Auswirkungen in der Sozialversicherung : Entsendungen ins Ausland – die „Königsklasse“ in HR
Früher eher ein Privileg großer Konzerne, ist die Entsendung von Mitarbeitern ins Ausland durch die Globalisierung auch für mittlere und sogar kleine Unternehmen beinahe zum Alltagsgeschäft geworden. Aber eben nur „beinahe“. Es wird zwar häufig gemacht, aber auch immer richtig?
Die möglichen Fallstricke sind vielfältig. Sie lauern schon beim Visa- und Aufenthaltsrecht oder der Steuer. Auch nicht unwichtig ist die Sozialversicherung, denn die wirkt unmittelbar auf die wirtschaftliche Sicherheit der Beschäftigten. Zudem können hohe Kosten auf das entsendende Unternehmen zukommen, etwa im Krankheitsfall. Dieser Beitrag beleuchtet deshalb die Grundlagen der Sozialversicherung bei Entsendungen.
Was bewirkt eine Entsendung?
Eine Entsendung führt dazu, dass in der Regel das deutsche Sozialversicherungsrecht weiterhin angewandt wird, der Beschäftigte also in der deutschen Sozialversicherung versicherungspflichtig bleibt. Eigentlich gilt in der Sozialversicherung das Territorialitätsprinzip. Das bedeutet, dass immer das Recht des Staates gilt, in dem die Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wird.
Die Weitergeltung des deutschen Rechts kann auf der Ausstrahlung basieren (rein deutsche Regelung aus dem Sozialgesetzbuch) oder auf einem Sozialversicherungsabkommen. Dazu später mehr.
Zunächst ist die grundsätzliche Definition der Entsendung wichtig:
- vom Arbeitgeber ins Ausland geschickt
- grenzüberschreitend (von Deutschland aus in ein anderes Land)
- Tätigkeit für deutsches Unternehmen
- Beibehaltung der arbeitsrechtlichen Zugehörigkeit zum entsendenden Unternehmen
Die erste Voraussetzung muss wohl nicht erläutert werden. Grenzüberschreitend bedeutet, dass tatsächlich (physisch) die deutsche Grenze überschritten wird.
Der Erfolg der Arbeit muss dem entsendenden Unternehmen zugutekommen, d. h., dass dieses davon profitiert. Das kann bei konzerninternen Entsendungen mitunter problematisch sein, wenn Kosten und Gewinne verrechnet werden.
Die Eingliederung in das entsendende Unternehmen muss weiterhin gegeben sein. Das bezieht sich insbesondere auf die Weisungsbefugnis, auch wenn diese bei einer weit entfernt ausgeübten Tätigkeit naturgemäß weniger intensiv sein wird. Ein entscheidender Faktor ist daher das Recht des Arbeitgebers, den Beschäftigten jederzeit zurückzuholen. Von Bedeutung ist auch die Weiterzahlung des Entgelts durch das deutsche Unternehmen.
Die Beurteilung wird leichter, wenn man sich den Zweck von Ausstrahlung und Sozialversicherungsabkommen vor Augen führt: Ziel ist es, die Zugehörigkeit zur deutschen Sozialversicherung beizubehalten und nicht durch einen vorübergehenden Auslandsaufenthalt zu unterbrechen. Das zeigt sich auch darin, dass eine Entsendung von vornherein befristet sein muss, wenn sie zu einem Erhalt der deutschen Sozialversicherung führen soll.
Das Beispiel 1 zeigt, dass vor der Tätigkeit für die deutsche Firma keinerlei Bezug zur deutschen Sozialversicherung bestanden hat. Warum also sollte dann – entgegen dem Territorialitätsprinzip – das deutsche Recht für eine Tätigkeit in Spanien gelten? Deshalb gilt in diesem Fall ausschließlich das spanische Recht.
Wichtig! Es kann nicht nur einen geben!
Bleibt bei einer Entsendung das deutsche Sozialversicherungsrecht aufgrund der Ausstrahlung erhalten, hat das keinerlei Auswirkungen auf das Recht des Tätigkeitsstaates. Das dortige Recht gilt aufgrund des Territorialitätsprinzips – ohne Rücksicht auf deutsche Regelungen. Das führt dann in der Regel zu einer doppelten Versicherung – nach deutschem Recht und nach dem Recht des Tätigkeitsstaates.
