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Recruiter vs. Altenpfleger : Was Pflegekräfte sich wirklich wünschen!

Wenn wir über die Pflege reden, dann wird das meist in Verbindung mit Geld und Anerkennung getan – seit Corona noch mehr als zuvor. Irgendwie scheint es einfach nicht logisch zu sein, dass angesichts des eklatanten Fachkräftemangels und des hohen Idealismus, welcher der Berufswahl zugrunde liegt, die Diskrepanz zwischen berechtigtem Wunsch und trauriger Wirklichkeit so groß sein kann. Manche reden schon davon, dass weiterhin die Gefahr eines massenhaften „Pflexit“ droht, wenn es so weitergeht.

Lesezeit 17 Min.
Eine lächelnde medizinische Fachkraft im blauen OP-Kittel strahlt in einem hellen Klinikumfeld positive Ausstrahlung und Wärme aus und demonstriert so die Wirksamkeit ihrer Humanressourcen.

Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, warnte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vor einem massenhaften Ausstieg aus dem Pflegeberuf. Seiner Ansicht nach hätten viele das Vertrauen verloren, dass sich die Situation grundlegend ändern werde.

Ob eine siebenstündige Pflege-Doku und der daraus resultierte Hashtag grundlegend, erfolgreich und nachhaltig etwas ändern, das wird sich zeigen müssen. In ihrer Echtzeit-Dokumentation aus der Fernsehreihe „Joko & Klaas Live“ hatten Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf sich des Themas Pflege angenommen und eine Sieben-Stunden-Schicht einer Pflegerin übertragen, bei der sie dann noch weitere Stimmen zu Wort kommen ließen.

Laut Medienexperten haben sie damit Fernsehgeschichte geschrieben, welche nicht nur bis in die sozialen Medien nachwirkte. Der Hashtag #NichtSelbstverständlich landete auf Platz 1 der Twitter-Trends, aber auch auf den anderen Kanälen wurde heftig debattiert. Dafür gab es sogar Lob vom Sender Arte und in Medienkreisen sah man hier durchaus eine mögliche Initialzündung für eine echte gesellschaftliche und soziale Trendwende. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn meldete sich unverzüglich zu Wort und kündigte Gespräche mit Verbänden an, um bessere Arbeitsbedingungen in der Branche zu erreichen. Was aber, wenn letztlich doch (wieder) zu viele Lippenbekenntnisse dabei rauskommen und es am Ende eben „doch nicht anders geht“? Klar ist, dass sich über Nacht keine Wunder vollbringen lassen. Ebenso stellt sich aber die Frage, welchen „Paukenschlag“ es eigentlich so langsam noch braucht.

Das Ärzteblatt teilte letztes Jahr mit, dass die Personalsituation in Bayern besonders angespannt sei – auf zwei offene Stellen komme nur eine arbeitsuchende Pflegekraft. Eigentlich eine gute Voraussetzung, um bessere Arbeitsbedingungen erreichen zu können – sollte man meinen. Für manch einen vielleicht eine überraschende Tatsache: Die Forderung nach mehr Gehalt wird in der Pflege deutlich seltener geäußert als sonst in der Gesamtwirtschaft. Monetäre Anreize allein sind also längst nicht die Lösung.

Das Thema, woran es im gesamten Bereich von Medical und Care wirklich mangelt, wird hier gleich aus zwei Perspektiven beleuchtet: zum einen aus dem tiefsten Innersten des stressigen Arbeitsalltags eines examinierten Altenpflegers heraus und zum anderen aus Recruiting-Sicht:

Zeitdruck bei der Arbeit, mangelnde Ausstattung in der direkten Arbeitsumgebung Befragungen, die seelische und körperliche Belastung u. v. m. Welches Problem müsste Ihrer Meinung nach am schnellsten und effizientesten angegangen werden?

