Urteil Bundesarbeitsgericht : Damoklesschwert Insolvenz – wegweisende Entscheidung für die bAV
Die betriebliche Altersversorgung (bAV) stellt einen immer wichtigeren Beitrag in der persönlichen Alters- und Lebensplanung dar, um schwindende gesetzliche Leistungen zu ergänzen. Um die Betriebsrenten aber in den Zeiten von Wirtschafts- und Finanzkrisen sowie Patchworkbiografien der Arbeitnehmer zu erhalten, bedarf es des Faktors Sicherheit in stürmischen Zeiten. Einen Sicherheitsanker stellt dabei seit 1975 der Pensions-Sicherungs-Verein a. G. dar, der bei Insolvenz des Arbeitgebers für die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung eintritt.
Die Pandemie und die vorübergehende Aussetzung von Insolvenzanträgen werden in Zukunft zu einer Bugwelle von Unternehmenspleiten und zu Problemen bei der Altersversorgung der Mitarbeiter führen. Wie das Gerichte und der Gesetzgeber sehen, erfahren Sie in diesem Beitrag und erhalten zugleich Tipps für die richtige Zukunftsstrategie.
Geschichtliches
Unter betrieblicher Altersversorgung versteht man Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung, die aufgrund des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber zugesagt werden. Der Arbeitgeber gilt immer als Träger und Haftungspartner für die versprochenen Leistungen, auch wenn z. B. ein Finanzdienstleister den Vertrag als Direktrentenversicherung abwickelt.
Der Pensions-Sicherungs-Verein auf Gegenseitigkeit (PSV a.G.) ist ein von der Versicherungswirtschaft am 01.01.1975 gegründetes Unternehmen, das dem Wunsch des Gesetzgebers und der Kunden der betrieblichen Altersversorgung nach Sicherheit der Altersversorgungsleistungen auch bei Insolvenz des Arbeitgebers Rechnung tragen soll. Der PSV a. G. mit Sitz in Köln ist zuständig für das deutsche Betriebsrentensystem und die Betriebsrenten im Großherzogtum Luxemburg. § 14 des Betriebsrentengesetzes räumt dem Pensions-Sicherungs-Verein die Zuständigkeit als Träger der Insolvenzsicherung der Betriebsrenten ausdrücklich ein.
Was ist besichert?
Hierbei sind drei Tatbestände zu unterscheiden: erstens die eingetretene Unverfallbarkeit nach gesetzlichen Bestimmungen, zweitens das Vorliegen eines besicherten Durchführungsweges und drittens der Eintritt des definierten Sicherungsfalles.
- Unverfallbarkeit
Unverfallbarkeit bedeutet im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung, dass einmal erworbene Ansprüche nicht mehr entzogen werden dürfen und Bestand haben, auch wenn z. B. der Arbeitnehmer den Arbeitgeber wechselt.
Die betriebliche Altersversorgung kann im Wege der Entgeltumwandlung durchgeführt werden. Das heißt, der Arbeitnehmer verzichtet auf Bruttolohn bis zu vier bzw. acht Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung West zugunsten eines Altersvorsorgevertrags (bAV). Dieser Verzicht auf eigenes Geld (juristisch: aufgeschobener Arbeitslohn) führt zur sofortigen Unverfallbarkeit der Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung.
Außerdem kann die betriebliche Altersversorgung auch ganz oder teilweise vom Arbeitgeber finanziert werden.
Hier gilt es, den aktuellen Rechtsstand zur Unverfallbarkeit zu kennen, der sich nach dem Datum der Zusage richtet: Scheidet der Arbeitnehmer ohne Erfüllung der Unverfallbarkeitskriterien aus, gibt es keine Leistung aus der betrieblichen Altersversorgung. Nach Eintritt der Unverfallbarkeit steht dem Arbeitnehmer eine (anteilige) Leistung zum vereinbarten Leistungszeitpunkt zu, die nach unterschiedlichen Verfahren berechnet werden kann. Über einen Tarifvertrag bei tarifgebundenen Unternehmen ist allerdings eine Verschlechterung dieser Regelung möglich. Mittels Betriebs- oder Dienstvereinbarung oder Tarifvertrag können Unverfallbarkeitsregeln zugunsten der Berechtigten auch verbessert werden.
- Gesicherte Durchführungswege (nach Unverfallbarkeit):
- Direkt- oder Pensionszusagen (Arbeitgeber sagt Leistungen zu und bildet in der Regel eigene Pensionsrückstellungen oder Rückdeckungen);
- Direktversicherungen, die mit widerruflichem Bezugsrecht ausgestattet sind und vom Arbeitgeber als Versicherungsnehmer beliehen, abgetreten oder verpfändet wurden;
- Unterstützungskassen (als Hilfsträgerunternehmen des Arbeitgebers);
- Pensionsfonds (als jüngster kapitalmarktorientierter Versorgungsweg).
- Pensionskassen sind seit dem 01.01.2021 beitragspflichtig. Nur Direktversicherungen mit unwiderruflichem Bezugsrecht unterliegen nicht der Besicherung, da es sich hier um versicherungsförmige Durchführungswege mit staatlicher Aufsicht (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) handelt.
- Sicherungsfälle
Sofern unverfallbare Zusagen oder Anwartschaften aus Betriebsrenten besicherter Durchführungswege vorliegen, wird vom PSV geprüft, ob ein Sicherungsfall eingetreten ist, der die Übernahme der Leistungsverpflichtung durch den Pensions-Sicherungs-Verein auslöst.
