Das Bundesarbeitsgericht zum Thema Urlaub
Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub
Urteil des BAG vom 29.09.2020 – 9 AZR 113/19 – Rn. 12, m. w. N.
Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie 2003/88/EG) gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Diese Befugnis schließt die Befristung des tariflichen Mehrurlaubs ein. Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den tariflichen Mehrurlaub einem eigenen, von dem des gesetzlichen Mindesturlaubs abweichenden Fristenregime zu unterstellen, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen.
Fehlen solche, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen. Ein Gleichlauf ist nicht gewollt, wenn die Tarifvertragsparteien entweder bei der Befristung und Übertragung bzw. beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub unterscheiden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom Bundesurlaubsgesetz (BurlG) abweichende Regelungen zur Befristung und Übertragung bzw. zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen haben. Der eigenständige, dem Gleichlauf der Urlaubsansprüche entgegenstehende Regelungswille muss sich auf den jeweils in Rede stehenden Regelungsgegenstand beziehen. Es genügt nicht, wenn in einem Tarifvertrag von Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes abgewichen wird, die mit den in Streit stehenden Regelungen nicht in einem inneren Zusammenhang stehen.
Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers
Urteil des BAG vom 26.05.2020– 9 AZR 259/19 – Rn. 17 f.
Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er muss den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt. Infolge des Fehlens konkreter gesetzlicher Vorgaben ist der Arbeitgeber grundsätzlich in der Auswahl der Mittel frei, derer er sich zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten bedient. Die Mittel müssen jedoch zweckentsprechend sein. Sie müssen geeignet sein, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. Es ist der Eintritt einer Situation zu vermeiden, in der ein Arbeitnehmer auf Veranlassung des Arbeitgebers davon abgehalten werden kann, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber geltend zu machen.
Urlaub, Langzeiterkrankung und Mitwirkungsobliegenheiten
Leitsatz des Beschlusses des BAG vom 07.07.2020 – 9 AZR 401/19 (A)
Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) über die Frage, ob das Unionsrecht das Erlöschen des Urlaubsanspruchs bei einer ununterbrochen fortbestehenden Erkrankung des Arbeitnehmers 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres oder einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können.
Urlaub, volle Erwerbsminderung und Mitwirkungsobliegenheiten
Der 1. Orientierungssatz des Beschlusses des BAG vom 07.07.2020 – 9 AZR 245/19 (A) lautet
Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung zur Klärung der unionsrechtlichen Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines Arbeitnehmers, bei dem eine volle Erwerbsminderung im Verlauf des Urlaubsjahres eingetreten ist, 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres oder ggf. zu einem späteren Zeitpunkt verfallen kann (Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union).
Mehrarbeitszuschläge und Urlaub
Beschluss vom 17.06.2020 – 10 AZR 210/19 (A) – Pressemitteilung Nr. 16/20
Nach Auffassung des Zehnten Senats des BAG könnte ein Tarifvertrag, der für die Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen nur die tatsächlich gearbeiteten Stunden berücksichtigt und nicht auch die Stunden, in denen der Arbeitnehmer seinen bezahlten Mindestjahresurlaub in Anspruch nimmt, gegen Unionsrecht verstoßen. Aus diesem Grund richtet er ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung, ob die tarifliche Regelung mit Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG vereinbar ist. Klärungsbedürftig ist dabei, ob der Tarifvertrag einen unionsrechtlich unzulässigen Anreiz begründet, auf Urlaub zu verzichten.
Urlaub und ordentliche oder außerordentliche Kündigung
Urteil vom 25.08.2020 – 9 AZR 612/19 – Rn. 15, m. w. N.
Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer Urlaub auch vorsorglich für den Fall gewähren, dass eine von ihm erklärte ordentliche oder außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst.
Eine wirksame Urlaubsgewährung setzt in diesem Fall jedoch voraus, dass der Arbeitgeber trotz der Ungewissheit der Parteien über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses durch eine entsprechende Freistellungserklärung eindeutig zum Ausdruck bringt, der Arbeitnehmer werde zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub endgültig von der Arbeitspflicht befreit, und das Urlaubsentgelt entweder vor Antritt des Urlaubs zahlt oder dessen Zahlung vorbehaltlos zusagt.
Verfall des Urlaubsanspruchs
Urteil des BAG vom 26.05.2020 – 9 AZR 259/19 – Rn. 19
Wenn der Arbeitgeber durch Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten den Urlaubsanspruch an das Urlaubsjahr gebunden hat und der Arbeitnehmer dennoch nicht verlangt, ihm Urlaub zu gewähren, verfällt sein Anspruch nach Maßgabe von § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahres. Liegen die Voraussetzungen einer Übertragung des Urlaubs nach § 7 Abs. 3 Satz 2 oder Satz 4 BUrlG vor, wird der Urlaub „von selbst“ auf die ersten drei Monate des Folgejahres übertragen. Der Urlaubsanspruch kann in diesem Fall grundsätzlich nur dann mit Ablauf des Übertragungszeitraums untergehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordert, seinen Urlaub noch innerhalb des Übertragungszeitraums zu nehmen, und ihn darauf hinweist, dass der Urlaubsanspruch anderenfalls erlischt.
Urlaubsabgeltung und tarifliche Ausschlussfristen
Auszüge aus den Entscheidungsgründen des Urteils des BAG vom 07.07.2020 – 9 AZR 323/19
Rn. 25: Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs kann nach §§ 1, 3 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG als reiner Geldanspruch tariflichen Ausschlussfristen unterliegen.
Rn. 38: Der Abgeltungsanspruch entsteht mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Wegfall des Abgeltungsverbots. Er wird grundsätzlich gleichzeitig fällig.
Rn. 44: Mit einer Bestandsschutzklage wahrt der Arbeitnehmer, ohne dass es einer bezifferten Geltendmachung bedarf, eine einstufige Ausschlussfrist bzw. die erste Stufe einer zweistufigen Ausschlussfrist für alle aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses resultierenden Ansprüche.
Rn. 45: Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung knüpft nicht an den mit der Befristungskontrollklage angestrebten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses an, sondern setzt mit der in § 7 Abs. 4 BUrlG geforderten Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerade das Gegenteil voraus. Will der Arbeitnehmer den Verfall solcher Ansprüche verhindern, reicht die Erhebung einer Befristungskontrollklage nicht aus.
Kann ein Anspruch auf Jahresurlaub verjähren?
Beschluss vom 29.09.2020 – 9 AZR 266/20 (A) – Pressemitteilung Nr. 34/29
Der Neunte Senat des BAG hat den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung über die Frage ersucht, ob es mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Einklang steht, wenn der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der aufgrund unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers nicht bereits nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen konnte, gemäß § 194 Abs. 1, § 195 BGB der Verjährung unterliegt.
Hinweis
Kurzarbeit Null kürzt den Urlaubsanspruch. Das Urteil vom LAG-Düsseldorf vom 12.03.2021 (6 Sa 824/20) finden Sie im Beitrag „Im Blick: Arbeitsrecht“, in dieser Ausgabe.
Claudia Czingon