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Betriebliche Altersversorgung – Anpassung
BAG, Urteil vom 13.10.2020 – 3 AZR 246/20
Regeln mehrere zeitlich aufeinanderfolgende Betriebsvereinbarungen denselben Gegenstand, gilt das sogenannte Ablösungsprinzip. Danach löst eine neue Betriebsvereinbarung eine ältere grundsätzlich auch dann ab, wenn die Neuregelung für den Arbeitnehmer ungünstiger ist. Das Ablösungsprinzip ermöglicht allerdings nicht jede Änderung. Soweit in bestehende Besitzstände eingegriffen wird, sind die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
Diese Grundsätze hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) für Eingriffe in die Höhe von Versorgungsanwartschaften durch ein dreistufiges Prüfungsschema präzisiert. Danach sind den abgestuften Besitzständen der Arbeitnehmer entsprechend abgestufte, unterschiedlich gewichtete Eingriffsgründe des Arbeitgebers gegenüberzustellen
So genügen für dienstzeitabhängige, noch nicht erdiente Zuwachsraten sachlich-proportionale Gründe. Das sind nachvollziehbare, anerkennenswerte und damit willkürfreie Gründe. Diese können auf einer Fehlentwicklung der betrieblichen Altersversorgung, einer wirtschaftlich ungünstigen Entwicklung des Unternehmens oder auf geänderten anerkennenswerten Vorstellungen der Betriebsparteien beruhen.
Beruft sich der Arbeitgeber auf wirtschaftliche Schwierigkeiten, müssen die sachlichen Gründe für den Eingriff in die betriebliche Altersversorgung nicht das für einen triftigen Grund erforderliche Gewicht erreicht haben. Eine langfristig unzureichende Eigenkapitalverzinsung oder eine langfristige Substanzgefährdung ist nicht erforderlich. Dementsprechend liegen sachliche Gründe nicht erst dann vor, wenn die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens konkret gefährdet ist. Zur Rechtfertigung des Eingriffs in die betriebliche Altersversorgung bedarf es auch nicht der Feststellung einer insolvenznahen Lage. Entscheidend ist, ob wirtschaftliche Schwierigkeiten vorliegen, auf die ein vernünftiger Unternehmer reagieren darf.
Darüber hinaus müssen die Gründe für den Eingriff in die betriebliche Altersversorgung „proportional“ sein. Beruft sich der Arbeitgeber darauf, wirtschaftliche Schwierigkeiten hätten ihn veranlasst, die Kosten zu reduzieren, stehen ihm sachlich- proportionale Gründe zur Seite, wenn die Eingriffe in die betriebliche Altersversorgung in der eingetretenen wirtschaftlichen Situation nicht unverhältnismäßig waren. Dies ist dann der Fall, wenn die Neuregelung der betrieblichen Altersversorgung in die künftigen dienstzeitunabhängigen Zuwächse nicht weiter eingreift, als ein vernünftiger Unternehmer dies zur Kosteneinsparung in der konkreten wirtschaftlichen Situation für geboten erachten durfte. Eines ausgewogenen, die Sanierungslasten angemessen verteilenden Sanierungsplans bedarf es nicht. Deshalb ist es nicht erforderlich, dass die einzelnen, zur Kosteneinsparung getroffenen Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Vielmehr reicht es aus, dass sich der Eingriff in das betriebliche Versorgungswerk in ein auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage zur Beseitigung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten ausgerichtetes Gesamtkonzept einpasst.
Anderweitige Maßnahmen zur Kosteneinsparung müssen nicht ausgeschöpft sein, bevor Eingriffe in künftige Zuwächse vorgenommen werden. In einem Prozess hat der Arbeitgeber substantiiert vorzutragen, welche wirtschaftlichen Schwierigkeiten vorliegen, in welchem Gesamtumfang angesichts dessen eine Kosteneinsparung aus Sicht eines vernünftigen Unternehmers geboten war und wie das notwendige Einsparvolumen ermittelt wurde. Darüber hinaus hat er sein Gesamtkonzept zu erläutern. Hierzu hat er sämtliche anderen Maßnahmen im Einzelnen darzulegen, die zur Kosteneinsparung getroffen wurden. Zudem ist vorzutragen, in welchem Umfang diese Maßnahmen bei prognostischer Betrachtung zur Einsparung beitragen und wie das auf die durchgeführten Maßnahmen entfallende Einsparpotenzial ermittelt wurde. Ferner ist darzutun, in welchem Umfang die Neuregelung der betrieblichen Altersversorgung zur Kosteneinsparung beiträgt und nach welchen Kriterien das prognostizierte Einsparvolumen ermittelt wurde. Auf entsprechenden Einwand des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber erläutern, weshalb anderweitige Maßnahmen zur Reduzierung der Kosten nicht getroffen wurden, und unternehmerische Entscheidungen, die auf den ersten Blick dem Ziel der Kostenreduzierung zuwiderlaufen, erklären.
