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Im Blick: Arbeitsrecht

Lesezeit 14 Min.

Neues zum betrieblichen Eingliederungsmanagement und den Anforderungen an eine Zustellung mittels Einwurf-Einschreiben

Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2021 – 4 Sa 68/20

Ein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) erfordert unter anderem die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorgaben. Andernfalls sind krankheitsbedingte Kündigungen mangels eines ordnungsgemäßen BEM nicht rechtmäßig und halten einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand. Arbeitgeber müssen daher zwingend in der BEM-Einladung auf die notwendigen Datenschutzhinweise sowie auf die genaue Formulierung der Einwilligung achten. Zudem schafft das LAG Baden-Württemberg Rechtsklarheit hinsichtlich der Anforderungen an die in der Praxis gängige Zustellungsart mittels Einwurf-Einschreiben. Danach gilt bei Vorlage des Einlieferungsbelegs und des reproduzierten Auslieferungsbelegs ein Anscheinsbeweis für einen ordnungsgemäßen Zugang. Die Vorlage des bloßen „Sendestatuts“ genügt nicht.

Verortung des Urteils

Das Urteil bezieht sich auf zwei arbeitsrechtliche Dauerbrenner: die rechtmäßige Durchführung des BEM-Verfahrens und die nachweisbare Zustellung mittels Einwurf-Einschreiben.

Ersteres ist für Arbeitgeber von erheblichem Interesse, um Fehlzeiten zu reduzieren. Aber auch, wenn es um den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung geht, spielt das BEM-Verfahren eine maßgebliche Bedeutung. Denn ohne ein ordnungsgemäßes BEM-Verfahren halten krankheitsbedingte Kündigungen einer gerichtlichen Überprüfung in der Regel nicht stand. Dass hierbei auch die datenschutzrechtlichen Aspekte eine maßgebliche Rolle spielen, zeigt das genannte Urteil.

Zudem stellt das Urteil klar, welche Anforderungen Arbeitgeber einhalten müssen, wenn sie sich für eine Zustellung mittels Einwurf-Einschreiben entscheiden. Dies ist nicht nur bei der Zustellung von BEM-Einladungen, sondern insbesondere bei der Zustellung von Kündigungsschreiben von überragender Bedeutung. Aus Kostengründen setzen Arbeitgeber oftmals statt einer Zustellung durch Boten auf eine Zustellung per Einwurf-Einschreiben. Welche Risiken hierbei bestehen und wie sich diese vermeiden lassen, stellt das LAG klar.

Voraussetzung des § 167 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IX, eine über sechswöchige ununterbrochene oder wiederholte Arbeitsunfähigkeit innerhalb eines Jahres, lag vor. Der Arbeitgeber versandte ein BEM-Einladungsschreiben per Einwurf-Einschreiben an die Arbeitnehmerin, was diese bestritt.

Dem BEM-Einladungsschreiben lag eine „Datenschutzerklärung“ bei, mit der die Arbeitnehmerin aufgefordert wurde, in die Nutzung ihrer Gesundheitsdaten im Rahmen eines BEM einzuwilligen. Die datenschutzrechtliche Einwilligung sah auch vor, dass sich die Arbeitnehmerin nicht nur mit der „Erhebung“ und „Nutzung“ ihrer Gesundheitsdaten im BEM einverstanden erklären sollte, sondern darüber hinaus mit der „Bekanntmachung“ dieser Daten u. a. gegenüber ihrem „Vorgesetzten“ und der „Standortleitung“.

Die Arbeitnehmerin reagierte auf die BEM-Einladung nicht. Im Anschluss wurde der Arbeitnehmerin gekündigt. Hiergegen richtete sie ihre Klage.

Die Entscheidung

Die Klägerin gewann sowohl die erste als auch die zweite Instanz. Die Voraussetzungen für eine rechtmäßige, krankheitsbedingte Kündigung lagen – mangels eines ordnungsgemäß durchgeführten BEM-Verfahrens – nicht vor.