Schwarz-weißes Porträt eines glatzköpfigen Mannes mit Spitzbart, spezialisiert auf Personalmanagement, der in die Kamera lächelt.
Altenpfleger Oliver Mößner examinierter Altenpfleger

Antwort aus Sicht eines Altenpflegers:

Es braucht schlichtweg mehr Personal, sowohl Fachpersonal als auch Helfer. Eigentlich herrscht der klassische Mangel und trotzdem wird so getan, als seien „eh genügend“ Leute da. Der Personalschlüssel wird viel zu oft falsch angelegt. Denn Leute, die Urlaub hatten oder krank waren, werden mitgezählt, das muss dann angeblich reichen. Die Heimleitungen oder Pflegeteamleitungen arbeiten teils auch mal mit, „wenn’s brennt“ und sie die Qualifikationen haben. Das ist aber bei weitem nicht überall so. Oft findet sich bei Fluktuationen oder Vakanzen keine Nachbesetzung. Trotzdem versucht die Leitung, nach „oben zu glänzen“. Die hohen Fluktuationen können teils gar nicht ausgeglichen werden, und das erzeugt dann Dauerzustände in der Überbelastung. Auf der anderen Seite sind die Anreize auch bei einem Wechselwunsch gar nicht so groß, wie man vermuten würde.

Leihfirmen winken zwar mit einem Begrüßungsgeld, das ist aber dann oft nicht mehr als ein „Willkommensbonus“. Recht mager sieht es dann meist mit den weiteren Zusatzleistungen aus, wie etwa mit einem Fahrgeld von gerade mal zwei Euro netto am Tag. Und auch das Tagesgeld für Essen und Trinken (Verpflegungsgeld) ist weder Standard noch üppig.

Antwort aus Sicht eines Recruiters:

Pflege ist nicht nur Beruf, sondern Berufung. Genau so nimmt ein sehr großer Teil der in diesem Bereich Tätigen auch ihre Verantwortung wahr. Dafür gebührt den Menschen der größte Dank und Anerkennung. Die größte und herausfordernde Berufung jedoch kommt an ihre Grenzen, wenn die Belastung zu groß ist. In der Pflege arbeiten Menschen mit Menschen – und müssen für Anerkennung und Wertschätzung kämpfen. Kann man sich noch bei Mangel an der Ausstattung irgendwie behelfen, so ist Zeit ein nicht vermehrbares Gut.

Ein nachdenklicher Mann mit einem subtilen Lächeln, der über den Rand seiner Brille blickt, spezialisiert auf Personalmanagement.
Recruiter Georg Jansen Inhaber GJC – Georg Jansen Consulting

Folglich muss, um kritische Situationen nicht aufkommen zu lassen, eine Aufstockung und damit Entlastung des Personals erfolgen, einhergehend mit der entsprechenden Aus- und Weiterbildung bis hin zur Akademisierung. In der Folge müssen die technischen Ausstattungen in der Pflege und nicht zuletzt die Gehälter der Verantwortung entsprechend angepasst werden.

Wir hören oft, dass man sich mehr Respekt wünscht und man nicht nur „beklatscht“ werden will. Aber auch intern wird die mangelnde Anerkennung und Wertschätzung von Führungskräften stark beklagt, wie auch die unzureichende Kommunikation zwischen den Hierarchie-Ebenen. Auf welche Weise müssten sich hier die Umstände deutlich verbessern?

Antwort aus Sicht eines Altenpflegers:

Das Gefühl eines ausgeglichenen „Geben und Nehmens“ fehlt komplett. Eigentlich wird fast nur genommen. Der Arbeitsalltag sieht meist so aus, Überstunden: „Ja“, Urlaub: „Nein“. Die Anforderungen sind von Beginn an hoch. Die Erwartungshaltung von Beginn an ist: „Du musst das können, du hast das gelernt“ – selbst wenn man als Neuling die Einrichtung und die internen Abläufe nicht kennt. Zudem macht man anfangs fast nur die unbeliebtere Spätschicht. Die Devise lautet ohnehin: „Hauptsache, du kommst – egal, wie du das anstellst!“. Morgens sind eigentlich immer viele Leute da, gegen später dann fast niemand. Dann ist man manchmal als Fachkraft ganz allein und müsste alles gleichzeitig machen.

