Aktuelles aus dem Arbeitsrecht
Crowdworker ist kein Arbeitnehmer
LAG München, Urteil vom 04.12.2019 – 8 Sa 146/19 (anhängig BAG, 9 AZR 102/20)
Eine Basisvereinbarung eines Crowdworkers, mit der er berechtigt ist, innerhalb eines bestimmten Kilometerkreises auf einer App angezeigte Aufträge anzunehmen, ist kein Arbeitsvertrag. Vielmehr ist dies eine Rahmenvereinbarung für die erst noch abzuschließenden Einzelverträge.
Sachverhalt:
Crowdworking-Modelle sind eine neue Arbeitsform, die die Digitalisierung mit sich gebracht hat. Rechtlich geht es dabei um die Abgrenzung zwischen einer selbständigen Tätigkeit und einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) München hatte über den Arbeitnehmerstatus eines Crowdworkers zu entscheiden. Die Beklagte war ein „Crowdsourcing“-Unternehmen. Dieses bietet seinen Kunden (z. B. Supermarktketten, Tankstellen etc.) unter anderem an, mit Hilfe von einer Vielzahl sogenannter „Crowdworker“ flächendeckende Kontrollen der Warenpräsentation durchzuführen. Hierdurch können deutschlandweit Testkäufe in allen Filialen durchgeführt werden.
Das System von „Crowdworking“ funktioniert über die Zurverfügungstellung einer Kommunikationsplattform. Dies kann – wie in dem entschiedenen Fall – eine App sein, aber auch eine Internetplattform. Interessierte Kunden können Aufträge über diese Internetplattform ausschreiben, welche den Nutzern der App – den sogenannten „Crowdworkern“ – angeboten werden. Eine Pflicht zur Annahme von Aufträgen besteht nicht.
Vertraglich bestand zwischen dem Kläger und der Beklagten eine „Basisvereinbarung“. Diese berechtigt den Kläger dazu, auf der Plattform angebotene und verfügbare Kundenaufträge jederzeit verbindlich per App anzunehmen. Weiter war vereinbart, dass der Kläger eine Vergütung nur bei vollständiger und korrekter Durchführung des angenommen Auftrags erhalten soll. Konkrete Angaben zur Vergütung gab es in der „Basisvereinbarung“ nicht. Weiter war der Kläger grundsätzlich weder gehalten den Auftrag persönlich durchzuführen, noch musste er örtliche oder zeitliche Vorgaben einhalten.
Dennoch nahm er sehr viele Aufträge an und arbeitete ca. 15 bis 20 Stunden pro Woche in dieser Form. Hierdurch erzielte er ca. 60 Prozent seines Einkommens. Mit E-Mail vom 10.04.2018 erklärte die Beklagte dem Kläger gegenüber, dass sie ihm zukünftig keine Aufträge mehr anbiete und seinen Crowdworker-Account deaktiviere. Hiergegen wandte sich der Kläger mit einer Klage auf Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses.
Entscheidung:
Die Klage blieb über zwei Instanzen erfolglos. Weder das Arbeitsgericht München noch das Landesarbeitsgericht München sahen die Voraussetzungen für die Begründung eines Arbeitsverhältnisses als gegeben an und urteilten, dass der Crowdworker kein Arbeitnehmer ist.
Das Landesarbeitsgericht München stellte dabei fest, dass es sich bei der Basisvereinbarung lediglich um einen Rahmen- und keinen Arbeitsvertrag handelt. Unter Hinweis auf die Definition in § 611a Abs. 1 BGB verwies es darauf, dass die Voraussetzungen eines Arbeitsvertrags nicht vorlägen. Aus der Basisvereinbarung ergäbe sich keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung und keine persönliche Abhängigkeit hinsichtlich Zeit, Ort und Inhalt. Vielmehr steht es dem Kläger nach der Basisvereinbarung frei, ob er die angebotenen Aufträge annehmen möchte oder nicht.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der tatsächlichen Durchführung oder dem Umstand, dass der Kläger einen erheblichen Teil seines Lebensunterhalts als Crowdworker verdiente.