Zum einen fehlt es bereits an einem bewiesenen Zugang der BEM-Einladung. Ausschlaggebend war hierfür, dass der Arbeitgeber keinen Auslieferungsbeleg, sondern nur den „Sendungsstatus“ vorlegen konnte. Diesem war nur zu entnehmen, dass eine Sendung mit einer bestimmten Sendungsnummer an einem bestimmten Tag zugestellt worden ist. Aus dem Sendungsstatus geht aber weder der Name des Zustellers hervor, noch beinhaltet er eine reproduzierte Unterschrift des Zustellers, mit der dieser dokumentiert, die Sendung eingeworfen zu haben. Das LAG stellt klar, dass ohne diese konkreten Zustellungsnachweise ein bloßer Sendungsstatus nicht ausreicht, um einen Anscheinsbeweis der Zustellung zu begründen.

Zum anderen war die BEM-Einladung fehlerhaft, da wesentliche datenschutzrechtliche Aspekte von Arbeitgeberseite nicht beachtet wurden. Nach dem LAG kommt es nicht nur auf die Ordnungsgemäßheit der datenschutzrechtlichen Hinweise, sondern auch auf eine datenschutzkonforme Datenverarbeitung an sich an. Ohne dies ist das BEM nicht ordnungsgemäß.

Dies ergibt sich aus § 167 Abs. 2 S. 4 SGB IX, der den Arbeitgeber verpflichtet, Arbeitnehmer nicht nur über die Ziele des BEM, sondern auch über die Art und den Umfang der erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen.

In dem entschiedenen Fall ging die vorgesehene Einwilligung zu weit. Das LAG monierte, dass in der Datenschutzerklärung eine „Einwilligung“ auch dazu erlangt werden sollte, um Gesundheitsdaten gegenüber Personen zugänglich zu machen, die nicht an dem BEM-Verfahren teilnehmen. Die „Bekanntmachung“ von Gesundheitsdaten (v. a. Diagnosen) gegenüber nicht teilnehmenden Personen ist nicht erforderlich, um den Zweck des BEM zu erreichen. Auch wenn es sich dabei um Führungsmitarbeiter (z. B. Standortleiter) handelt. Allein die Bekanntgabe der Ergebnisse und etwaig zu beachtende Einschränkungen sind für eine Weiterbeschäftigung notwendig. Selbstverständlich hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, freiwillig entsprechende Führungsmitarbeiter zu informieren. Dies kann jedoch nicht durch eine pauschale Einwilligung erreicht werden. Aufgrund dieses datenschutzrechtlichen Verstoßes war die BEM-Einladung fehlerhaft, weshalb es für eine rechtmäßige Kündigung an einem ordnungsgemäß durchgeführten BEM-Verfahren fehlt.

Kurz erklärt

Das BEM ist für Unternehmen bei dem Ausspruch von krankheitsbedingten Kündigungen von zentraler Bedeutung. Dies, obwohl es keine gesetzlich vorgeschriebene Voraussetzung ist. Dennoch ist es gängige Praxis in der Rechtsprechung, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Kündigungen einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten, sollte kein ordnungsgemäßes BEM durchgeführt worden sein.

Für Arbeitgeber heißt das, dass die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung maßgeblich vom BEM-Verfahren abhängt. Ohne ein ordnungsgemäß durchgeführtes BEM-Verfahren haben Arbeitgeber in der Regel vor Gericht schlechte Karten. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) müssen Arbeitgeber ohne durchgeführtes BEM-Verfahren darlegen, warum ein BEM nutzlos gewesen wäre. Da es sich bei dem BEM um ein ergebnisoffenes Gespräch handelt, in dem gemeinsam eine Lösung gesucht werden soll, ist dies quasi kaum möglich.

Um die datenschutzrechtlichen Vorgaben einer BEM-Einladung einzuhalten, ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverarbeitung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes BEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer ist mitzuteilen, welche Krankheitsdaten i. S. v. Art. 9 Abs. 1 i. V. m. Art. 4 Nr. 15 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) erhoben und gespeichert werden sowie für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann von einem ordnungsgemäßen BEM ausgegangen werden.

Bei der Wahl der richtigen Zustellungsart stellt der Versand per Einwurf-Einschreiben eine gängige Praxis dar. In diesem Fall erhält der Absender einen Einlieferungsbeleg mit einer entsprechenden Sendungsnummer. Die Zustellung erfolgt per Einwurf mit der regulären Post in den Hausbriefkasten des Empfängers. Vor dem Einwurf des Schreibens entfernt der Postangestellte ein Etikett, das zur Identifizierung der Sendung dient, und klebt dieses auf einen Auslieferungsbeleg. Nach dem Einwurf des Schreibens in den Briefkasten unterzeichnet der Postangestellte unter Angabe von Datum und Uhrzeit den Auslieferungsbeleg. Anschließend wird der Auslieferungsbeleg eingescannt und kann von dem Absender für eine befristete Zeitspanne abgerufen werden. Dies sollten Arbeitgeber dringend tun, um die Sendungsnummer, das Datum und die Uhrzeit des Einwurfs sowie die Unterschrift des Postangestellten (reproduziert) in den Akten zu haben. Andernfalls kann eine Beweisführung in einem etwaigen gerichtlichen Verfahren schwierig werden.

