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Berufsunfähigkeit in der bAV : Wenn es schmerzt und zwickt

Die wenigsten Bürger sind gegen biometrische Risiken, wie Berufsunfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit, richtig abgesichert, obwohl das Risiko mit steigendem Lebens- und Renteneintrittsalter zunimmt. Auch die aktuelle Pandemie kann als Spätfolge zu einer Berufsunfähigkeit führen. Als Personalverantwortlicher sollten Sie sich daher unbedingt diesem Thema widmen, auch im Sinne Ihres Gesundheits- und Demografiemanagements. Dieser Beitrag soll hierzu Denkanstöße und Hilfestellung geben.

Lesezeit 4 Min.
Eine Cartoon-Illustration eines Humanressourcen-Spezialisten mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck, der seinen Rücken umklammert, was möglicherweise auf Rückenschmerzen oder eine Verletzung hindeutet.

Gesetzliche Regelungen

Mit der Reform des Altersversorgungssystems von 2001 erfolgte für alle nach dem 02.01.1961 Geborenen ein Wechsel von der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente zur Erwerbsminderungsrente. Letztendlich heißt dies, dass vom Rententräger nicht mehr auf den erlernten oder ausgeübten Beruf abgestellt wird, sondern nur noch dann eine Rente gezahlt wird, wenn das Restarbeitsvermögen auf dem gesamten Arbeitsmarkt (egal in welcher Tätigkeit)

  • unter drei Stunden täglich für die volle Erwerbsminderungsrente und
  • unter sechs Stunden täglich für die halbe Erwerbsminderungsrente beträgt und
  • in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens 36 Kalendermonate Pflichtbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung entrichtet worden sind.

Jeder vierte Arbeitnehmer wird im Laufe seines Arbeitslebens berufsunfähig!

Fast 4 Millionen Deutsche beziehen schon eine solche Teil- oder Vollrente wegen geminderter Erwerbsfähigkeit. Allerdings beträgt der Durchschnittszahlbeitrag nach Abzug der Sozialabgaben 735 Euro monatlich – Tendenz sinkend (aufgrund niedriger persönlicher Entgeltpunkte/Rentenansprüche). Viele Menschen sind daher auf auffüllende Grundsicherungsleistungen („Hartz IV“) angewiesen.

Neue staatliche Förderung

Mit dem Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz (AltvVerbG) beabsichtigte der Staat eine stärkere Förderung privater Berufsunfähigkeitspolicen ab dem 01.01.2014.

Das „Geschenk“: Die Beiträge für staatlich zertifizierte Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsverträge können ab 01.01.2014 im Rahmen der Basisversorgung steuerlich voll abgesetzt werden. Zu dieser Summe zählen aber auch die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und anderer Basisverträge.

Zudem haben die milden Gaben einige Haken (Fördervoraussetzungen), daher wurde das Ganze nicht sonderlich gut angenommen.

Neue Gesetzgebung

Jährlich gehen fast 200.000 Menschen in die Erwerbsminderung. Wenn jemand beispielsweise mit 50 Jahren erwerbs- bzw. berufsunfähig wird, fehlen ihm 17 Jahre Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung und damit fällt auch die Altersrente oft unter Grundsicherungsniveau. Bisher wurde fiktiv die Erwerbsminderungsrente bis zum 62. Lebensjahr berechnet, um diesen Effekt zu mildern. Seit dem 01.01.2018 wird diese sogenannte Zurechnungszeit schrittweise bis zum Jahr 2024 um drei Jahre auf 65 Jahre erhöht, was etwa 1,5 Milliarden Euro pro Jahr kosten wird, aber die Altersarmut mindern soll. Weitere Verbesserungen sind geplant. Inzwischen gibt es eine Zurechnungstreppe, die die Zurechnungszeit bis zum Jahr 2031 schrittweise auf das 67. Lebensjahr erhöht.

Was nun – in der betrieblichen Altersversorgung?

Sie sollten überlegen, ob Sie für Ihre Mitarbeiter einen Berufsunfähigkeitsschutz anbieten wollen. Dies kann

  • über selbstständige private Berufsunfähigkeitsverträge geschehen, für die Sie einen Rahmen-Gruppenvertrag mit dem Anbieter aushandeln;
  • über einen Baustein in der betrieblichen Altersversorgung geregelt werden, der allerdings unter 50 Prozent des Beitrags liegen sollte, um auch ohne Eintritt des Leistungsfalles z. B. in der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit eine Betriebsrente beziehen zu können.