Was die sogenannte „Anerkennung“ angeht, da herrschen dann eher Extreme: Die einen versuchen erst gar nicht, die Leute zu halten, die aufgrund der herrschenden Umstände gehen wollen. Wenn in manchen Pflegeeinrichtungen Formen der Wertschätzung existieren, dann findet dies durchgehend statt: Da gibt es dann schon regelmäßige Lob, im Sommer mal ein Eis und auch ein fürsorgliches Nachfragen: „Na, klappt alles?“. Gutscheine erhalten dann selbst die „Leiharbeiter“. Eine solche Behandlung erfolgt bei guter Unternehmenskultur von Vorgesetzten und Kollegen gleichermaßen. Das ist aber eher die Ausnahme. Denn in der Branche wird wirklich meistens nur ausgenutzt und verheizt.

Antwort aus Sicht eines Recruiters:

Auch im Bereich Pflege schreitet die Akademisierung immer weiter voran. Dies ist ein wichtiger Schritt und damit für die o. g. Wünsche unablässig. Pflegekräfte arbeiten direkt mit den Menschen, sind also entsprechend nahe am Geschehen und Wissen um den Patienten/Bewohner. Bei entsprechender Erfahrung und Ausbildung sind Pflegekräfte auf ihrem Gebiet Experten. Hierauf können Mediziner und vorgeschaltete Stellen vertrauen, und dies für die eigene Diagnose und Beurteilung heranziehen. Die Aus- und Weiterbildung, die Spezialisierung und Akademisierung sind unerlässlich.

Warum macht ein Beruf, in dem der allergrößte Teil sogar seine Berufung sieht, gleichzeitig so oft krank?

Antwort aus Sicht eines Altenpflegers:

Man wird einfach körperlich und mental ausgebeutet: ständig Überstunden und das Doppelte und Dreifache an Arbeit durch mangelnde Personalbesetzung. Die Ruhephasen fehlen. Nach dem Urlaub kann man mit mindestens 13 Tagen Arbeit am Stück rechnen, das kann aber auch noch länger gehen. Wenn es dumm läuft – was meist der Fall ist –, ist der Erholungseffekt gleich wieder verpufft. Um seinen gesetzlichen Urlaub muss man dann fast noch kämpfen, damit dieser nicht verfällt. Da kann es schon mal vorkommen, dass man den nach über einem Jahr bekommt, statt nach der Probezeit, weil man ja „gebraucht wird“. Ist man noch in der Ausbildung, wird man trotzdem aufgefordert, zu arbeiten, statt sich der Prüfungsvorbereitung zu widmen. Wenn es einem dann schon schwarz vor Augen wird, aufgrund der Doppelbelastung, überlegt man sich, ob man dann krankmachen soll zum Erholen, wenn keine Besserung in Sicht ist. Da hat man dann schon Sorge um seine eigene Gesundheit.

Antwort aus Sicht eines Recruiters:

Auch hier liegt die Antwort auf zwei Seiten: zum einen an der zu klein bemessenen Personaldecke, zum anderen an der technischen Ausrüstung bzw. Unterstützung der Mitarbeiter. Man stelle sich vor, dass man tagaus, tagein, Jahr für Jahr Lasten heben und umzulagern muss, dass man unter zeitlichen Druck gerät und immer mehr Dokumentationen anfertigen muss, dass die rechtlichen Anforderungen eine ebenfalls nicht unerhebliche Belastung darstellen, dann beantwortet sich die Frage von allein.

Die Vertreterinnen und Vertreter der Bundespflegekammer gehen davon aus, dass die Situation in der Profession Pflege nach der Corona-Pandemie noch kritischer wird, als sie jetzt schon ist. Warum werden sich manche Probleme nicht so einfach lösen lassen, selbst wenn man das Vierfache an Geld in die Hand nehmen würde?

Antwort aus Sicht eines Altenpflegers:

Eine lächelnde medizinische Fachkraft im Kittel interagiert freudig mit einem älteren Patienten und schafft so eine warme und fürsorgliche Atmosphäre im Bereich Humanressourcen.