Trotz der dargestellten Unsicherheiten einer Zustellung mittels Einwurf-Einschreibens sollten Arbeitgeber nicht auf ein Übergabe-Einschreiben oder ein Einschreiben mit Rückschein setzen. Der Empfänger ist nicht zur Annahme verpflichtet, sodass er den Zugang vereiteln bzw. bei Nichtantreffen erheblich verzögern kann, indem er die Sendung nicht von der Post abholt.

Praxistipp

Die datenschutzrechtlichen Vorgaben gewinnen an Bedeutung. Wichtig ist, dass Arbeitgeber hierauf ein besonderes Augenmerk legen, damit die datenschutzrechtlichen Regelungen nicht eine wirksame Beendigung entgegenstehen. Auch unabhängig von den datenschutzrechtlichen Aspekten müssen Arbeitgeber darauf achten, dass bei der Durchführung des BEM-Verfahrens die aktuellen Anforderungen der Rechtsprechung eingehalten werden.

Eine Zustellung, die nicht persönlich durch einen Boten des Arbeitgebers oder durch einen Kurier erfolgt, ist risikobehaftet! Setzen Arbeitgeber bei der Zustellung von Schreiben auf das Einwurf-Einschreiben statt auf einen Kurierdienst, ist dringend der Auslieferungsbeleg abzurufen und auszudrucken. Andernfalls besteht das Risiko, dass Arbeitgeber gerichtliche Verfahren bereits mangels nachweisbarer Zustellung verlieren. Insbesondere bei Kündigungsschreiben kann dies kritisch sein. Ein Bote bzw. Kurier übergibt entweder persönlich das Schreiben oder wirft das Schreiben in den Hausbriefkasten und fertigt einen entsprechenden Zustellungsvermerk an. Dies ist daher nach wie vor die rechtssicherste Form der Zustellung.

Keine Mindestlohnpflicht bei Vorpraktika

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 19.01.2022 – 5 AZR 217/21

Grundsätzlich findet auch auf Praktikanten das Mindestlohngesetz (MiLoG) Anwendung. Nicht jedoch auf alle. Für Pflichtpraktika, die aufgrund einer Studienordnung absolviert werden müssen, sieht das Gesetz eine Ausnahme vor. Diese Ausnahme gilt auch, wenn Praktikanten Pflichtpraktika absolvieren, um die hochschulrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für die Aufnahme eines Studiums zu erfüllen.

Verortung des Urteils

Seit dem Abschluss des Koalitionsvertrags 2021 ist der Mindestlohn wieder ein topaktuelles Thema. Das MiLoG gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ausnahmen gibt es jedoch

für Auszubildende, Langzeitarbeitslose und Praktikanten. Die entsprechende Regelung findet sich in § 22 MiLoG.

Das Gesetz sieht vor, dass Praktikanten als Arbeitnehmer gelten, es sei denn, es greift eine der vier gesetzlich genannten Ausnahmen. Diese liegen vor, wenn

  • ein Pflichtpraktikum nach einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung, einer hochschulrechtlichen Bestimmung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie geleistet wird,
  • ein Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums geleistet wird,
  • ein Praktikum von bis zu drei Monaten begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung geleistet wird, wenn nicht zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Ausbildenden bestanden hat, oder
  • ein Praktikum zur Einstiegsqualifizierung geleistet wird.

Der Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit des MiLoG. Die Klägerin hat in Vorbereitung zur Aufnahme eines Studiums der Humanmedizin an einer privaten, staatlich anerkannten Universität ein sechsmonatiges Praktikum im Bereich des Krankenpflegedienstes absolviert. Das Praktikum schrieb die Hochschulordnung der Universität als zwingende Voraussetzung zur Studienaufnahme vor.