Dies sind:
- Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen oder den Nachlass des Arbeitgebers;
- Abweisung des Insolvenzantrags des Arbeitgebers mangels Masse;
- außergerichtlicher Vergleich des Arbeitgebers mit seinen Gläubigern zur Abwendung der Insolvenz und unter Beteiligung des PSV a. G.;
- vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit des Arbeitgebers im Geltungsbereich des Betriebsrentengesetzes (Deutschland/Luxemburg) ohne Insolvenzantrag.
Nur wenn auch dieser Punkt erfüllt ist und es sich um Arbeitnehmer oder gleichgestellte Personengruppen im Sinne des Betriebsrentengesetzes handelt, übernimmt der Pensions-Sicherungs-Verein:
- laufende Rentenzahlungen,
- bis dahin erworbene Anwartschaften.
Finanzierung der Sicherheit
Der Pensions-Sicherungs-Verein finanziert seine Leistungen seit 2006 im umlagefinanzierten Kapitaldeckungsverfahren, das heißt, die Einnahmen sollen die Ausgaben und künftigen Leistungsverpflichtungen decken.
Aktuell sind 95.250 beitragspflichtige Unternehmen bzw. Mitglieder verzeichnet.
Der PSV a. G. zahlt an vier Millionen Betriebsrentner oder Hinterbliebene Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung und verwaltet rund 11,1 Millionen Versorgungsberechtigte mit einem Gesamtkapitalwert (Bemessungsgrundlage) von 348 Milliarden Euro.
In der Regel wird ein Jahresbeitrag auf Basis der unverfallbaren Anwartschaften erhoben, die zu besichern sind. Damit sollen die laufenden Leistungen und künftige Anwartschaften ausgeglichen werden.
Arbeitgeber haftet für Leistungen
In der Praxis sagt meist der Arbeitgeber in der Entgeltumwandlungsvereinbarung die Rente bzw. das Kapital zu. Für Ausfälle/Leistungskürzungen haftet demzufolge der Arbeitgeber in voller Höhe. Dies hat auch das Bundesarbeitsgericht bereits 2012 bestätigt und vertragliche Beschränkungen der Haftung für unzulässig erklärt.
Auch die Protektor Lebensversicherungs-AG, die Sicherungseinrichtung der deutschen Lebensversicherer, haftet nur begrenzt (z. B. für Pensionskassen als Aktiengesellschaften, nicht für Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VV a. G.).
Aktuelle Entscheidung des BAG
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) urteilte dazu am 26.01.2021 in mehr als 20 Fällen (unter anderem Aktenzeichen 3 AZR 139/17): Die in § 613a Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelte Haftung des Erwerbers beschränkt sich zeitanteilig auf die Dauer, die der Arbeitnehmer nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Betrieb angestellt war. Für Leistungen bis zur Insolvenzeröffnung muss der Erwerber auch dann nicht haften, wenn der PSV a. G. nicht vollständig eintritt. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn bis zur Insolvenz noch keine unverfallbare Anwartschaft bestand. Nach der Übernahme läuft das Beschäftigungsverhältnis weiter, beim Erwerber werden Versorgungsanwartschaften aber erst ab Übernahme aufgebaut, die Gesamtversorgungsleistung fällt gegebenenfalls geringer aus als ursprünglich zugesagt. Dies kann Versorgungslücken beim Arbeitnehmer verursachen und den Veräußerer auch noch lange nach dem Unternehmensverkauf in Schwierigkeiten bringen (bis zur Haftung mit dem Privatvermögen) sowie lange Prozesse zur Folge haben.
Handlungsnotwendigkeiten für Arbeitgeber/Personalverantwortliche
Wie bei allen betrieblichen Altersversorgungen sollte momentan Folgendes seitens der HR-Verantwortlichen getan werden, um Schäden von Mitarbeitern und der eigenen Firma abzuwenden – nicht nur bei Insolvenz oder Verkauf, sondern auch im normalen Betrieb:
- Prüfung der jährlichen Standmitteilungen und der zugesagten Leistungen (ggf. müssen Differenzen in der Bilanz passiviert werden);
- Prüfung der Rechtsform des Versorgungsträgers. Regulierte Pensionskassen in der Rechtsform eines VV a. G. beispielsweise sind in massiven Schwierigkeiten;
- Prüfung der von Finanztest/der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen veröffentlichten Listen der bereits in Schwierigkeiten geratenen Anbieter (z. B. stehen 25 Lebensversicherer unter Finanzdruck), ob der eigene Vertragspartner dabei ist;
- Prüfung der finanziellen Zuverlässigkeit der Vertragspartner (und auch von Direktversicherungen), um eine künftige Zusammenarbeit abzuwägen;
- keine Übernahme von fremden bAV-Verträgen bei Jobwechsel/Portabilität, da große Haftungsprobleme drohen;
- Beauftragung eines neutralen Sachverständigen (nicht Makler/Versicherungsvermittler), um die Gesamtsituation (Due Diligence) und Haftungsfallen zu analysieren. Hierbei müssen Kündigungs- und Neugestaltungsoptionen der betrieblichen Altersversorgung geprüft werden.
Ausblick
Wie immer schützt Unwissenheit nicht vor rechtlichen Konsequenzen.
Prüfen Sie genau Ihre Versorgungswerke und Regelungen vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen und auch Ihrer Krisenresistenz. Lassen Sie sich dabei nicht von Produktgebern oder deren provisionsorientierten Vermittlern in vermeintlichen Tiefschlaf versetzen. Sie sind als Arbeitgeber haftbar zu machen! Suchen Sie sich unabhängigen Rat, um das Damoklesschwert nicht herabfallen zu lassen.
Andreas Nareuisch, Betriebs- und Finanzfachwirt, Bundessachverständiger