Konsequenzen für die Praxis:
Die Rechtsprechung musste sich bislang kaum mit dem rechtlichen Status von Crowdworkern beschäftigen. Angesichts der steigenden Relevanz neuer Formen des flexiblen Drittpersonaleinsatzes und der damit verbundenen Vorteile für Unternehmen darf man deshalb gespannt sein, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) den Status von Crowdworkern bewertet.
Auch das Geschäftsmodell von Uber, dem Anbieter von Fahrdiensten, wird in diesem Zusammenhang diskutiert. Uber bietet – ebenso wie die Beklagte in dem vorgenannten Fall – interessierten Fahrern (= Crowdworkern) die Möglichkeit, mittels App Personenbeförderungsaufträge entgegenzunehmen und mit eigenem Fahrzeug abzuarbeiten. Die technische Abwicklung erfolgt dabei ausschließlich über die von Uber bereitgestellte App.
In diesen und ähnlichen Konstellationen kann die Argumentation des LAG München, nach der es maßgeblich auf die Möglichkeit ankommt, dass die Annahme von Aufträgen dem Crowdworker freigestellt wird, relevant werden. Dies lässt sich jedoch nicht pauschal auf alle Crowdworking-Konstellationen übertragen. Vielfach wird über ein Bewertungssystem Druck auf die Crowdworker ausgeübt, sodass man an der Freiwilligkeit zweifeln kann.
Good to know:
Crowdworker gelten in der Regel als Solo-Selbständige.
Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses setzt stets voraus, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gegenüber zur Verrichtung seiner Arbeitsleistung verpflichtet ist.
Maßgeblich ist hierfür die Frage der Weisungsgebundenheit. Die Weisungsgebundenheit bezieht sich bei Arbeitnehmern auf die Zeit, den Ort und den Inhalt des Arbeitsverhältnisses.
Auch spielt die Frage der betrieblichen Eingliederung eine Rolle, selbst wenn diese bei Formen der mobilen Tätigkeit typischerweise weniger stark ausgeprägt ist als bei stationären Arbeitsverhältnissen.
Für Betreiber von Kommunikationsplattformen ist die rechtliche Qualifizierung mit Blick auf die zu zahlenden Sozialversicherungsabgaben und die etwaigen arbeitsrechtlichen Ansprüche von elementarer Bedeutung.
Praxistipp:
Um Risiken, die bei dem „versehentlichen“ Abschluss eines Arbeitsvertrags mit einem Crowdworker entstehen könnten, auszuschließen, sollten Crowdworking-Unternehmen in der Vertragsgestaltung streng darauf achten, dass die Crowdworker weder einer rechtlichen Verpflichtung zum Einsatz noch einem Weisungsrecht unterliegen.
Sachgrundbefristung – Grundsätze zur Befristung bei Projektarbeit
BAG, Urteil vom 21.08.2019 – 7 AZR 572/17
Nach dem BAG kann ein vorübergehender Beschäftigungsbedarf die Befristung von Arbeitsverträgen rechtfertigen, wenn für die Erledigung eines zeitlich begrenzten Projekts das vorhandene Stammpersonal nicht ausreicht. Voraussetzung ist dafür, dass die im Rahmen des Projekts anfallenden Zusatzaufgaben lediglich vorübergehender Natur sind.
Sachverhalt:
Die Klägerin arbeitete im Jahr 2013 bereits für einige Monate befristet bei dem Beklagten, dem Freistaat Thüringen. Für die Zeit vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2014 stellte der Beklagte die Klägerin erneut als Teilzeitkraft ein. Der befristete Arbeitsvertrag wurde dreimal verlängert, letztmalig mit Änderungsvertrag vom 21.10.2015 bis zum 31.12.2015.