Ausnahmen gibt es nur, wenn aufgrund von Sozialversicherungsabkommen ein Staat auf die Anwendung seiner Rechtsvorschriften verzichtet.
Andernfalls muss das deutsche Unternehmen sich auch um die Sozialversicherung in dem anderen Staat kümmern und den Mitarbeiter ggf. dort anmelden und die erforderlichen Beiträge zahlen.
Wohin soll es denn gehen?
Die wichtigste Frage ist die nach dem Zielland, in das der Mitarbeiter von seinem Unternehmen geschickt wird. Grundsätzlich für alle Staaten gilt die Ausstrahlung nach dem Sozialgesetzbuch.
Mit dieser Regelung hat Deutschland sozusagen sein Territorium für die Anwendung des deutschen Sozialversicherungsrechts ausgeweitet, einseitig und ohne Auswirkungen auf das Recht des jeweils anderen Staates.
Die Ausstrahlung ist allerdings nachrangig gegenüber Sozialversicherungsabkommen. Man unterscheidet zwischen bilateralen Abkommen, also der Vereinbarung Deutschlands mit einem anderen Staat, und multilateralen Abkommen. Das sind insbesondere die maßgeblichen EU-Verordnungen.
Entsendung in EU/EWR-Staaten
Der größte Teil der Entsendungen von deutschen Unternehmen führt in ein europäisches Land. Für die EU-Staaten sind die einschlägigen EU-Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und (EG) Nr. 987/2009 sowie (EG) Nr. 859/2003 heranzuziehen. Neben den EU-Mitgliedstaaten gelten sie auch für die Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) Island, Norwegen und Liechtenstein sowie durch besondere Abkommen für die Schweiz.
In den Verordnungen ist detailliert geregelt, wann bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten welches Sozialversicherungsrecht angewandt wird. Dabei ist sichergestellt, dass immer nur das Recht eines Staates angewandt wird, so dass es nicht zu einer Doppelversicherung kommen kann.
Die Verordnungen sehen vor, dass die Rechtsvorschriften des entsendenden Staates weitergelten, wenn die Entsendung auf maximal zwei Jahre im Voraus befristet ist. Weiterhin müssen die oben dargestellten Voraussetzungen für eine Entsendung gegeben sein. Weitere Einschränkungen gibt es dadurch, dass beispielsweise nicht ein entsandter Arbeitnehmer nach Ablauf der maximalen Entsendefrist durch einen anderen Arbeitnehmer ersetzt werden kann.
Eine wichtige Rolle spielt die Staatsangehörigkeit des entsandten Mitarbeiters, zumindest, wenn die EWR-Staaten, die Schweiz oder Dänemark involviert sind. Hier gilt die EU-Verordnung nämlich nicht für Drittstaatsangehörige.
Beispiel:
Ein deutsches Unternehmen entsendet einen Mitarbeiter in die Schweiz. Der Beschäftigte ist japanischer Staatsbürger. Die EU-Verordnung ist nicht anwendbar.
Allerdings besteht ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz, das mit der EU-Verordnung vergleichbare Regelungen vorsieht – ohne Einschränkung bei der Staatsangehörigkeit. Grundsätzlich sind die EU-Regelungen vorrangig vor bilateralen Vereinbarungen, da hier aber die EU-Verordnung nicht greift, wird die Entsendung nach dem deutsch-schweizerischen Sozialversicherungsabkommen abgewickelt.
Entsendung in Abkommensstaaten
Bilaterale Sozialversicherungsabkommen hat Deutschland mit einer ganzen Reihe von Staaten abgeschlossen:
- Albanien
- Australien
- Bosnien-Herzegowina
- Brasilien
- Chile
- China
- Indien
- Israel
- Japan
- Kanada und die Provinz Quebec
- Marokko
- Mazedonien
- Moldau
- Montenegro
- Korea (Südkorea)
- Philippinen
- Serbien
- Türkei
- Tunesien
- Uruguay
- USA
Ein weiteres Abkommen mit der Ukraine ist abgeschlossen, aber noch nicht in Kraft getreten.
