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Betrieb & Familie, Teil 2: Pflegezeit : Flexibel ist besser

Lesezeit 4 Min.
Eine Strichmännchen unterstützt eine andere Strichmännchen, die im Rollstuhl sitzt, und stellt einen Moment der Freundlichkeit, Unterstützung und Zugänglichkeit dar.

Wenn plötzlich Hilfe nötig wird …

Es kann jeden treffen: Ein naher Angehöriger, oft ein Elternteil, wird plötzlich pflegebedürftig und kann nicht mehr allein zu Hause bleiben. Was dann? Neben den emotionalen Anforderungen stürmen eine ganze Reihe von organisatorischen Fragen auf die Angehörigen ein. Das lässt sich neben einem Vollzeitjob kaum bewältigen. Also was tun? Urlaub nehmen – bezahlt oder unbezahlt? Sich krankmelden? Und wenn es länger dauert, vielleicht die Pflege selbst übernommen werden muss? Ein familienfreundliches Unternehmen sollte da einiges anbieten. Neben den gesetzlichen Ansprüchen, die je nach Unternehmensgröße unterschiedlich ausfallen können, kann der Betrieb durch flexible Unterstützung seinen entsprechenden Ruf stärken. Schauen wir uns zunächst die gesetzlichen Regelungen an und die ergänzenden Möglichkeiten des einzelnen Unternehmens.

Pflege-„Urlaub“

Das ist der gängige Begriff für das Pflegeunterstützungsgeld. Dies wird von der Pflegekasse gezahlt, wenn durch den Eintritt eines Pflegefalls von Angehörigen plötzliche Aktivitäten erforderlich werden. Der Pflegeurlaub wird für maximal zehn Arbeitstage gewährt, er muss nicht zusammenhängend genommen werden, sondern kann ganz nach Bedarf aufgeteilt werden. Diesen Anspruch auf Freistellung haben alle Beschäftigten, unabhängig von der Größe des Unternehmens. Es gibt auch keine Ankündigungsfrist, gerade weil diese Form der Unterstützung ja spontan auftretende Notsituationen abdecken soll. Mit unmittelbaren Kosten wird das Unternehmen nur belastet, wenn ein Tarifvertrag dieses vorsieht.

Über den gesetzlichen Anspruch hinaus kann der Arbeitgeber Freistellungen gewähren, den Abbau von Überstunden zulassen oder auch einen „Kredit“ auf die Arbeitszeit gewähren. Hilfreich sind zudem flexible Arbeitszeiten in jeder Form, also die Möglichkeit, Stunden vor- oder nachzuarbeiten.

Sechs Monate sind drin

Insbesondere in der letzten Lebensphase möchten viele Menschen zu Hause von ihren Angehörigen betreut werden. Dem trägt die Pflegezeit Rechnung. Dabei kann der Beschäftigte bis zu sechs Monate entweder ganz oder teilweise aus dem Job aussteigen. Wegen der größeren Belastung für das Unternehmen sieht das Gesetz allerdings einige Einschränkungen vor.

Einen Rechtsanspruch haben Beschäftigte nur in Unternehmen mit einer Größe von mindestens 16 Mitarbeitern. Außerdem muss die Pflegezeit mindestens zehn Tage vor Beginn angekündigt werden, damit der Arbeitgeber Zeit hat, sich organisatorisch auf die Abwesenheit einzustellen.

Zahlen muss der Arbeitgeber für die Pflegezeit nicht. Der Beschäftigte kann ein zinsloses Darlehen für Pflegende in Anspruch nehmen. Es beträgt maximal die Hälfte des Nettogehalts, das dem Arbeitnehmer durch die Freistellung entgeht. Ein geringerer Anteil ist möglich. Das Darlehen gibt es beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben – BAFzA. Kontaktdaten unter www.bafza.de.