Der Beklagte setzte die Klägerin im Thüringer Landesverwaltungsamt ein, wo diese ausschließlich Verwaltungsaufgaben im Zusammenhang mit Fördermaßnahmen bearbeitete. Die Fördermaßnahmen basierten auf einer bis zum 31.12.2015 befristeten Richtlinie des Landwirtschaftsministeriums. Danach endete die Förderperiode bereits am 31.12.2013. Eine nachfolgende Übergangsregelung führte jedoch noch zu einer Auszahlung von Restmitteln in Höhe von 3,4 Millionen Euro. Durch Mitteilung des Landwirtschaftsministeriums wurde das Landesverwaltungsamt darauf hingewiesen, dass alle Vorhaben aus der abgelaufenen Förderperiode spätestens bis zum 31.12.2015 abgeschlossen sein müssten.
Mit ihrer Klage griff die Klägerin erstinstanzlich erfolgreich die Befristung ihres Arbeitsvertrags mit einer Entfristungsklage an. Das Berufungsgericht erachtete die Befristung dagegen als wirksam und wies die Klage ab.
Entscheidung:
Das BAG gab der Klägerin Recht und stellte fest, dass die vorliegenden Tatsachen eine wirksame Befristung des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.12.2015 nicht rechtfertigen. Die Klage war jedoch nur deshalb erfolgreich, weil es dem Beklagten nicht gelang, die Voraussetzungen eines nur vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs der Klägerin hinreichend darzulegen.
In diesem Zusammenhang äußerte sich das BAG zur Wirksamkeit von Befristungen nach dem Teilzeitbefristungsgesetz (TzBfG) bei Tätigkeiten in Projekten. Vorliegend ging es um den Befristungsgrund „vorübergehender Bedarf“ nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG.
Maßgebliche Voraussetzung ist hierfür, dass kein dauerhafter Bedarf an dem Arbeitnehmer besteht. Der Sachgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG ist nur gegeben, wenn es sich bei den im Rahmen des Projekts zu bewältigenden Aufgaben um eine auf vorübergehende Dauer angelegte und gegenüber den Daueraufgaben des Arbeitgebers abgrenzbare Zusatzaufgabe handelt.
D. h. ein solcher Befristungsgrund liegt nur vor, wenn das vorhandene Stammpersonal für die Erledigung der Zusatzaufgaben nicht ausreicht und wenn es sich lediglich um einen vorübergehenden Beschäftigungsbedarf handelt.
Zur Beurteilung des Kriteriums „lediglich vorübergehender Bedarf“ wird auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abgestellt. Zu diesem Zeitpunkt muss der Arbeitgeber mit hinreichender Sicherheit erwarten können, dass kein dauerhafter Bedarf an der Beschäftigung des Arbeitnehmers besteht. Dies hat der Arbeitgeber im Rahmen einer auf konkreten Anhaltspunkten basierenden Prognose zu prüfen und gegebenenfalls im Prozess dazulegen.
Das BAG nimmt weiter eine Abgrenzung zwischen Daueraufgaben und Zusatzaufgaben vor. Danach zeichnen sich Daueraufgaben dadurch aus, dass sie beim Arbeitgeber ständig und im Wesentlichen unverändert anfallen. Zusatzaufgaben sind dagegen nur für eine begrenzte Zeit auszuführen und rechtfertigen keine langfristige Personalplanung.
Grundsätzlich spricht es für die Annahme von Zusatzaufgaben, so das BAG, dass ein Dritter dem Arbeitgeber für die Durchführung eines Projekts finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Ausnahmsweise könne jedoch auch die Durchführung temporärer Projekte zu den Daueraufgaben des Arbeitgebers zählen, wenn die dabei anfallenden Tätigkeiten im Hinblick auf den vom Arbeitgeber verfolgten Betriebszweck ihrer Art nach regelmäßig zu erledigen sind.