Weil einfach zu viele Fachkräfte fehlen. Außerdem glaube ich, selbst wenn sie das Geld hätten, würden sie das trotzdem nicht ändern und es einfach in „andere Taschen“ reinwirtschaften. Das Ausbeuten hat doch schon längst System. Es fehlt auch längst das Bewusstsein in der Pflege, dass die Menschen in den Einrichtungen nicht nur Gegenstände sind, weder als wirtschaftliche HR-Ressourcen noch – umso weniger – als zu Pflegende. Allein schon die Art, wie geplant und gearbeitet wird, zeigt, dass es hier nur noch um zu verwaltende Wirtschafts- und Kalkulationsfaktoren geht. Arbeitskräfte, die ihren Beruf gern machen, sollten viel gefragter sein. Es gibt auch in dieser Branche immer noch genug, die ihren Beruf gar nicht gern machen, sondern weil sie müssen. Diese lassen das weiterhin an den Bewohnern aus – das wird aber viel zu wenig beachtet und geahndet, weil der Mangel an Arbeitskräften eine größere Priorität hat, was wiederum dem System geschuldet ist.

Antwort aus Sicht eines Recruiters:

Einfache Frage – einfache Antwort: Weil es Dinge gibt, die sich eben nicht von heute auf morgen abstellen lassen. Die Situation in der Pflege ist ein „gewachsenes“ Problem, welches seit sehr langem zu wenig Beachtung gefunden hat. Selbst wenn man jetzt Geld in die Hand nehmen würde, so kann man für kein Geld der Welt den Faktor Zeit kaufen. Dazu kommt in dieser angespannten Lage auch die Frage nach dem vorhandenen Willen zur Veränderung. Ein Abwandern in Richtung Zeitarbeit stellt jedenfalls keine Lösung dar – auch, wenn hier augenscheinlich mit gut gefüllten Börsen geworben wird.

Ohne Pflege können Wirtschaft und Gesellschaft auf Dauer nicht funktionieren, darauf wies Markus Mai, Präsidiumsmitglied der Bundespflegekammer hin. Wo sehen Sie die größten Probleme, selbst wenn Angehörige immer mehr einspringen?

Antwort aus Sicht eines Altenpflegers:

Eigentlich ist das alles schon längst am Anschlag und eine tickende Zeitbombe. Wenn es die Privatgepflegten nicht gebe und diese die Ambulanten nicht weiter unterstützen könnten, wäre der Kollaps schon längst da.

Antwort aus Sicht eines Recruiters:

Angehörige sind eben KEINE qualifizierten Pflegekräfte. Selbst wenn der Wille zur Leistung und Unterstützung auf jeden Fall vorhanden ist, so fehlt in der Regel der medizinische bzw. pflegerische Hintergrund zur Ausübung der Tätigkeit. Darüber hinaus darf und sollte man nicht die entstehende Mehrfachbelastung für die Familie und den Job aus dem Auge verlieren. Nicht selten sind pflegende Angehörige mit der Zusatzbelastung überfordert.

Was muss am dringendsten geschehen, um den Pflegeberuf – auch für Jüngere – attraktiver zu machen?

Antwort aus Sicht eines Altenpflegers:

Für die Jüngeren sollte vor allem von Beginn an das Geld stimmen, so wie es eben die bessere Bezahlung allgemein geben müsste. Mehr Werben bringt meiner Meinung nach auch nichts. Die größere und frühere Vorauswahl, während der in der Ausbildung zwischen Krankenschwester, Kinderkrankenschwester und Altenpfleger unterschieden wird, wird es nur noch zusätzlich erschweren, dass sich mehr für die Pflege entscheiden. Die Attraktivität des Berufs ist eine altersunabhängige Geschichte, denn die Motive, sich Menschen zu widmen, sind weiterhin eine Sache der christlichen Haltung, der Nächstenliebe oder der sozialen Natur und Motivation im Allgemeinen.

