Vielschichtigkeit und Komplexität der Arbeitswelt : Neu- und Sonderregelungen für besondere Arbeitnehmergruppen
Den Standardabrechnungsfall scheint es seit längerer Zeit seltener zu geben. Doch unabhängig von allen durch die Pandemie ausgelösten Zusatzfragen bringen die ganz „normalen“ Neu- und Sonderregelungen permanent erheblichen Anpassungsbedarf mit sich. Ein Überblick über besondere Arbeitnehmergruppen.
Corona bringt viele Pläne durcheinander, das betrifft im besonderen Maße Auslandsentsendungen. Dabei gilt laut Deutscher Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland (DVKA) aber ein unbürokratischer Kurs: Wird eine Entsendung ins Ausland wegen der Coronavirus-Pandemie für kurze Zeit unterbrochen, müssen Arbeitgeber keine Änderungen bei den Nachweisen zum anwendbaren Sozialversicherungsrecht vornehmen, so die DVKA. Bereits ausgestellte A1-Bescheinigungen bleiben weiter gültig. Umfasst sind davon alle Unterbrechungen, die nicht länger als zwei Monate dauern und die Entsendung nicht verlängern.
Ebenfalls Bürokratie einsparen soll das neue elektronische Verfahren für Sonderfälle bei der A1-Bescheinigung, das es bereits seit dem 01.01.21 gibt. Außerdem entfiel die generelle Pflicht zum Ausdruck der A1-Bescheinigung zum Jahreswechsel.
Expats wollen in der Sozialversicherung bleiben
Häufig ist es deutschen Arbeitnehmern wichtig, während eines Auslandseinsatzes in der deutschen Sozialversicherung verbleiben zu können – damit etwa die Familie zu Hause weiter abgesichert ist. Das ist möglich, bedarf aber eines eigenen Antrags. Ist der Aufenthalt zeitlich begrenzt, lässt sich für den Arbeitnehmer eine Pflichtversicherung beantragen. Bei unbefristeten Einsätzen bleibt nur die freiwillige Versicherung, bei der die Beitragshöhe individuell festgelegt wird.
Umgekehrt haben bereits seit Mitte 2020 EU-ausländische Arbeitnehmer in Deutschland Anspruch auf den Tariflohn aus allgemeinverbindlichen Tarifverträgen; die entsandten Arbeitnehmer erhalten daher auch Überstundensätze, Zulagen und Sachleistungen, wenn diese gesetzlich oder in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen vorgeschrieben sind. Eine Anrechnung von Aufwandserstattungen auf den Arbeitslohn wurde indes vom Gesetzgeber bewusst ausgeschlossen.
Ein – neuer – Spezialfall ist durch den Austritt Großbritanniens aus der EU entstanden. Hier wird hinsichtlich sozialversicherungsrechtlicher Fragen – theoretisch – zwischen Bestandsfällen und Neufällen differenziert. Bei den Bestandsfällen kann die Entsendung über eine A1-Bescheinigung nachgewiesen werden, die jedoch nur für maximal 24 Monate ausgestellt wird; alle Neu-Entsendungen ab dem 01.01.21 unterliegen dem zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich abgeschlossenen Handels- und Kooperationsabkommen, wonach allerdings grob auch weiterhin die bisherigen Vorschriften anwendbar sind.
Arbeitszeitverkürzung bei geringfügig Beschäftigten
COVID-19- und Brexit-unabhängigen Anpassungsbedarf bringt die Gruppe der geringfügig Beschäftigten mit sich: Denn der zu Jahresbeginn um 15 Cent gestiegene Mindestlohn (von 9,35 Euro auf 9,50 Euro in der Stunde, plus weitere Erhöhungen in bestimmten Branchen) führt dazu, dass die maximalen Arbeitszeiten angepasst werden müssen (siehe auch Beitrag ab Seite 72).
So konnte ein Minijobber zum Mindestlohn im vergangenen Jahr im Schnitt rechnerisch 48 Stunden im Monat tätig sein, jetzt sind es nur 47 Stunden. Einen Niederschlag muss dies insbesondere bei dauerhaften Schichtregelungen finden, da regelmäßige Mehrarbeit sonst zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung führt.
Rentner und Pensionäre mit Arbeitgeber-RV-Anteil
Besondere Beachtung verdient stets der sozialversicherungsrechtliche Status von Rentnern und Pensionären, wenn sie eine Beschäftigung aufnehmen: In diesem Fall werden sie sozialversicherungsrechtlich als Arbeitnehmer betrachtet. Liegt eine mehr als geringfügige Beschäftigung vor, begründet die Beschäftigung Kranken- und Pflegeversicherungspflicht. Das bedeutet, der Versicherungsstatus als Rentner wird verdrängt.
Bei der Rentenversicherung sind die beschäftigten Rentner zwar selbst beitragsfrei gestellt, sofern sie ihre Regelaltersgrenze zum Bezug der Vollrente erreicht haben. Das gilt jedoch nicht für den Arbeitgeber: Dieser muss weiterhin seinen Beitragsanteil entrichten.
Phantomlohn bei Sonn- und Feiertagszuschlägen im Visier
Ebenfalls ein Problemfeld sind zuletzt die sogenannten Phantomlöhne geworden, da sie mehr und mehr ins Visier der Sozialversicherungsprüfer geraten. Tatsächlich sind Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit zwar lohnsteuer- und sozialversicherungsfrei – allerdings nur dann, wenn sie für tatsächlich geleistete Arbeit gezahlt werden. Anders sieht es etwa bei Urlaub oder Krankheit aus: Wenn für den Zuschlag nicht gearbeitet wurde, greift die Lohnsteuer- und Sozialversicherungspflicht. Das dürfte bei korrekter Abrechnung in vielen Fällen zu manuellem Mehraufwand führen (siehe auch Beitrag ab Seite 70).
Leistungsmissbrauch beim Kurzarbeitergeld
Kompliziert kann es auch beim Kurzarbeitergeld werden, nämlich dann, wenn dies nicht korrekt angemeldet oder rechtzeitig wieder abgemeldet wurde. Der Bundesagentur für Arbeit (BA) lagen bis Ende Februar gut 4.690 Mitteilungen und Erkenntnisse zu möglichem Leistungsmissbrauch vor, wie die Behörde auf Anfrage von LOHN+GEHALT mitteilte.
Dabei handele es sich um Hinweise, keine konkreten Verdachtsfälle oder gar bestätigte Verstöße, wie die Behörde betont.
In den meisten Fällen lautet der Vorwurf, dass Manipulationen bei der Arbeitszeit erfolgt sind, also Kurzarbeit angemeldet ist, die Betroffenen dennoch unverändert oder sogar mehr als zuvor arbeiten. Bisher habe die BA 276 Fälle an das Hauptzollamt und 61 an die Staatsanwaltschaft bzw. Polizei abgegeben, da sich hier jeweils tatsächlich ein Anfangsverdacht ergeben habe.
Zum Vergleich: In den Jahren 2009 und 2010 – während der Wirtschaftskrise – meldeten laut BA 60.000 Firmen Kurzarbeit an. Dabei habe es in 1.500 Fällen Hinweise auf falsche Angaben gegeben. 850 davon wurden an die Staatsanwaltschaft und den Zoll abgegeben. Es ließe sich aber keine Aussage darüber treffen, in welchen Fällen ein Betrug gerichtlich festgestellt wurde, da die Bundesagentur darüber nicht durch die Ermittlungsbehörden informiert werde (siehe auch Beitrag ab Seite 94).
Alexandra Buba, M. A., Wirtschaftsredakteurin