterhin, dass Bereitschaftsdienste zwar grundsätzlich zu vergüten sind.
Die Höhe der Entlohnung darf hierbei – sofern das Mindestlohngesetz (MiLoG) beachtet und der Arbeitnehmer nicht tatsächlich zur Arbeit herangezogen wird – unterhalb derjenigen von Vollarbeitszeit liegen. In ähnlicher Weise muss auch Rufbereitschaft angemessen vergütet werden. Am Ende entscheidet doch der Einzelfall. Insbesondere das Kriterium der „ganz erheblichen Beeinträchtigungen“ während der Bereitschaftszeit kann jedoch hilfreiche Impulse setzen und zur Abgrenzung im Einzelfall beitragen.
Diese Einzelfallentscheidung obliegt am Ende aber – wie es der EuGH zutreffend betont – immer den nationalen Gerichten. Eine einigermaßen verlässliche Prognose zum Ausgang einer Entscheidung ist folglich wohl nur in extremen Fällen von sehr kurzen, nur wenige Minuten betragenden Fristen zur Tätigkeitsaufnahme möglich.
Fazit
Die rechtssichere Unterscheidung der verschiedenen Ausprägungen von Bereitschaftszeiten ist notwendig, um den Arbeitnehmerschutz zu gewährleisten und die Vergütungspflicht durch den Arbeitgeber zu erfüllen
Raschid Bouabba, MCGB GmbH