Im Bereich des öffentlichen Dienstes wird bei der Abgrenzungsfrage zwischen Dauer- und Zusatzaufgabe nicht nur auf die Aufgaben eines bestimmten Referats, sondern auf die Aufgaben der gesamten Behörde abgestellt.
Aus Sicht des BAG konnte die Beklagte nicht darlegen, dass es sich bei den von der Klägerin ausgeübten Verwaltungstätigkeiten im Rahmen der Förderprojekte um Zusatzaufgaben handelte. Insbesondere sei nicht auszuschließen, dass derartige Verwaltungsaufgaben im Thüringer Landesverwaltungsamt im Rahmen sonstiger Förderprogramme kontinuierlich weiterhin anfallen.
Konsequenzen für die Praxis:
Mit der Entscheidung hält das BAG an seinen strengen Grundsätzen zur Sachgrundbefristung wegen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs bei Projektanstellungen fest. Das Urteil zeigt zum einen die hohen Anforderungen, die an die vom Arbeitgeber anzustellende Prognose gestellt werden, und demonstriert zum anderen die Relevanz einer sauberen Abgrenzung von vorübergehenden Zusatzaufgaben gegenüber Daueraufgaben des Arbeitgebers.
Die Abgrenzung zwischen Dauer- und Zusatzaufgaben kann in der Praxis schwierig sein.
Die Zuordnung einer Tätigkeit als Daueraufgabe ergibt sich nicht allein aus dem Umstand, dass ein Arbeitgeber regelmäßig Projekte durchführt. Entscheidend ist vielmehr, ob die Tätigkeit im Rahmen des Betriebszwecks ihrer Art nach im Wesentlichen unverändert und dauerhaft anfällt oder ob sie entweder nur unregelmäßig ausgeführt werden muss oder mit unvorhersehbaren besonderen Anforderungen auch in Bezug auf die Qualifikation des benötigten Personals verbunden ist. Eine künstliche Aufteilung von Daueraufgaben in „Projekte“ ist nach Rechtsprechung des BAG nicht erfolgreich (BAG, Urteil vom 23.01.2019 – 7 AZR 212/17).
Unerheblich ist bei der Bewertung auch, ob nach dem geplanten Ende des Projekts eine anderweitige Einsatzmöglichkeit für den Mitarbeiter (z. B. in anderen Projekten) vorhanden ist oder nicht.
Good to know:
Ein für die Sachbefristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG erforderlicher vorübergehender Beschäftigungsbedarf kann z. B. gestützt werden auf:
- einen vorübergehenden Anstieg des Arbeitsvolumens im Bereich der Daueraufgaben des Arbeitgebers; hier muss der Arbeitgeber darlegen, aufgrund welcher Umstände bei Vertragsschluss davon auszugehen war, dass künftig nach Ablauf der geplanten Befristung das zu erwartende Arbeitsvolumen mit dem vorhandenen Stammpersonal wird erledigt werden können;
- Zusatzaufgaben, die nur für eine begrenzte Zeit durchzuführen sind und keinen auf längere Zeit planbaren Personalbedarf mit sich bringen;
- einen vorübergehenden Arbeitskräftebedarf, der daraus resultiert, dass eine in einem befristeten oder gekündigten Arbeitsverhältnis begonnene Aufgabe sinnvoll abgeschlossen oder ein Betrieb bis zur Stilllegung aufrechterhalten werden soll (sog. Abwicklungsarbeiten).