Antwort aus Sicht eines Recruiters:

Anerkennung und Wertschätzung. Diese beiden Punkte dürften im Wesentlichen wiedergeben, woran es in der Branche mangelt und warum es, auch und gerade bei jüngeren Menschen, ein Fragezeichen bei der Attraktivität gibt. Der Pflegeberuf ist nicht „irgendein“ Beruf, sondern eine verantwortungsvolle Tätigkeit, bei der Menschen am und mit Menschen arbeiten. Der Wunsch nach weiterführender Qualifizierung, nach einer akademischen Ausbildung muss endlich Gehör finden. Auch in der Pflege gilt, dass Leistung und Verantwortung anerkannt und honoriert werden müssen. Jungen Menschen müssen Perspektiven aufgezeigt und ermöglicht werden. Hier können Alt und Jung Hand in Hand arbeiten. Die Jungen partizipieren von der Erfahrung der alten Hasen – diese wiederum bleiben durch die jungen Kolleginnen und Kollegen ebenfalls auf dem neuesten Stand. Wir reden von einem funktionierenden Mentoring. Aus der Praxis – für die Praxis.

Wenn Sie einen Wunsch an die verantwortlichen Politiker und an die politische Führung richten dürften, wie würde dieser aussehen?

Antwort aus Sicht eines Altenpflegers:

Das Problem darf einfach nicht nur ständig weiter nach unten weitergeben werden. Ich sage ganz deutlich: „Nicht nur ständig reden, sondern endlich tun!“. Dann braucht es auch mehr Gerechtigkeit beim Pflegebonus. Die Politik soll nicht stets nur versprechen und in Aussicht stellen – und dann gibt es plötzlich doch keine „Töpfe“. Das ist langsam lächerlich! Ein Hauptproblem ist und bleibt: Es überwiegt immer noch Undankbarkeit statt Anerkennung. Man kann einfach nicht mehr darauf setzen, dass man als Krankenschwester die Leute „schon nicht im Stich lassen wird“, und das Berufsethos wissentlich ausnutzen. Wer von den Verantwortlichen glaubt, das geht auch nur im Ansatz so weiter, der soll wirklich selbst mal ein paar Schichten in einem Pflegejob arbeiten und dann nochmal glauben, das sei auf Dauer so zumutbar und machbar.

Antwort aus Sicht eines Recruiters:

Ich habe seinerzeit die Einführung der Pflegeversicherung als Mitarbeiter einer gesetzlichen Krankenkasse begleitet. Da ich an der Thematik Krankenversicherung (KV)/Pflegeversicherung (PV) immer drangeblieben bin und die Entwicklungen nicht aus den Augen gelassen habe, kann ich nur einen Rat geben: Es müssen endlich die Bereiche PV und KV komplett neu gedacht werden. Nicht die „Reförmchen“ der zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte, sondern tiefgreifende Reformen, die sich an der heutigen Zeit orientieren und zukunftssicher sind. Nicht von „Politikern“, sondern von „Praktikern“ geplant und umgesetzt. Art und Umfang müssen endlich der Tätigkeit Rechnung tragen. Die Bevölkerung wird immer älter, die Gesundheit wird immer wichtiger. Dem muss endlich ein funktionierendes System an die Seite gestellt werden, welches in der Gesetzgebung den entsprechenden Stellenwert erhält.

Wenn Sie einen Rat für die Führungsetagen von Kliniken und all der anderen Pflegeeinrichtungen formulieren könnten, wie würde dieser lauten?

Antwort aus Sicht eines Altenpflegers:

Hier würde ich mit einer großen Deutlichkeit sagen: „Rechnet mal richtig!“. Der demografische Wandel ist längst bekannt, das wird aber irgendwie ignoriert. Dabei ist einiges im Anmarsch. Hier muss man etwas ändern, und zwar sofort. Für die da oben heißt es, „schleunigst aufwachen“ und sinnvolle Änderungen einleiten in einer Sache und Entwicklung, von der man längst weiß. Die wird man nicht „aussitzen“ können.