Die Zahlung einer Vergütung wurde zwischen den Parteien nicht vereinbart. Nach Beendigung des Praktikums klagte die Klägerin auf den gesetzlichen Mindestlohn von (damals) 9,19 Euro brutto pro Stunde sowie auf Urlaubsabgeltung.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass das Vorpraktikum vor Aufnahme des Studiums kein Pflichtpraktikum im Sinne des MiLoG sei und daher die gesetzliche Ausnahme von der Vergütungspflicht nicht eingreife.

Die Entscheidung

Die Klägerin scheiterte mit ihrer Klage. Das Bundesarbeitsgericht stellte fest, dass die Beklagte nicht zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach § 1 i. V. m. § 22 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 MiLoG verpflichtet ist.

Die Klägerin unterfällt nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes. Nach Auffassung der Erfurter Richter umfasst die Ausnahmeregelungen für Praktikanten nach § 22 MiLoG nicht nur obligatorische Praktika während des Studiums, sondern auch solche, die in Studienordnungen als Voraussetzungen zur Aufnahme eines bestimmten Studiums verpflichtend vorgeschrieben sind. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung.

Dass es sich in dem entschiedenen Fall um die Studienordnung von einer privaten Universität handelt, ist ebenfalls irrelevant, da diese Universität staatlich anerkannt ist. Hierdurch ist die von der Hochschule erlassene Zugangsvoraussetzung im Ergebnis einer öffentlich-rechtlichen Regelung gleichgestellt und damit ist gewährleistet, dass durch das Praktikumserfordernis in der Studienordnung nicht der grundsätzlich bestehende Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für Praktikanten umgangen wird.

Kurz erklärt

Damit sich Arbeitgeber auf die fehlende Anwendbarkeit des MiLoG berufen können, muss es sich zwingend um ein Pflichtpraktikum handeln. Nur bei einem solchen besteht kein Anspruch auf den Mindestlohn oder die Zahlung einer angemessenen Vergütung.

Ein Pflichtpraktikum setzt voraus, dass dieses von der jeweiligen Studienordnung vorgeschrieben ist. Ob die Studienordnung dies während des Studiums, vor Beginn des Studiums (z. B. Voraussetzung zur Aufnahme eines Masterstudiums) oder kurz vor Beendigung des Studiums vorschreibt, ist unerheblich.

Wenn das Praktikum nicht durch eine Studienordnung vorgeschrieben ist, handelt es sich nicht um ein Pflichtpraktikum, sondern um ein freiwilliges Praktikum. Dies liegt beispielsweise vor, wenn Studenten Zeiten zwischen verschiedenen Studiengängen (zwischen Bachelor- und Masterstudium) überbrücken möchten. In diesem Fall findet das MiLoG Anwendung! Typischerweise sind bei der Gestaltung von Praktikumsverträgen folgende drei Risikofelder zu beachten:

1. Abgrenzung Praktikum – Arbeitsverhältnis

Es muss zwingend zwischen einem echten Praktikum und einem Arbeitsverhältnis (teilweise auch als „Scheinpraktikum“ getarnt) unterschieden werden. Ein Praktikum zeichnet sich dadurch aus, dass der Ausbildungscharakter und nicht die Arbeitsleistung des Praktikanten im Vordergrund steht. Die Abgrenzung kann insbesondere zu Werkstudenten im Einzelfall schwierig sein. Je mehr ein Praktikant einem Arbeitnehmer im Hinblick auf die rechtlichen Regelungen und die tatsächliche Vertragsdurchführung gleicht, desto eher wird ein Arbeitsverhältnis angenommen.

2. Vergütung

Ob eine Vergütung geschuldet wird, hängt von der Anwendbarkeit des MiLoG und des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) ab. Nur bei einem Pflichtpraktikum ist es möglich, gar keine Vergütung zu zahlen.

3. Sozialversicherungspflicht

Nur soweit es sich um ein „echtes“ Praktikum handelt, stellen sich keine sozialversicherungsrechtlichen Fragen.

Praxistipp

Praktikanten sind für Arbeitgeber ein verlockendes Instrument, um Kosten zu sparen. Es ist jedoch stets zu prüfen, ob es sich tatsächlich um ein Pflichtpraktikum im vorgenannten Sinne handelt, bei dem die Vergütungspflicht entfällt. Andernfalls handelt es sich oftmals um reguläre Arbeitnehmer.