Variante 1: Betriebliche Altersversorgung durch Entgeltumwandlung mit Berufsunfähigkeit

Aufgrund sinkender gesetzlicher Rentenansprüche (z. B. durch Heraufsetzung des Renteneintrittsalters und des demografischen Faktors) setzt der Staat stärker auf Eigenvorsorge seiner Bürger. Zu diesem Zweck fördert er Betriebsrenten nicht nur steuer- und sozialabgabenrechtlich, sondern hat auch einen Rechtsanspruch für jeden Arbeitnehmer zum Aufbau einer Altersversorgung geschaffen.

Jeder Arbeitnehmer – unabhängig von der Größe des Betriebs – hat laut § 1a des Betriebsrentengesetzes seit 2002 das Recht:

  • von seinem Arbeitgeber zu verlangen,
  • Teile seines künftigen Entgelts bis zu 8 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung steuerfrei in eine betriebliche Altersversorgung zu investieren.

Jeder Arbeitnehmer kann also z. B. bis zu 568 Euro (im Jahre 2021) monatlich von seinem Gehalt steuer- und 284 Euro sozialabgabenfrei in die eigene Altersversorgung investieren. Für Arbeitnehmer lohnt sich diese sogenannte Entgeltumwandlung auf jeden Fall, da diese brutto für netto einzahlen können und – neben dem Aufbau einer staatlich geförderten Altersrente – der tatsächliche „Verlust“ an Nettogehalt (durch Wegfall der Steuer- und Sozialabgaben) viel kleiner ist.

Dafür warten allerdings in der Leistungsphase der Betriebsrente der volle persönliche Einkommenssteuersatz und die volle Kranken- und Pflegebeitragspflicht (wenn gesetzlich versichert) abzüglich des neuen Freibetrags von 164,50 Euro (2021).

Der Cartoon-Personalmanager leidet unter Schmerzen und umklammert sein Knie mit Sternen, die auf eine plötzliche Verletzung oder Schmerzen hinweisen.

Beispiel:

Mitarbeiter Heinz aus München, alleinstehend ohne Kind und Freibeträge, 35 Jahre und Steuerklasse I mit Kirchensteuer, erhält 3.500 Euro Brutto im Monat. Sein Netto beträgt derzeit 2.139,15 Euro. Ab 01.02.2021 wandelt er monatlich 100 Euro in die betriebliche Altersversorgung um. Sein Arbeitgeber beteiligt sich nicht daran. Mit der betrieblichen Altersversorgung beträgt sein neues Nettogehalt 2.091,19 Euro, also nur 47,96 Euro weniger als vorher. Dafür gehen für 32 Jahre 100 Euro in die Betriebsrente, was in etwa einer Altersrente ab 67 von mindestens 160 Euro (plus bis zu 350 Euro bei guter Überschussbeteiligung des Anbieters) bei fünf Jahren Rentengarantiezeit entspricht. Das lohnt sich auf jeden Fall!

Variante 2: Der Rahmenvertrag

Sie als Personaler überlegen sich, für

  • welche Berufsgruppen und
  • in welcher Höhe und
  • zu welchen Konditionen

die Mitarbeiter eine private Berufsunfähigkeit abschließen sollten.

Als guter Arbeitgeber handeln Sie dazu mit einem ausgewählten Anbieter (am besten durch Ausschreibung neutral ermittelt) den Rahmenvertrag aus, der u. a.

  • verbesserte Gesundheitsfragen (oder gar keine Gesundheitsprüfung),
  • Regelungen zum Ausscheiden (Arbeitgeberwechsel),
  • Anforderungen an den Anbieter (z. B. geringe Streitfall-Quote bei Berufsunfähigkeit) und
  • Leistungen der Berufsunfähigkeit und deren Feststellung enthalten sollte.

Ausblick

Auch durch die sinkende staatliche Ausgestaltung der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit und durch die pandemische Bedrohung wird die unterschätzte Gefahr der Berufsunfähigkeit klar. Ein Nachdenken über die Absicherung des Risikos für Ihre Mitarbeiter gemeinsam mit einem neutralen Berater (keinem Produktverkäufer!) ist unerlässlich, um schon heute für die Zukunft vorzusorgen. Gerade auch bei höherem Fördervolumen und ab 2022 bei Weitergabe der Sozialbeiträge für Altverträge sowie der neuen Sozialpartnerrente wird eine Biometrie-Absicherung über die betriebliche Altersversorgung lukrativer, aber nicht einfacher. Niemand kann ohne das Risiko „Berufsunfähigkeit“ bleiben, aber sein Leben (finanziell) bestmöglich gestalten!

Andreas Nareuisch, Betriebs- und Finanzfachwirt, Bundessachverständiger

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