Praxistipp:
Beabsichtigt ein Arbeitgeber eine befristete Einstellung zur Durchführung eines bestimmten Projekts, so sollte er sein Augenmerk auf die mögliche Dauerhaftigkeit des Arbeitsanfalls legen. Das Ergebnis dieser Prognose wird regelmäßig davon abhängen, ob die im Rahmen des Projekts auszuführende Tätigkeit tatsächlich nur eine vorübergehende Zusatzaufgabe oder eine Daueraufgabe darstellt. Abzustellen ist somit nicht nur auf die vorübergehende Dauer des Projekts, sondern auf die konkrete Tätigkeit im Rahmen der Projektbeschäftigung
Das war nur Spass“ – fristlose Kündigung wegen ausländerfreindlicher WhatsApp-Nachricht hält LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 05.08.2019 – 17 Sa 3/19
Die Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung sind hoch. Bislang gibt es eine gefestigte Rechtsprechung zur Vertraulichkeit von Äußerungen gegenüber Arbeitskollegen. Nach dem LAG Baden-Württemberg kann sich ein Arbeitnehmer nicht in jedem denkbaren Fall auf die Vertraulichkeit eines WhatsApp-Chats verlassen, sondern nur dann, wenn wechselseitig kommuniziert wird.
Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Der gekündigte Kläger ist 47 Jahre alt und schwerbehindert. Er arbeitete seit 1996 bei der Beklagten. Am 15. und am 17.03.2018 verschickte der Kläger während der Arbeitszeit rassistische Bild- und Tondateien via WhatsApp an einen türkischen Kollegen muslimischen Glaubens.
Am 27.03.2018 fand ein Gespräch mit dem Teamleiter statt, an dem u. a. der Kläger und der Empfänger der WhatsApp-Nachricht teilnahmen. Inhaltlich ging es hierbei um die zu geringe Arbeitsleistung des Teams. Im Anschluss an das Gespräch sandte der Kläger dem Kollegen, den er schon vorher beleidigt hatte, eine weitere WhatsApp-Nachricht in Form einer Sprachnachricht. Auch hierin warf er ihm Denunziation vor und bezeichnete ihn abermals als „Arschloch“. Daraufhin benachrichtigte der Betroffene am 28.03.2018 den Teamleiter und informierte ihn über die fortlaufend beleidigenden WhatsApp-Nachrichten des Klägers.
Dies war der Auslöser für interne Ermittlungen, welche am 04.05.2018 mit einem Abschlussbericht endeten. Der Kläger wurde daraufhin von der Personalabteilung am 08.05.2018 mit den Vorwürfen konfrontiert. Hierbei gab er an, dass die Inhalte der Nachrichten humorvoll gemeint waren und der türkische Kollege um ein Zusenden derartiger Inhalte gebeten habe.
Die Beklagte stellte den Kläger anschließend frei. Dieser teilte kurz darauf schriftlich mit, dass er sein Verhalten bereue und entschuldigte sich bei seinem türkischen Kollegen. Nichtsdestotrotz kündigte die Beklagte nach ordnungsgemäßer Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung, des Integrationsamts sowie des Betriebsrats das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich.
Entscheidung:
Mit seiner Kündigungsschutzklage unterlag der Kläger in erster Instanz. Der Kläger blieb auch in der Berufungsinstanz ohne Erfolg. Nach Ansicht des LAG Baden-Württemberg beinhalten die rassistischen WhatsApp-Nachrichten derart grobe Beleidigungen, dass eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt gewesen sei.
So stellen die vorgefallenen rassistischen Beleidigungen seitens des Klägers zunächst einen wichtigen Grund an sich dar. Die Nachrichteninhalte seien als herabwürdigende Schmähkritik zu qualifizieren und folglich nicht als Satire von der Meinungsfreiheit gedeckt gewesen. Ferner entlaste den Kläger nicht der Umstand, dass dieser eine aus seiner Sicht lediglich satirisch gemeinte WhatsApp-Nachricht kommentarlos an den türkischen Kollegen weitergeleitet hatte. Dies liegt daran, dass er sich nicht vom Inhalt distanziert, sondern sich diesen zu eigen gemacht habe. Überdies sei es dem Kläger nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass der türkische Kollege entgegen dessen Behauptungen tatsächlich die Übersendung solcher Bild- und Tondateien wünschte. Da die Nachrichten stets einseitig und ohne Einverständnis des Empfängers verschickt wurden, könne sich der Kläger auch nicht auf eine etwaige Vertraulichkeit berufen.