Das Unternehmen kann hier insbesondere durch flexible Arbeitszeitregelungen unterstützen. Hilfreich ist es, wenn der Beschäftigte bei Teilzeitarbeit die vereinbarte Arbeitszeit so flexibel und individuell wie irgend möglich erbringen kann.

Kündigung ist keine Option!

Sicher würde nur ein eher nicht familienfreundlich aufgestelltes Unternehmen auf die Idee kommen, einem Mitarbeiter, der einen Angehörigen pflegen möchte oder muss, zu kündigen. Allerdings wäre einem solchen Ansinnen kein Erfolg beschieden: Für alle gesetzlichen Pflegezeiten gilt nämlich ein Kündigungsschutz.

Vergleichstabelle „Pflegeunterstützungsgeld“, „Pflegezeit“ und „Familienpflegezeit“ hinsichtlich Laufzeit, Arbeitszeit, Kündigungsfrist, Finanzierung, Betriebsgröße und Arbeitsplatzschutz.

Länger geht auch

Und dann gibt es noch die Familienpflegezeit, die für bis zu zwei Jahre beantragt werden kann. Auch hier gibt es gesetzliche Bedingungen: Ein Anspruch besteht nur bei Unternehmen mit mindestens 26 Beschäftigten. Die Ankündigungszeit beträgt acht Wochen. Und: Ein vollständiges Fernbleiben von der Arbeit geht nicht. Mindestens 15 Stunden müssen wöchentlich gearbeitet werden – mehr kann natürlich auch vereinbart werden. Wie bei der Pflegezeit besteht auch hier die Möglichkeit, den Ausfall des Arbeitsentgelts teilweise über ein Darlehen ausgleichen zu können.

Tipp: Natürlich kann das Unternehmen auf die Einhaltung der gesetzlich vorgesehenen Ankündigungsfristen von zehn Tagen bzw. acht Wochen verzichten, wenn dies organisatorisch irgendwie möglich ist. Der Betroffene ist ohnehin in einer extremen Ausnahmesituation, so dass jedwede Unterstützung willkommen ist.

Bei dem längeren Zeitraum gelten für die Unternehmen grundsätzlich dieselben Unterstützungsmöglichkeiten wie bei der Pflegezeit – Flexibilität ist der Schlüssel zu einem erfolgreichen Miteinander.

Bei der zweijährigen – teilweisen – Abwesenheit könnte zusätzlich überlegt werden, ob vorübergehend eine andere Beschäftigung im Unternehmen sinnvoll ist, bei der die Teilzeit besser organisiert werden kann. Das sollte aber nur in Absprache und mit Zustimmung des Mitarbeiters erfolgen.

Wichtig: Die Familienpflegezeit kann direkt im Anschluss an die Pflegezeit beginnen, diese wird aber zeitlich angerechnet, so dass insgesamt die Freistellung nur für maximal 24 Monaten möglich ist.

Und die Kollegen?

Eine einfache Strichzeichnung einer älteren Person mit Brille und Schnurrbart, die mit einem Stock steht.

In einem Unternehmen mit gutem Klima und einer familienfreundlichen Kultur sollte es zwischen den Kollegen keine Probleme geben. Andernfalls obliegt es der Führungskraft, das nötige Verständnis bei den Mitarbeitern einzufordern. Schließlich kann jeder in die Situation kommen, die verfügbaren Angebote in Anspruch nehmen zu müssen.

Wichtig ist Offenheit: Wenn ein Kollege offen über seine Probleme und die aktuellen Herausforderungen spricht, wird er in aller Regel auf viel Verständnis stoßen. Wichtig ist, dass auch die zuständige Führungskraft den Ausfall unterstützt und ggf. bestehende Schwierigkeiten aus dem Weg räumt.

Bei einer „gelungenen“ Pflegeauszeit wird sich die Loyalität der Mitarbeiter zum Unternehmen erhöhen – eine echte Investition in die Zukunft.

Jürgen Heidenreich

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