Das Sozialpartnermodell : Die unendliche Geschichte
Während die Welt in der viralen Apokalypse liegt, erlebt die Altersversorgung eine Evolution. Die Anbieter sind in Zeiten der Verbraucherstärke und der Digitalisierung auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen. Zugleich erfolgt schrittweise die Umsetzung der neuen bAV-Regelungen des Betriebsrentenstärkungsgesetzes. Folgender Beitrag will Ihnen den aktuellen Sachstand aufzeigen.

Reform des Betriebsrentengesetzes
Im Betriebsrentenreformgesetz, dessen Entwurf bereits seit 2016 vorliegt und im Juni 2017 beschlossen wurde, gibt es etliche Veränderungen.
Das Sozialpartnermodell:
Eine betriebliche Rente als sogenannter 6. Durchführungsweg, der gänzlich von den Tarifparteien als reine Beitragszusage („Tarifrente“ ohne Garantien für den Arbeitnehmer als sogenannte „Wunsch- oder Zielrente“) ausgestaltet wird und als Referenz bzw. durch Allgemeinverbindlichkeit für eine Vielzahl vor allem Klein- und mittelständischer Unternehmen (zwangsweise) gelten wird. Außerdem darf ein Opting-out-Verfahren vereinbart werden. Sofern der Arbeitgeber Sozialbeiträge spart, muss er 15 Prozent des Umwandlungsbetrags (als Pauschale oder den individuell errechneten Sparbetrag) an den Arbeitnehmer bzw. die Versorgungseinrichtung weiterreichen. Zusätzlich darf ein Sicherungsbeitrag zwecks Haftungsfreistellung erhoben werden.
Übersetzt heißt das:
- Wer künftig keine (rechtskonforme) betriebliche Altersversorgung (bAV) im Betrieb hat, kann als Arbeitgeber ggf. durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung in einem Branchentarifvertrag in ein Versorgungswerk („gemeinsame Einrichtung“) gezwungen werden. • Diese Einrichtung organisieren die Tarifvertragsparteien.
- Nachteil: Der Arbeitgeber kann sich keinen optimalen Anbieter/Durchführungsweg mehr aussuchen, dafür erspart er sich teilweise Haftungsprobleme.
- Das heißt auch ein Prüfstand für bestehende Verträge und Regelungen!
Hinweis: Seit 2019 müssen bei allen neuen Entgeltumwandlungen 15 Prozent Arbeitgeberzuschuss sein, wenn Sozialabgaben gespart werden. Ab 2022 gilt dies auch für Altverträge. Arbeitgeber sollten Versorgungskonzepte neu aufstellen und auch Zuschüsse neu bewerten, um den gesetzlichen Anforderungen künftig gerecht zu werden.
Aktuelle Bewegung
Der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, forderte die Sozialpartner mehrfach auf, endlich die Vorgaben des Gesetzgebers mit Leben zu füllen: „Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat an die Sozialpartner appelliert, das neue Instrumente im Sinne der Beschäftigten zu nutzen. Die Beteiligten begrüßten den Vorschlag des Ministers, für interessierte Sozialpartner ein Forum im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) einzurichten, in den bereichsübergreifenden Fachfragen zum Sozialpartnermodell erörtert und bisherige Erfahrungen ausgetauscht werden sollen. Wegen der engen fachlichen Zusammenhänge werden auch Vertreter des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu Gesprächen ins BMAS eingeladen.“ (aus der Pressemeldung des BMAS).

Pilotbranche im Fokus
Der Einzelhandel umfasst etwa 400.000 selbständige Unternehmen mit knapp 3 Millionen Beschäftigten und jährlich über 420 Milliarden Euro Umsatz. Die Branche ist mittelständisch geprägt, denn 98 Prozent der Handelsunternehmen beschäftigen weniger als 50 Mitarbeiter und erzielen nicht mehr als 10 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Damit ist hier genau der Ansatzpunkt für die Bundesregierung, die betriebliche Altersvorsorge in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) zu fördern.
Für die zuständige Gewerkschaft Verdi ist der Einzelhandel traditionell eine mitgliederstarke Branche, in der vor allem Frauen und viele Geringverdiener (unter 2.000 Euro Monatsbrutto) – oft auch aufgrund von Teilzeitverträgen – arbeiten.
Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) waren im Jahr 2015 17,5 Prozent aller mindestens 65-Jährigen hierzulande von Altersarmut (Renten unter ca. 900 Euro) bedroht. Eine Steigerung um bis zu einem Fünftel bedeutet: Im Jahr 2045 wären 21 Prozent aller Rentner von Altersarmut bedroht. Dies trifft insbesondere Geringverdiener, die nur geringe Ansprüche in der gesetzlichen Rente aufbauen.
Deshalb ist die Branche des Einzelhandels ein idealer Pilot für das neue Sozialpartnermodell als Bündelung von Arbeitgeberfinanzierung, Entgeltumwandlung, Riester-Förderung und auch Geringverdiener-Zuschuss. Zudem besteht bereits ein Tarifvertrag zur Altersvorsorge aus 2001, der aufgrund z. B. eines expliziten Antragserfordernisses kaum genutzt wird und nunmehr als Basis für das neue Sozialpartnermodell genutzt werden soll. Außerdem – und das wird ein Novum – hat das Bundeswirtschaftsministerium bereits Allgemeinverbindlichkeit für den gesamten Einzelhandel und damit auch für die nicht tarifgebundenen Unternehmen angekündigt. Das ist erst der Anfang und ein Signal für weitere Branchen!
Corona – bAV
Da plötzlich auch der Einzelhandel zu den systemrelevanten Berufen gehört, wird es Einmal-Bonuszahlungen für die Beschäftigten von den Unternehmen und aus staatlichen Töpfen geben. Auch dieses Geld soll – zumindest zum Teil – der besseren Altersversorgung in der (gesunden) Zukunft dienen.
Fazit/Ausblick
Das Jahr 2020 bringt viel Bewegung in Sachen betrieblicher Altersversorgung, ob Grundrente oder Rentenkommission oder eben Lösungen auf tariflicher Ebene für die Betriebsrente. Die erste Branche verhandelt bereits intensiv. Das Pilotprojekt ist aber zum Erfolg verdammt! Zahlreiche Anbieter bringen sich hier in Stellung, vier Konsortien und zahlreiche Einzelversicherer möchten vom neuen Kuchen der Tarifpartner-/Branchenmodelle nach dem Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) BRSG ab 2020/21 partizipieren. Nicht jeder bringt neben dem Appetit auch die richtigen Zutaten und das Know-how mit! Nutzen Sie den Informationsvorsprung, um auch eigene betriebliche Vorstellungen noch umzusetzen, denn wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel in die richtige Richtung setzen!

Andreas Nareuisch, Betriebs- und Finanzfachwirt und Bundessachverständiger. Er berät Ministerien und Unternehmen in der Gestaltung und Umsetzung von Gesetzen sowie bei Ausschreibungen der betrieblichen Altersversorgung und ist dem Hause Datakontext als Seminarleiter und Fachautor verbunden.