Antwort aus Sicht eines Recruiters:

In meiner täglichen Praxis habe ich mit unterschiedlichen Trägern und Einrichtungen zu tun. Ob Mitarbeiter oder Träger: Jeder hat eine direkte Verantwortung, dies in erster Linie dem Patienten und Bewohner gegenüber. Daher gilt: Pflege erteilt eben KEINE Lizenz zum Gelddrucken. Das ist vielen Chefetagen bewusst. Aber nicht allen. Gleiches gilt für die Mitarbeiter. Mitarbeiter der Pflege kehren der Pflege den Rücken und wandern zu Zeitarbeitsfirmen ab. Dort müssen die Führungsetagen ihre fehlenden Kräfte dann wieder teuer entleihen. Würde man die Gelder gezielter direkt sinnvoll in die Einrichtungen und Mitarbeiter investieren, dann könnten schon einige große Themen als angegangen bzw. erledigt angesehen werden. Am Ende des Tages steht immer die Frage nach der Finanzierung. Dass es hier funktionierende Hand-in- Hand-Ansätze und Möglichkeiten gibt, erlebe ich täglich bei meinen Kunden. Schwierig, aber nicht unmöglich. Man sollte mehr miteinander als übereinander reden. Und man sollte beidseitig realistische Ansätze präsentieren. Der Euro, der ausgegeben wird, muss auch eingenommen werden. Am Ende geschieht dies auf Kosten besagter Bewohner und Patienten. Fühlen diese sich jedoch wohl, dann braucht sich die Einrichtung um ein Thema, ein sehr wichtiges Thema, keine Sorgen mehr zu machen. Menschlichkeit zählt.

Die Arbeit im Bereich Medical und Care mit einem Anteil von etwa 80 Prozent weiblich – gibt es hier eigentlich etwas, das im Hinblick darauf berücksichtigt werden muss?

Antwort aus Sicht eines Altenpflegers:

Da Frauen körperlich meist schwächer sind, ist die Gesundheit schneller „am Arsch“. Denn Hilfsmittel brauchen mehr Zeit und männliche Kollegen, die helfen könnten, sind nicht immer zu Stelle; dann macht man halt ohne – und das rächt sich nicht selten.

Antwort aus Sicht eines Recruiters:

Auch die Beantwortung dieser Frage ist im Ansatz recht simpel – und damit im Inhalt ebenso kompliziert. Seit Urzeiten sind die Geschlechterrollen – und damit die Aufgaben innerhalb der Gemeinschaft – klar verteilt. Dies hat man zum Anlass genommen, dies nie (oder höchst selten) in Frage zu stellen. Selten, bis auf die letzten Jahre. Die Rollenverteilung wird neu gedacht, ebenso wie auch die Unterstützung neu gedacht wird. Man kann eben nicht jederzeit alten Mustern nachhängen. Somit muss sich sowohl die Pflege als auch die Unterstützung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen weiterentwickeln. Neben dem theoretischen Wissen muss sich auch die praktische und technische Unterstützung zeitgemäß und zukunftssicher entwickeln und anpassen. Ist das gegeben, wird das Berufsbild Pflege auch als attraktiver Beruf wahrgenommen, von Frauen ebenso wie von Männern. Und wenn wir schon beim Thema 80/20 und zukunftssicherer Entwicklung sind, dann sollte diese Entwicklung auch im Interesse der 80 Prozent weiblichen Mitarbeiter erfolgen. Ich denke da z. B. an die körperliche Belastung durch schweres Heben, an familiengerechte Arbeitszeiten und eine angepasstere, leistungsgerechtere Vergütung.

Was steht bei Ihnen persönlich täglich am meisten im Fokus und liegt für Sie am schlimmsten im Argen, wenn es um die Pflege geht?

Antwort aus Sicht eines Altenpflegers:

Insgesamt der Zeitdruck und der Personalmangel und die ständige Hektik dadurch. Außerdem kommen Ärzte, wann sie wollen, richten sich nicht an den Mitarbeitern aus. Da muss man dann „springen“, ob es gerade geht oder nicht. Für das zeitlich aufwendige Dokumentieren fehlen einheitliche Programme und Standards. Da – aber auch woanders – wird man auch nicht selten zu wenig eingelernt. Und eine einfache Übergabe ist kein Einlernen. Man kann die Leute nicht ins kalte Wasser werfen und dann schauen, wie sie diesen anspruchsvollen Job unter all seinen besonderen Bedingungen meistern – in dem es insgesamt eben doch an einigem mehr fehlt als an fairer Entlohnung und echter Anerkennung: An erster Stelle ist es der Mensch, der im Mittelpunkt stehen sollte, und auch der gesunde Menschenverstand.

