Work-Life-Balance : Vor allem ältere Mitarbeiter treiben die Revolution in der Arbeitswelt voran
Seit Beginn der COVID-19-Pandemie sind die eigenen vier Wände für viele Mitarbeiter zum regulären Arbeitsort geworden.

Dem Branchenverband Bitkom zufolge arbeitet fast jeder zweite Deutsche mittlerweile vollständig oder teilweise im Homeoffice. Von der neuen Flexibilität profitieren vor allem Familien, da sich die Kinderbetreuung auf diese Weise weitgehend in den Arbeitstag integrieren lässt. Und auch wenn die Corona-Pandemie überstanden ist, wird sich dieser Trend fortsetzen: Der Bitkom schätzt, dass dann mehr als jeder dritte Büroangestellte (35 Prozent) den Arbeitsort flexibel wählen wird. Das entspricht 14,7 Millionen Berufstätigen. 3,2 Millionen (8 Prozent) werden ausschließlich und weitere 11,5 Millionen (27 Prozent) teilweise im Homeoffice arbeiten.

Remote Work: Babyboomer versus Gen Z
Am beliebtesten sind die neuen flexiblen Arbeitszeiten bei den über 40-Jährigen. Der klassische „Nine-to-Five-Job“ ist für sie nicht länger die einzige Option. Für die Generation X, also die von 1965 bis Anfang der 1980er Jahre Geborenen, sowie für die 1964 und früher geborenen „Babyboomer“ galt lange Zeit das Prinzip „first in – last out“. Heute sind sie die glühendsten Verfechter der sogenannten Work-Life-Balance. Während lange Arbeitszeiten und wenig Urlaub früher als Beweis für die Loyalität zum Unternehmen gewertet wurden, bedauern es die Babyboomer heute, ihrem Job lange Zeit Vorrang vor der Familie gegeben zu haben. Auch die Präsenz im Büro sollte ihrer Meinung nach nicht mehr Pflicht sein, wenn es auch anders geht. Die Pandemie, die aufgrund der Doppelbelastung durch Arbeit und Homeschooling und der Betreuung kranker Familienmitglieder vielerorts zu Stress und Burnout geführt hat, hat ein fundamentales Umdenken in Gang gesetzt. Gerade Menschen, die Kinder großziehen, ihre Eltern pflegen oder ihre Karriere bereits in Richtung Ruhestand ausklingen lassen, haben die großen Vorteile des flexiblen Arbeitens erkannt und geben diese nicht kampflos auf. Damit setzen vor allem die über 50-Jährigen ihre Arbeitgeber unter Druck. Denn sie verfügen über die Fähigkeiten, das Wissen und die Erfahrung, die für Unternehmen unerlässlich sind.
Jobeinsteiger dagegen, die gerade erst von der Uni kommen oder noch relativ am Anfang ihrer Karriere stehen, haben meist einen holprigen Start hinter sich. Seit Beginn der Corona-Pandemie werden sie in der Regel remote eingearbeitet und haben kaum jemanden aus ihrem Unternehmen persönlich kennengelernt. Die Kultur und die Strukturen des Unternehmens sind ihnen noch fremd, und sie fühlen sich verloren, wenn sie sich nicht direkt an Kollegen wenden können. Gerade für die jüngeren Beschäftigten ist eine enge Zusammenarbeit mit erfahrenen Kollegen zudem enorm wichtig, um auf deren Wissen und Fähigkeiten aufbauen zu können. Vor diesem Hintergrund befürchtet laut einer aktuellen Studie von Censuswide im Auftrag von LinkedIn jeder Zweite in dieser Altersgruppe (50 Prozent), dass sich das Arbeiten im Homeoffice negative auf die Karriere auswirken könnte, weil dadurch der Kontakt zu den Vorgesetzten und Kollegen eingeschränkt ist. Die älteren Generationen teilen diese Sorge dagegen kaum.

