Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst
In dieser Rubrik werden aktuelle Entscheidungen, die für den Bereich des öffentlichen Dienstes relevant sind, wiedergegeben.
Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft
Zusammenfassung der Pressemitteilung Nr. 35/21 des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 09.03.2021 zu den Urteilen in den Rechtssachen C-344/19, D.J./Radiotelevizija Slovenija und C-580/19, RJ/Stadt Offenbach am Main
Bereitschaftszeiten, einschließlich Zeiten in Form von Rufbereitschaft, fallen auch dann in vollem Umfang unter den Begriff „Arbeitszeit“, wenn die dem Arbeitnehmer während dieser Zeiten auferlegten Einschränkungen seine Möglichkeit, die Zeit, in der seine beruflichen Dienste nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen. Umgekehrt ist, wenn es keine solchen Einschränkungen gibt, nur die Zeit als „Arbeitszeit“ anzusehen, die mit der gegebenenfalls tatsächlich während solcher Bereitschaftszeiten erbrachten Arbeitsleistung verbunden ist.
Bei der Beurteilung, ob eine Bereitschaftszeit „Arbeitszeit“ darstellt, können nur Einschränkungen berücksichtigt werden, die dem Arbeitnehmer durch nationale Rechtsvorschriften, durch einen Tarifvertrag oder durch seinen Arbeitgeber auferlegt werden. Die Art und Weise der Vergütung von Arbeitnehmern für Bereitschaftszeiten unterliegt nicht der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung.
Die Einstufung einer nicht als „Arbeitszeit“ anzusehenden Bereitschaftszeit als „Ruhezeit“ lässt die besonderen Pflichten unberührt, die den Arbeitgebern nach der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12.06.1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit obliegen. Insbesondere dürfen die Arbeitgeber keine Bereitschaftszeiten einführen, die so lang und so häufig sind, dass sie eine Gefahr für die Sicherheit oder die Gesundheit der Arbeitnehmer darstellen, unabhängig davon, ob sie als „Ruhezeiten“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 einzustufen sind.
Anforderungen an die Übertragung einer Führungsposition auf Zeit i. S. v. § 32 TVöD-V; Abgrenzung zu § 14 TVöD-V; konstitutives Erfordernis der Bezeichnung als „Führungsposition auf Zeit“
Dies sind die Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 16.07.2020 – 6 AZR 287/19 –
- Die in § 32 Abs. 2 Teilsatz 2 TVöD-V geforderte Bezeichnung als „Führungsposition auf Zeit“ ist zwingende Voraussetzung für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Tarifnorm. Ein bloßes Einvernehmen der Arbeitsvertragsparteien, dass eine Aufgabe als „Führungsposition auf Zeit“ übertragen werden soll, genügt nicht (Rn. 17 ff.).
- § 32 TVöD-V ist keine gegenüber § 14 Abs. 1 TVöD-V speziellere Norm für Führungspositionen. Mit § 14 TVöD-V haben die Tarifvertragsparteien eine besondere Vergütungsregelung für die nicht auf Dauer angelegte Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit geschaffen und die Folgen einer Eingruppierung aufgrund der Tarifautomatik außer Kraft gesetzt. § 32 Abs. 3 TVöD-V ermöglicht dagegen dem Arbeitgeber mittels besonderer Vergütungsanreize und ohne Risiko hinsichtlich des zukünftigen Einsatzes, Arbeitnehmer zeitlich befristet für Führungspositionen zu gewinnen, ihre Führungskompetenzen zu erkennen bzw. zu entwickeln und somit einen Pool von qualifizierten Führungskräften zur Verfügung zu haben (Rn. 20 ff.).
- Der Arbeitgeber ist bei seiner Entscheidung, von § 32 Abs. 1 und Abs. 3 TVöD-V Gebrauch zu machen und eine Stelle als „Führungsposition auf Zeit“ zu bezeichnen, nicht an Billigkeitserwägungen gebunden. Etwas anders gilt, wenn er die entsprechend bezeichnete Führungsposition auf einen bestimmten, bereits bei ihm tätigen Arbeitnehmer übertragen will. Dies erfolgt im Wege des Weisungsrechts unter Beachtung der Grundsätze des billigen Ermessens. Eine Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien ist nicht Voraussetzung (Rn. 25 ff.).
Claudia Czingon