Krank nach Eigenkündigung: Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert

BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21

Die hohe Beweiskraft einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann erschüttert sein, wenn ein Arbeitnehmer sich nach einer Eigenkündigung für die verbleibende Kündigungsfrist krankmeldet.

Verortung des Urteils

Eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, für die der Arbeitnehmer darlegungsverpflichtet ist. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen. D. h. grundsätzlich sind Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung verpflichtet, wenn Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Allerdings können bestimmte Umstände Zweifel an dem Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hervorrufen und diesen erschüttern. Dies war so, nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (im Gegensatz zu den Vorinstanzen), in dem entschiedenen Fall, in dem es einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Tag der Kündigung und der passgenauen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gab. Da Krankmeldungen im Zusammenhang mit Kündigungen in der Praxis regelmäßig vorkommen, hat das Urteil eine große Praxisrelevanz.

Der Sachverhalt

Die Parteien streiten über einen Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall. Die Arbeitnehmerin kündigte ihr Arbeitsverhältnis am 08.02.2019 mit Wirkung zum 22.02.2019 und meldete sich noch am gleichen Tag arbeitsunfähig krank. Sie legte dem Arbeitgeber eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, die exakt bis zum letzten Tag des Arbeitsverhältnisses ausgestellt war. Der Arbeitgeber hatte daraufhin Zweifel, dass die Arbeitnehmerin tatsächlich krank war, und verweigerte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Die Entscheidung

Die beiden Vorinstanzen gaben der Klägerin Recht. Das Bundesarbeitsgericht verneinte jedoch den Zahlungsanspruch des Arbeitgebers und begründet dies damit, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Zweifel am tatsächlichen Bestehen der Arbeitsunfähigkeit begründe.

In der Folge trug die Klägerin (wieder) die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung eines Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 3 Abs. 1 EFZG. Es wäre an ihr gewesen, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die die behauptete Erkrankung belegen.

Dies gelang der Klägerin nicht. Sie hatte lediglich pauschal ausgeführt, es habe ein „psychosomatischer Hintergrund“ bestanden. Sie sei im Einsatzbetrieb einem massiven Mobbing ausgesetzt gewesen, das zu Schlafstörungen und weiteren psychisch-körperlichen Beeinträchtigungen geführt habe und in absehbarer Zeit wahrscheinlich in ein Burn-out eingemündet wäre.

Die Klägerin hat aber keine näheren Angaben zur Intensität der von ihr geschilderten Schlafstörungen oder zur Art und vor allem der Schwere der weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen gemacht. Auch hat sie nicht vorgetragen, dass die Beschwerden im gesamten Klagezeitraum anhielten.

Damit fehlte es an einem substantiierten Vortrag zu den während des streitgegenständlichen Zeitraums konkret bestehenden gesundheitlichen Beschwerden und Einschränkungen, deren Intensität und ihren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit der Klägerin für die geschuldete Tätigkeit. Die Klägerin kam damit ihrer primären Darlegungslast zu einer im Klagezeitraum objektiv bestehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht nach.

Zur Beweisführung hätte die Klägerin beispielsweise die sie behandelnde Ärztin von der Schweigepflicht entbinden und als Zeugin benennen können. Dies unterließ sie jedoch, trotz eines entsprechenden Hinweises des Gerichts. Damit fehlten essenzielle Anspruchsvoraussetzungen.

Kurz erklärt

Aufgrund der hohen Beweiskraft einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist im Regelfall davon auszugehen, dass im bestätigten Zeitraum tatsächlich eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit besteht. Allerdings können bestimmte Umstände Zweifel begründen. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers begründen. Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, so tritt hinsichtlich der Darlegungsund Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen.

Hierzu ist ein substantiierter Vortrag z. B. dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden.

Der Arbeitnehmer muss also zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben. Soweit er sich für die Behauptung, aufgrund dieser Einschränkungen arbeitsunfähig gewesen zu sein, auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte beruft, ist dieser Beweisantritt nur ausreichend, wenn er die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbindet.

Praxistipp

Die Krankmeldung im Zusammenhang mit einer ausgesprochenen Kündigung ist in der Praxis ein durchaus gängiges Mittel. Oftmals lehnen sich Arbeitnehmer bei Vorlage einer entsprechenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entspannt zurück. Dass Arbeitgeber sich dies nicht gefallen lassen müssen, zeigt das dargestellte Urteil.

Dr. Michaela Felisiak, Rechtsanwältin, ADVANT Beiten

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