Aus diesen Gründen wünschen sich die Beschäftigten in der Altersgruppe von 16 bis 24 Jahren, die sogenannte Generation Z, mehrheitlich eine Rückkehr ins Büro. Sie wollen näher „dran“ sein, um ein Gefühl der Loyalität gegenüber ihrem Unternehmen entwickeln zu können.
Gezielte Nutzung von Mitarbeiterdaten
Was aber können Unternehmen tun, um die unterschiedlichen Erwartungen, Einstellungen und Sorgen ihrer Mitarbeiter beim Thema Homeoffice in Einklang zu bringen? Hier leisten kontinuierliche Mitarbeiterbefragungen wertvolle Dienste. Heutige HR-Systeme enthalten alle wesentlichen Daten, um die Stimmung in der Belegschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt zu ermitteln. Und solche Erkenntnisse sind derzeit wichtiger, denn je zuvor. Denn nur damit können Unternehmen auf die Bedürfnisse ihrer Beschäftigten gezielt eingehen und ihnen bei Bedarf flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice gewähren. Mitarbeiter, denen solche mittlerweile fast selbstverständlichen Zugeständnisse verwehrt bleiben, werden sich einen neuen Arbeitgeber suchen, der offener für die neuen Trends in der Arbeitswelt ist.
Homeoffice, kleinere Büros, Gig Economy
Auch wenn mittlerweile der Ruf nach einer Rückkehr ins Büro lauter geworden ist: Remote Work wird uns erhalten bleiben. Das „Experiment“, von zu Hause auszuarbeiten, ist grundsätzlich geglückt, hat jedoch neben seinen Vorteilen auch Herausforderungen für Beschäftigte und Arbeitgeber aufgezeigt. Unter anderem wird sich das zunehmend flexible Arbeiten auch auf den Markt für Büroimmobilen auswirken. Co-Working in anmietbaren Büroflächen scheint auf den ersten Blick auf dem Vormarsch zu sein. Doch bereits jetzt geht der Trend zu weniger „Face-to-Face“-Meetings. Der Großteil der täglichen Arbeit findet virtuell statt. Immer mehr Unternehmen verkleinern bereits ihre teuren Büroflächen oder sehen sich nach neuen Räumlichkeiten um. Laut einer Analyse von German Property Partners (GPP), einem Netzwerk lokaler Gewerbeimmobilien-Dienstleister in Deutschland, sank der Flächenumsatz bei der Vermietung von Büroimmobilien in den deutschen Top-7-Städten bereits im dritten Quartal 2020 gegenüber dem Vorjahresquartal um 41 Prozent und bewegte sich im ersten Halbjahr 2021 weiterhin deutlich unter dem Fünf-Jahres-Mittel. Die zunehmende Digitalisierung führt dazu, dass die Anwesenheit der Teams am Unternehmensstandort immer seltener erforderlich ist.

Durch die zunehmende Integration von automatisierten Tools, Cloud-Anwendungen und Cloud-Workspaces können die Mitarbeiter heute je nach Bedarf flexible von zu Hause aus oder im Büro arbeiten.
Wenn weder die Arbeitszeit noch der Arbeitsort vorgegeben ist, eröffnen sich aber auch den Arbeitgebern neue Möglichkeiten. Sie haben auf einmal Zugriff auf eine große Zahl an Fachkräften außerhalb von Ballungszentren oder im Ausland, mit ganz unterschiedlichen Kosten und Arbeitsmodellen. Mittlerweile denken einige Personaler sogar schon darüber nach, bevorzugt Mitarbeiter aus Gegenden einzustellen, in denen die Miet- und Immobilienpreise niedriger sind, da sie dann auch nicht so hohe Gehälter zahlen müssen. Denn mit den digitalen Collaboration-Tools kann die Arbeit heute überall erledigt werden. Zusätzliche Munition erhalten solche Ansätze durch die Zunahme von befristeten Aufträgen, sogenannten Gigs. Im Extremfall verfügen die „Digitalnomaden“ über keinen festen Wohnsitz, sondern wählen ihren Wohn- und Arbeitsort frei nach individuellen Kriterien aus.
Sudhir Mitter, Deputy Country Lead DACH bei Alight Solutions