Antwort aus Sicht eines Recruiters:

Der Pflegeberuf befindet sich in einem Wandel. Arbeitgeber, Kostenträger, Staat, Gesellschaft und nicht zuletzt die Mitarbeitenden in den Pflegeberufen, egal ob ambulant oder stationär, ob im klinischen Bereich oder in der Altenpflege, haben in den zurückliegenden Monaten gezeigt, wo es dringenden Handlungsbedarf gibt. In den 2020er Jahren kann und darf Pflege nicht mehr wie in den 1970er Jahren gedacht werden. Von niemandem. Der geneigte Leser stelle sich einmal vor, er müsse jemanden aus seiner Familie oder sich selbst in den nächsten Tagen temporär oder dauerhaft in die Hände professioneller Pflege geben. Welche Erwartungen verknüpft man damit? Bei der Pflegequalität? Bei der Unterbringung? Bei dem menschlichen Zuspruch durch die Pflegekräfte? An die technische Ausstattung? An die Zeit? Die Betrachtung dieser Fragen stimmt, zumindest noch aktuell, nicht selten sehr nachdenklich. Daraus ergibt sich aber an jeden eine weitere Frage: Was ist jeder persönlich bereit zu geben, damit, wenn der Pflegefall eintritt, die höchstpersönliche Behandlung optimal laufen kann?

Die Lösung lässt sich auf drei einfache Begriffe reduzieren: 1) Menschlichkeit, 2) Zeit, 3) Geld. Damit Menschlichkeit gegeben werden kann, muss nicht unbedingt Geld im Spiel sein. Aber Geld lässt, neben Applaus und einem „Danke“, auch Pflegekräfte zufriedener werden. Zufriedene Pflegekräfte nehmen sich gern die Zeit für Menschlichkeit – wenn man dies hier von Seiten der Verwaltungsvorschriften und gesetzlichen Regelungen zulässt. Zeit kostet Geld. Und damit sind wir bei der Verantwortung durch Staat und Gesellschaft. Nicht nur der Stellenwert, sondern auch der Wert der Pflege muss schnellstens überdacht und in moderne Bahnen gebracht werden. Von Praktikern für Praktiker. Eben nicht „Reförmchen“, sondern echte Reformen. Die Finanzierung der Pflege muss komplett überdacht und neu geregelt werden. Es gibt schon heute viele Unternehmen, die Beruf und Berufung in der Pflege sehen, und dies als Arbeitgeber ermöglichen. Ebenso gibt es viele Beschäftigte, die dies vorbildlich leben und jeden Tag aufs Neue unter Beweis stellen, gerade jetzt wieder zu Corona-Zeiten. Und es gibt leider auch auf beiden Seiten noch die, die nach Gewinn streben. Unternehmen sehen die Rendite in der Pflege. Mitarbeitende sehen die Chance nach extra hohen Gehaltsforderungen. Das glauben Sie nicht? Ich erlebe es immer wieder, dass eine Bewerbung mit der Frage danach beginnt, was mein Kunde bereit ist zu zahlen. Bei diesen Gedankengängen ist es nicht verwunderlich, dass die Pflege Mitarbeiter in Richtung Leiharbeit verliert …

Ein lächelnder älterer Mann in einem blauen Hemd genießt ein Gespräch über Personalmanagement mit einer Person, deren Rücken in die Kamera blickt.

Pflege: Das ist und bleibt Beruf und Berufung, keine „goldene Kuh“! Pflege hat auf beiden Seiten mit dem Wichtigsten zu tun, was wir haben: mit Menschen. Honorieren wir dies, dann sind es eben jene Menschen, die uns gern das Wertvollste geben, was es gibt: Zeit und Zuneigung. Das bedeutet Pflege und nichts anderes.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Dr. Silvija Franjic, Online-Redakteurin + Jobcoach.

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