Bei der Anpassungsprüfung nach § 16 Abs. 1 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) hat der Arbeitgeber die Belange der Versorgungsempfänger sowie seine eigene wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen. Lässt diese eine Anpassung der Betriebsrenten nicht zu, ist der Arbeitgeber zur Anpassung nicht verpflichtet. Die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers ist eine zukunftsbezogene Größe. Sie umschreibt die künftige Belastbarkeit des Arbeitgebers und setzt eine Prognose voraus. Beurteilungsgrundlage für die insoweit zum Anpassungsstichtag zu erstellende Prognose ist grundsätzlich die bisherige wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens vor dem Anpassungsstichtag, soweit daraus Schlüsse für dessen weitere Entwicklung gezogen werden können.
Für eine zuverlässige Prognose muss die bisherige Entwicklung über einen längeren repräsentativen Zeitraum von in der Regel mindestens drei Jahren ausgewertet werden. Dabei handelt es sich grundsätzlich um einen Mindestzeitraum, der nicht stets und unter allen Umständen ausreichend ist. Ausnahmsweise kann es geboten sein, auf einen längeren Zeitraum abzustellen. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn die spätere Entwicklung der wirtschaftlichen Lage zu berechtigten Zweifeln an der Vertretbarkeit der Prognose des Arbeitgebers führt.
Die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers rechtfertigt die Ablehnung einer Betriebsrentenanpassung insoweit, als das Unternehmen dadurch übermäßig belastet und seine Wettbewerbsfähigkeit gefährdet würde. Das ist nach der Rechtsprechung des BAG der Fall, wenn keine angemessene Eigenkapitalverzinsung erwirtschaftet wird oder wenn das Unternehmen nicht mehr über genügend Eigenkapital verfügt. Bei einer ungenügenden Eigenkapitalverzinsung reicht die Ertragskraft des Unternehmens nicht aus, um die Anpassungen finanzieren zu können. Bei einer ungenügenden Eigenkapitalausstattung muss verlorene Vermögenssubstanz wieder aufgebaut werden, bevor dem Unternehmen die Anpassung von Betriebsrenten zugemutet werden kann. Demnach rechtfertigt die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers die Ablehnung einer Betriebsrentenanpassung nur insoweit, als dieser annehmen darf, dass es ihm mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein wird, den Teuerungsausgleich aus den Unternehmenserträgen und den verfügbaren Wertzuwächsen des Unternehmensvermögens in der Zeit bis zum nächsten Anpassungsstichtag aufzubringen.
Die angemessene Eigenkapitalverzinsung besteht grundsätzlich aus einem Basiszins und einem Zuschlag für das Risiko, dem das in dem Unternehmen investierte Kapital ausgesetzt ist. Der Basiszins entspricht der Umlaufrendite öffentlicher Anleihen. Der Risikozuschlag beträgt zwei vom Hundert.
Bei der Anpassungsüberprüfung kommt es maßgeblich auf die Verhältnisse im Unternehmen des versorgungspflichtigen Arbeitgebers an. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber in einen Konzern eingebunden ist. Ein Konzern ist lediglich eine wirtschaftliche Einheit ohne eigene Rechtspersönlichkeit und kann demnach nicht Schuldner der Betriebsrentenanpassung sein.
Betriebsrat – dauerhafte Überlassung von Bruttoentgeltlisten
BAG, Beschluss vom 29.09.2020 – 1 ABR 32/19
Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. In diesem Rahmen ist der Betriebsausschuss oder ein nach § 28 BetrVG gebildeter Ausschuss berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen. Der Betriebsrat kann allerdings nur Einblick in Unterlagen verlangen, die der Arbeitgeber – zumindest in Form einer elektronischen Datei – tatsächlich besitzt; ein auf Herstellung nicht existenter Listen gerichteter Anspruch lässt sich nicht auf § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG stützen.