In Teilen ähneln die bilateralen Abkommen der EU-Verordnung, allerdings mit einigen Einschränkungen:
- Es sind nicht immer alle Sozialversicherungszweige vom Abkommen erfasst. Das Abkommen mit den USA beschränkt sich beispielsweise auf die Rentenversicherung.
- Die maximale Dauer einer Entsendung (mit Weitergeltung des Rechts des Entsendestaates) ist unterschiedlich. Von zwölf Monate (Tunesien) bis hin zur Nichtbegrenzung ist alles vorhanden. Bei einer fehlenden konkreten Maximaldauer muss die Entsendung aber auch bei diesen Abkommen von vornherein befristet sein. Anders als im EU-Recht bleibt das Recht des Entsendestaates auch dann für die Maximaldauer erhalten, wenn die Entsendung von vornherein länger dauert. Aber von diesem Grundsatz gibt es Ausnahmen (z. B. USA).
- Die Anwendung des Abkommens ist nur in wenigen Fällen auf die Staatsangehörigen der beiden Vertragsstaaten begrenzt (Marokko, Tunesien).
Beispiel:
Ein deutsches Unternehmen entsendet einen Mitarbeiter für fünf Jahre nach Südkorea. Das Abkommen erstreckt sich nur auf die Renten- und Arbeitslosenversicherung. Die maximale Weitergeltung der Rechtsvorschriften des Entsendestaates beträgt 24 Monate. In der Renten- und Arbeitslosenversicherung ist für die ersten 24 Monate die deutsche Sozialversicherung maßgebend. Vom 25. Monat an wechselt die Zuständigkeit zum koreanischen Recht. In den übrigen Versicherungszweigen besteht das deutsche Recht aufgrund der Ausstrahlung weiter fort, was aber keine Auswirkungen auf das koreanische Recht hat. Deshalb kommt es in der Kranken- und Unfallversicherung zu einer Doppelversicherung. In der Pflegeversicherung bleibt zwar auch das deutsche Recht bestehen, aber es kommt nicht zu einer Doppelversicherung, weil es in Korea eine solche Absicherung nicht gibt.
Eine Übersicht über die Detailregelungen finden Sie im Internet unter:
Rangfolge der Regelungen
Bei einer Entsendung können grundsätzlich mehrere Rechtsgrundlagen in Frage kommen. Die Rangfolge ist aber eindeutig geregelt. An erster Stelle sind die EU-Verordnungen anzuwenden. Können diese nicht herangezogen werden, gelten ggf. bestehende bilaterale Abkommen (wie im Beispiel mit dem japanischen Staatsbürger, der in die Schweiz entsandt wird). Erst danach greift das – rein deutsche – Rechtsinstrument der Ausstrahlung.
Ausnahmevereinbarungen
Nicht immer führen die relativ starren Regelungen der EU-Verordnungen oder der bilateralen Abkommen zu dem gewünschten Ergebnis hinsichtlich der Zuordnung der Sozialversicherung. Deshalb gibt es die Möglichkeit, Ausnahmevereinbarungen zur Regelung von Einzelfällen zu treffen. Das geht allerdings nur im gegenseitigen Einvernehmen der beiden betroffenen Staaten und von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Beschäftigte muss also einem Antrag auf eine Ausnahmevereinbarung ausdrücklich zustimmen.
Eine Ausnahmevereinbarung kann nur auf die von dem jeweiligen Abkommen erfassten Sozialversicherungszweige wirken. In dem Beispiel mit der Entsendung nach Korea wäre eine Ausnahmevereinbarung denkbar, damit das deutsche Sozialversicherungsrecht für die gesamte Dauer der Entsendung weitergilt. Eine solche Vereinbarung würde sich aber nur auf die Renten- und Arbeitslosenversicherung auswirken.
In den anderen Zweigen bliebe es bei dem dargestellten Ergebnis.
Jürgen Heidenreich