Auch die vom Gericht angestellte Interessenabwägung fiel zu Lasten des Klägers aus. Dessen Verfehlungen würden trotz der langen beanstandungsfreien Beschäftigung und der Schwerbehinderung des Klägers derart schwer wiegen, dass eine außerordentliche Kündigung verhältnismäßig ist. Insbesondere spreche gegen den Kläger, dass keine seiner Nachrichten das Ergebnis einer spontanen Auseinandersetzung oder einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz war.
Schließlich hatte die Beklagte auch die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist eingehalten.
Konsequenzen für die Praxis:
Interessant ist für die Praxis, dass die außerordentliche Kündigung trotz der hohen Hürden einer gerichtlichen Überprüfung standhielt.
Nach § 626 BGB kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Es handelt sich also um absolute Ausnahmefälle.
In einer Vielzahl von ähnlich gelagerten Fällen scheiterten außerordentliche Kündigungen wegen rassistischer oder ausländerfeindlicher Bemerkungen u. a. an dem fehlenden Bezug zum Arbeitsverhältnis oder dem Vorrang einer Abmahnung.
Die öffentliche Wahrnehmung von rechtsradikalen Äußerungen spielt bei der juristischen Bewertung eine große Rolle. WhatsApp-Chats galten dabei bis jetzt aufgrund des geschlossenen Personenkreises als geschützte Umgebung. Dass man sich aber nicht in jedem Fall auf den Vertrauensbereich einer WhatsApp-Nachricht verlassen kann, zeigt das Urteil zu Recht.
Good to know:
Ausschlussfrist: Ist eine außerordentliche Kündigung geplant, ist Eile geboten. Nach § 626 II 1 BGB kann die Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen, nachdem der Arbeitgeber von dem Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat, erfolgen. Die Frist beginnt jedoch erst, wenn der Sachverhalt der zum Ausspruch der Kündigung berechtigten Person bekannt ist. Innerhalb dieser zwei Wochen muss gegebenenfalls auch der Betriebsrat nach Maßgabe des § 102 BetrVG angehört werden.
Außerbetriebliches Verhalten: Bei Verhalten außerhalb des Betriebs (z. B. auf Facebook, in WhatsApp-Chats etc.) handelt es sich in erster Linie um das „Privatvergnügen“ des Arbeitnehmers. Ein solches außerdienstliches Verhalten kann dann den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen, wenn das außerdienstliche Verhalten negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat und dadurch berechtigte Interessen des Arbeitgebers verletzt werden.
Meinungsfreiheit: Soweit eine Äußerung von der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) gedeckt ist, liegt vermutlich kein Kündigungsgrund vor. Selbst polemische und beleidigende Werturteile oder rechtsextremistische Äußerungen können in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen. Hierbei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an.
Vorrang der Abmahnung: Grundsätzlich geht die Abmahnung als milderes Mittel einer verhaltensbedingten Kündigung vor. Einer solchen bedarf es nur im Ausnahmefall nicht. Wichtig: Wurde wegen einer Pflichtverletzung bereits eine Abmahnung ausgesprochen, kann aufgrund ein- und desselben Lebenssachverhalts nicht auch noch eine (außerordentliche) Kündigung erklärt werden. Durch den Ausspruch der Abmahnung ist der Kündigungsgrund „verbraucht“. Es ist nur dann möglich, dem Arbeitnehmer zu kündigen, wenn er nach Ausspruch der Abmahnung erneut eine Pflichtverletzung begeht.
Praxistipp:
Die Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung bleiben hoch. Dennoch kennen Gerichte gerade bei rassistischen Äußerungen keinen Spaß.
Dr. Michaela Felisiak und Jonas Türkis, wissenschaftlicher Mitarbeiter, auch Beiten Burkhardt