Das auf diese Vorschrift gestützte Recht, in die Listen über Bruttolöhne und Gehälter Einblick zu nehmen, besteht nur, soweit dies zur Durchführung von Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist. Sollte der Betriebsrat auf seine Überwachungsfunktion hinweisen, muss er kein besonderes Überwachungsbedürfnis darlegen. Der notwendige Aufgabenbezug ist regelmäßig schon deshalb gegeben, weil der Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen hat, dass u. a. die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze durchgeführt werden. Hierzu gehört auch die sich aus § 75 Abs. 1 BetrVG ergebende Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beachtung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes.
Verweist der Betriebsrat auf die Prüfung der Wahrnehmung eines Mitbestimmungsrechts, wofür es der Einsicht in die Bruttoentgeltlisten bedarf, kann auch das ausreichend sein. Bei einem Verweis auf seine Aufgabe zur Förderung der Durchsetzung der Entgeltgleichheit bedarf es allerdings näherer Darlegung, für welche konkreten Förderungsmaßnahmen bestimmte Auskünfte benötigt werden. Ein allgemein gehaltener Hinweis auf die gesetzlichen Aufgaben nach den beiden Bestimmungen unter bloßer Wiederholung des Gesetzeswortlauts ist regelmäßig nicht ausreichend.
Das entgeltlistenbezogene Einsichts- und Auswertungsrecht des § 13 Abs. 2 Satz 1 des Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) ist an die Zuständigkeit des Betriebsrats für die Beantwortung individueller Auskunftsverlangen nach § 10 Abs. 1 EntgTranspG gebunden. Voraussetzung ist, dass der Betriebsrat individuelle Auskunftsverlangen im Sinne der §§ 10 ff. EntgTranspG beantwortet.
Ungeachtet dessen vermittelt die Einsichts- und Auswertungsberechtigung des § 13 Abs. 2 Satz 3 EntgTranspG kein Recht auf dauerhafte Überlassung der Listen über die Bruttolöhne und Gehälter.
§ 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG sieht über die bloße Einsichtnahme hinaus auch eine Berechtigung des Betriebsausschusses zur Listenauswertung vor. Dieses Auswertungsrecht ist zweckorientiert (Beantwortung individueller Auskunftsverlangen) zu verstehen. Einen Anspruch auf Aushändigung oder Übermittlung der Bruttoentgeltlisten zur dauerhaften Verfügung der auswertungsberechtigten Ausschüsse enthält es nicht.
Vergütungsansprüche – Scheingeschäft
BAG, Urteil vom 14.10.2020 – 5 AZR 409/19
Nach § 117 Abs. 1 BGB ist eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, nichtig, wenn sie mit dessen Einverständnis nur zum Schein abgegeben wird. Ein Scheingeschäft nach dieser Bestimmung liegt vor, wenn die Parteien einverständlich nur den äußeren Schein des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts hervorrufen, dagegen die damit verbundene Rechtswirkung nicht eintreten lassen wollen.
Wollen die Parteien des „Arbeitsvertrags“ nicht, dass der „Arbeitnehmer“ aufgrund dieses Vertrags überhaupt eine Arbeit zu verrichten hat, beabsichtigen sie nicht , den Eintritt der rechtlichen Verpflichtungen und Folgen der von ihnen abgegebenen Willenserklärungen herbeizuführen, wonach sich eine Seite zur Leistung von Arbeit für die andere Seite verpflichtet und diese ihr als Gegenleistung dafür Arbeitsentgelt zahlen soll.
Daher ist ein Arbeitsvertrag als Scheingeschäft nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig, wenn zwischen den Parteien bei Vertragsabschluss Einigkeit darüber besteht, dass das vereinbarte Entgelt ganz oder zumindest teilweise nicht als Gegenleistung für die Erbringung einer Arbeitsleistung, sondern aus anderen Gründen gezahlt werden soll und eine Pflicht zur Arbeitsleistung nicht begründet wird. Kein Scheingeschäft liegt dagegen vor, wenn es zur Herbeiführung des von den Parteien tatsächlich beabsichtigten Erfolgs der wirksamen Vornahme des betreffenden Rechtsgeschäfts gerade bedarf. Setzt der von den Parteien angestrebte Zweck die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts voraus, spricht dies gegen ein Scheingeschäft. Ein Vertrag ist somit nur dann nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig, wenn das Vereinbarte nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien keine Geltung haben soll.
Durch Auslegung der Willenserklärungen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ist gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln, ob die Vertragsparteien zur Erreichung ihres Ziels die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts benötigen und es deshalb ernstlich gemeint oder nur zum Schein abgeschlossen ist.
Dr. iur. Hans-Otto Blaeser, Köln